Pfarrer als Erznazi

1.8.2002, 00:00 Uhr

Die Fahnen stehen im Mittelpunkt der Messe, denn die Standarten der SA bekommen den Segen Gottes. Es ist offenbar das erste Mal, dass sich eine Nürnberger Kirche für das Segnen nationalsozialistischer Embleme hergibt. Anwesend ist auch Julius Streicher; ob Hitler an der Messe teilnimmt, oder erst am Nachmittag in Nürnberg eintrifft, ist unklar.

„Es ist recht und billig, dass die neuen Fahnen ihren ersten Gang in den altehrwürdigen Dom gemacht haben. Sie sind ein Sinnbild des Heiligsten, das der Deutsche in seiner Brust trägt. Erst wenn sich das alles einfügt in die großen Zusammenhänge deutscher Kraft und deutscher Frömmigkeit, in die uns dieser Dom versetzt, dann dringt es mächtig aus den Herzen hinauf zu Gottes Thron, dass er den Sonnenschein seines Segens um diese Fahnen lege. Es sind die Großen des Gottes Mammon, die über Wohl und Wehe der Völker entscheiden. Soll unser Volk verderben unter diesen bösen Geistern? Oder soll es kämpfen um seinen Verstand, um seine Seele.” Diese völkischen Parolen bilden den Kern der Ansprache Weigels, die von den Gläubigen andächtig aufgenommen wird.

Die Messe endet nach einer guten Stunde. Kurz nach 12 Uhr ziehen 350 bis 400 SAler und SSler durch die Stadt zum Herkulessaalbau in die ehemalige Treustraße 9, wo heute das Schauspielhaus steht. Dort findet um 17 Uhr eine Veranstaltung mit Hitler und Streicher statt.

Julius Streicher, der „Frankenführer” in spe, betont dann in seiner Rede, „dass Geistliche zu Pfarrer Weigel gesagt hätten, er solle doch nicht die Fahnen der SA weihen. Hierbei dankte Streicher dem Pfarrer Weigel, weil er nicht dem Willen der anderen gefolgt ist, sondern sich erst recht als echter Nationalsozialist bekannte”, so notiert der Polizeistenograph. Streicher lobt dann nochmals den Geistlichen i.R., der „ein herausragender Kirchenmann” sei, der erste, der sich in Nürnberg den Nazis angeschlossen habe. Die Fahnenweihe ermögliche es ihm, leichten Herzens seine Haftstrafe anzutreten. Anlass der Festivitäten ist nämlich eine Abschiedsfeier Streichers, der wieder einmal wegen seiner Dauerhetze im „Stürmer” eine kurze Freiheitsstrafe antreten muss.

Für die SA-Fahnenweihe musste nach Weigels Angaben die Lorenzkirche „erst erobert” werden. Die Standarten erregten im Vorfeld der gespenstischen Weihestunde „mächtiges Aufsehen”, wie sich der Pfarrer erinnert, weil sich die meisten, auch evangelischen, Kirchen bis Anfang der 30er Jahre dagegen verwahren, ihre Gebetsräume für parteipolitische Zwecke zur Verfügung zu stellen. So müssen sich die Nationalsozialisten noch im September 1929 in ihrer Hochburg Rothenburg o. d. Tauber wutentbrannt damit abfinden, die Fahnenweihe ihres „Sturmtrupps 72” vor dem dortigen Kriegerdenkmal zu vollziehen. Denn die Fahnenweihe in einer der beiden Kirchen wird von beiden Konfessionen (bei den Katholiken durch das örtliche Pfarramt, bei den Protestanten durch den Landeskirchenrat) abgelehnt.

Das Nürnberger israelitische Gemeindeblatt kommentiert die Fahnenweihe in seiner Septemberausgabe: „Es ist zum mindesten höchst widersprüchlich, wenn ein Geistlicher einer Religion, welche Nächsten- und Feindesliebe von ihren Bekennern fordert, eine Hakenkreuzfahne, das Symbol brutalsten Menschenhasses, mit der Weihe ebendieser Religion versieht. Jedenfalls charakterisiert der ganze Vorgang so recht die geistige Atmosphäre in gewissen Kreisen Nürnbergs, die mit die Verantwortung dafür tragen, dass gerade hier die Sumpfpflanze des Antisemitismus so üppig wuchert.”

Der Autor arbeitet als Historiker am Nürnberger „Institut für NS-Forschung” und schreibt gerade an einem Buch zum Thema „Antisemitismus in der Weimarer Republik”.