Mit Gänsehautfeeling: Jüdisches Fest auf NS-Koloss

4.10.2020, 16:31 Uhr
Leuchtet in blau, weiß und rot: Die Laubhütte auf der Terrasse des Studienforums in der obersten Etage des Doku-Zentrums an der NS-Kongresshalle.

© NNZ Leuchtet in blau, weiß und rot: Die Laubhütte auf der Terrasse des Studienforums in der obersten Etage des Doku-Zentrums an der NS-Kongresshalle.

Ein paar Stangen und Planen als Wände genügen. Tannenreisig und Schilfrohr sorgen für etwas Grün - fertig ist die Laubhütte. Nach jüdischer Tradition dient sie zur Erntezeit eine Woche lang, während des Laubhüttenfestes, als Lebensmittelpunkt. "Sie muss nach oben offen sein", nannte Diana Liberova, Stadträtin und Vorsitzende des neuen Vereins zur Förderung der Städtepartnerschaft zwischen Nürnberg und Hadera in Israel, ein entscheidendes Merkmal. Das erinnert nicht nur an die Wanderschaft des Gottesvolkes durch die Wüste, ohne feste Behausung, sondern sei auch ein Symbol dafür, dass "wir alle aus der gut behüteten Umgebung herausgerissen werden können", erläuterte Liberova weiter. Die Vorstellung, wir hätten stets alles im Griff, sei pure Illusion, wie gerade die Corona-Pandemie auf bittere Weise belege.

Dabei sei das Laubhüttenfest ein "Fest der Freude". Neben Verwandten, Freunden und Nachbarn würden dazu bewusst auch Fremde in die Laubhütte eingeladen. Den Bezug zur Ernte stellten an den Zweigen aufgehängte Äpfel her, dazu Körbe voller Früchte und Gemüse aus dem Knoblauchsland. Und Scheinwerfer tauchten die Szenerie in blau-weißes und rot-weißes Licht - die Nationalfarben Israels und Frankens.

"Freundschaft vorantreiben"

Auch deshalb hatte die Installation auf der Dachterrasse des Doku-Zentrums schon den ganzen Tag über die Blicke von Spaziergängern und vor allem Teilnehmern der Rundgänge über das Reichsparteitagsgelände auf sich gezogen. Und sicher hätte mancher gerne auch das Kaddish-Gebet miterlebt, mit dem Gabriel Grabowski von der Israelitischen Kultusgemeinde in den Abend einstimmte.

Die Corona-Beschränkungen ließen allerdings nur eine überschaubare Gästeschar zu. Aber immerhin: War es doch die erste öffentliche Veranstaltung des Partnerschaftsvereins. Die förmliche Gründung liegt ein Jahr zurück, aber als er "loslegen" wollte, durchkreuzte das Virus alle Pläne. "Nun aber kommt es darauf an, die Freundschaft voranzutreiben", ermutigte Oberbürgermeister Marcus König alle Beteiligten, "Verträge zu unterschreiben, reicht nicht. Es braucht Menschen, die das mit Leben erfüllen und Brücken bauen". Und der neue Verein will das "auf allen Ebenen" vorantreiben, so Liberova, also in Kultur und Wirtschaft und vor allem dem Aufbau und der Pflege persönlicher Beziehungen.

Hypothek lastete auf dem Namen Nürnbergs

Etwas zu feiern gab es aber auch: das 25-jährige Bestehen der Partnerschaft zwischen Nürnberg und Hadera. Auf den ersten Blick haben beide Städte zwar wenig gemein. Doch sind beide wesentlich von Industrie bestimmt - und von Zuwanderung in großem Umfang. Heute suchen beide einen Austausch gerade zu den prägenden Erfahrungen. Neben den Kontakten auf offizieller Ebene und ersten Bürgerreisen hatten sich - derzeit freilich durch Corona auf Eis gelegt - Partnerschaften unter anderem mit dem Willstätter-Gymnasium und zwischen der Nürnberger Musikschule und dem Konservatorium von Hadera entwickelt.

Dass eine kommunale Partnerschaft überhaupt möglich wurde, war und ist indes alles andere als selbstverständlich - zu schwer lastet die Hypothek der in deutschem Namen verübten Verbrechen, also des Holocaust, auf den Beziehungen. "Mit Nürnberg aber wollte sich lange schon gar kein Ort in Israel einlassen", berichtet JoAchim Hamburger. Bereits Mitte der 1980er-Jahre hatte sein Vater Arno, als Stadtrat und langjähriger Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde, die Fühler ausgestreckt und viel Kraft und Mühe in seine hartnäckige Suche nach einer Partnerstadt investiert. Für ihn war das ein zentraler Baustein in allen Bemühungen um einen Neubeginn und um das Profil von Nürnberg als Stadt der Menschenrechte. Als es schließlich doch klappte und die Verantwortlichen in Hadera bereit waren, alle Vorbehalte zu überwinden, war das ein weit über Nürnberg hinaus beachtetes Signal.

Solidarität statt Isolation

"Es brauchte viel Mut, Großzügigkeit und den unbedingten Willen zu einem Neuanfang, um menschliche Beziehungen aufzubauen", würdigte denn auch der israelische Vize-Generalkonsul für Süddeutschland, Lirau Sakar, das Engagement für die Partnerschaft. "Wir wollen und müssen uns bewusst an die Vergangenheit erinnern und zugleich unsere gegenwärtigen Beziehungen auf allen Ebenen intensivieren." Statt Isolation seien, auch angesichts der Corona-Pandemie, Solidarität und Vernetzung gefordert.

Dankbar für alles Erreichte und mit einem hoffnungsvollen Ausblick auf die Zukunft zeigte sich Zvika Gendelmann, der Bürgermeister von Hadera, in einer Grußbotschaft, die er zum Nürnberger Laubhüttenfest per Video übermittelt hatte.

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