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Menschenrecht auf Medizin: Nürnberger Straßenambulanz kümmert sich um Bedürftige

Vanessa Neuß

Volontärin

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3.12.2022, 17:55 Uhr
Roland Stubenvoll kümmert sich mit Christine Schröder um die entzündete Wunde eines Patienten. 

© Roland Fengler, NNZ Roland Stubenvoll kümmert sich mit Christine Schröder um die entzündete Wunde eines Patienten. 

Ivan K. (Name von der Redaktion geändert) liegt auf der Liege im Behandlungsraum der Franz von Assisi Straßenambulanz in Gibitzenhof. Als die Arzthelferin Christine Schröder die Wunde an seinem linken Knöchel säubert, verzerrt der Patient das Gesicht. Die Wunde hat sich entzündet und verursacht deshalb Schmerzen. Er schlägt sich wie etwa 2300 weitere Menschen in Nürnberg ohne feste Bleibe durch, zum Teil auch auf der Straße, und ist nicht zum ersten Mal Patient in der Ambulanz.

Im Jahr 2022 kamen etwa 1000 Menschen in die Räumlichkeiten der Caritas-Straßenambulanz Franz von Assisi. Viele von ihnen sind wohnungslos, aber auch sozial bedürftige Menschen und Suchtkranke suchen medizinische Hilfe. Ob sie krankenversichert sind oder nicht, spielt hier keine Rolle, sagt Leiter Roland Stubenvoll. "Zu uns kann jeder kommen", fügt er an. Das zehnköpfige Team rund um den Allgemeinarzt Dr. Jörg Seiler und die Psychiaterin Dr. Christine Wiesinger kümmern sich um alle medizinischen Belange. Einmal in der Woche kommt ein Chirurg, der kleinere Eingriffe durchführt.

Ohne Termin und Krankenversicherung

Wunderversorgung, psychische Erkrankungen, Infektionskrankheiten, Sucht und Hautkrankheiten - das sind die häufigsten Gründe, weshalb Menschen Hilfe in der Straßenambulanz suchen. Und die kriegen sie auch. Termine müssen sie im Vorfeld nicht ausmachen, sie können einfach vorbeikommen und müssen im Zweifel nur etwas warten, sagt Stubenvoll.

Etwa 30 Prozent der Patientinnen und Patienten haben keine Krankenversicherung. Für sie ist die Straßenambulanz die einzige Anlaufstelle in Nürnberg. Doch auch viele Menschen, die einen gewöhnlichen Hausarzt aufsuchen könnten, entscheiden sich für die Einrichtung der Caritas.

"Viele trauen sich nicht zum Hausarzt - bei uns schämen sie sich nicht", sagt Seiler, der schon gleich zu seinem nächsten Patienten eilt. Warum er den Job in der Ambulanz macht, kann der Allgemeinarzt klar beantworten: "Medizin ist ein Menschenrecht und es macht Spaß hier zu arbeiten". Neben dem Praxisalltag kümmert sich das medizinische Team auch um die Substitution von 120 Drogenabhängigen.

Für Menschen, die auf der Straße leben, bietet die Einrichtung der Caritas auch die Möglichkeit, sich vor der Behandlung zu duschen und frische Klamotten aus der Kleiderkammer anzuziehen. Sollte sich bei der Behandlung herausstellen, dass es sich um schlimmere Erkrankungen handelt, vermitteln die Mitarbeitenden der Ambulanz Schlafstätten, damit sich die Patientinnen und Patienten auskurieren können. "Da sind wir zum Glück gut vernetzt - das klappt immer", sagt Stubenvoll.

Lebensmittelausgabe und Tagesstätte

Wenn Nurten G. (Name von der Redaktion geändert) medizinische Versorgung in Anspruch nehmen muss, geht sie in ihre Hausarztpraxis. Sie ist aus anderen Gründen mehrmals die Woche in der Caritas-Einrichtung. Mit ihrem "Schwertransporter" - ein Wägelchen, auf dem die 79-Jährige ihr Hab und Gut transportiert - macht sie den ersten Halt bei der Lebensmittelausgabe. Die in Kisten vorsortierten Lebensmittel nimmt sie genau unter die Lupe, um zu entscheiden, ob sie den Käse oder den Schmand wirklich braucht.

Nurten G. kommt mehrmals in der Woche mit ihrem "Schwertransporter" in die Caritas-Einrichtung in Gibitzenhof.

Nurten G. kommt mehrmals in der Woche mit ihrem "Schwertransporter" in die Caritas-Einrichtung in Gibitzenhof. © Roland Fengler, NNZ

Zur Lebensmittelausgabe in den Räumen, die zu St. Ludwig gehören, kommen Wohnungslose, aber vor allem auch aus anderen Gründen Bedürftige, so Stubenvoll. "Oft ist schon um 7 Uhr eine lange Schlange, obwohl es nur von 9 bis 11 Uhr Lebensmittel gibt." Der Unterschied zur Tafel ist, dass die Bedürftigkeit der Personen nicht überprüft wird. "Niemand geht leer aus und wir verteilen nur Lebensmittel, die wir auch selbst essen würden", sagt der Leiter.

Außerdem werden hier keine Namen erfasst, genauso wie in der Tagesstätte, in der Bedürftige kostenlos Frühstück und ein warmes Mittagessen erhalten. Küchenchefin Thitiya Suksomsathan muss da jeden Tag kreativ sein, denn sie weiß vorher nicht, welche Lebensmittel sie bekommt und zaubert daraus dennoch eine Vor-, Haupt- und Nachspeise. "Es macht Spaß hier zu kochen, jeder Tag ist anders", sagt sie und stellt Nurten G. einen Kaffee auf den Tisch: "Zwei Süßstoff, gell? Lass es dir schmecken!"

Seit drei Jahren auf der Straße

"Das Leben ist nicht so leicht", sagt die 79-Jährige, die seit drei Jahren auf der Straße lebt. Ihr Blick ist nach unten auf den Tisch gerichtet. Mit ihrer linken Hand rührt sie immer wieder in ihrem Kaffee. Sie erzählt, dass sie ihr Leben lang gearbeitet hat. Dennoch habe die Stadt ihr die Wohnung vor drei Jahren gekündigt - eine neue habe sie bis heute nicht finden können. Die Nächte verbringt Nurten G. in der Oase, einer Unterkunft für Wohnungslose.

Mit Bluthochdruck, Diabetes, Thrombose und Asthma hat die 79-Jährige zu kämpfen und dennoch möchte sie die Hoffnung auf eine Wohnung nicht aufgeben. Die wohnungslose Frau ist kein Einzelfall. Stubenvoll sagt: "Man kann hier nicht die ganze Welt retten, nur situativ, aber manchmal ändert sich dann doch alles zum Guten."


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