Pirouetten drehen – trotz Behinderung

12.5.2012, 00:00 Uhr
Pirouetten drehen  – trotz Behinderung

© Hagen Gerullis

Duygu ist sieben Jahre alt und „eine echte Ballerina“. Sie hat auch andere Hobbys, doch an das Ballett kommt keines ran. Das Mädchen ist behindert. „Und das macht gar nichts.“ Es tanzt, seit es drei Jahre alt ist, und hat auch schon einige Auftritte hinter sich. Am Muttertag wird Duygu zusammen mit ihren Freundinnen aus der Ballett-Gruppe auf einer Bühne stehen.

Pirouetten drehen  – trotz Behinderung

© Hagen Gerullis

Behinderung ist nur ein Aspekt von Duygus Persönlichkeit. Aber es gibt eben noch viele andere: Die Siebenjährige hat Träume, Wünsche und etwas, das ihr Herz höherschlagen lässt. Alles genauso, wie es auch bei Menschen ohne Behinderung ist. Das macht die Fotoausstellung von Jurga Graf „Da schau her! Stars, die gern gesehen werden“ in der Villa Leon deutlich. Dort sind auch die Bilder von Duygu zu sehen.

„Mit der Ausstellung wollten wir zeigen, dass behinderte Menschen viele Berührungspunkte mit anderen haben und genauso gern im Mittelpunkt stehen möchten“, sagt Annette Weigand-Wopp vom Verein TIM. Mit der Ausstellung, die bis zum 23. Mai zu sehen ist und dann zu einer Wanderausstellung wird, will ihr Organisator auch auf sich selbst aufmerksam machen. Denn in diesem Jahr feiert der „Türkisch-deutsche Verein zur Integration behinderter Menschen“ sein 25-jähriges Bestehen.

TIM steht für Türkisch, Integration und Mensch. Kamile Erdemir hat den Verein gegründet und ist als erste Vorsitzende aktiv. Die Idee dazu entstand aus eigener Betroffenheit heraus. „Mein Sohn ist mit 18 Monaten an Meningitis erkrankt und wurde dadurch behindert“, erzählt sie. Kamile Erdemir kam in den 80er Jahren nach Nürnberg.

Zur eigenen Betroffenheit kam die Erkenntnis, dass es auch andere Eltern mit behinderten Kindern gibt, die Unterstützung bedürfen: „Im Sprachkurs habe ich eine Familie kennengelernt, die eine behinderte Tochter hatte. Sie hatte nicht einmal einen Behindertenausweis. Ich dachte mir, wenn wir einen Verein gründen, können wir uns gegenseitig unterstützen.“

Die umtriebige Frau besuchte Schulen, sprach mit vielen Eltern. „Ich habe immer betroffene türkische Familien gesucht.“ Denn viele von ihnen wussten nichts von den Unterstützungsmöglichkeiten, die es in Deutschland für behinderte Menschen und deren Familien gibt. „Es ging auch darum, das Thema Behinderung zu enttabuisieren“, sagt Annette Weigand-Woop. Mit ihrem Engagement konnte Kamile Erdemir viele ihrer Landsleute erreichen, aber auch die Stadt Nürnberg und Politiker auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Das hat geholfen, den Verein zu etablieren.

Längst bietet TIM nicht nur türkischen Behinderten und deren Angehörigen Unterstützung, sondern auch Menschen anderer Nationalitäten. Da passt es ganz gut, dass der Verein sein Büro im Nachbarschaftshaus Gostenhof hat, dessen Besucher unterschiedlichster Herkunft sind.

TIM bietet betroffenen Familien Beratung an, so etwa durch die Vereinsmitarbeiterin Annette Weigand-Wopp. „Es geht oft um Schwerbehindertenausweise, Pflegeversicherung, aber auch um andere soziale Themen und Alltagsprobleme“, sagt die Sozialpädagogin. „Und es gibt nach wie vor Menschen, die nicht wissen, welche Unterstützungsmöglichkeiten es für sie gibt – obwohl ihr Kind eine Behinderteneinrichtung besucht.“ Seit anderthalb Jahren berät der Verein auf Türkisch auch zu Fragen der Demenz.

TIM organisiert außerdem Informationsabende und jede Menge Kurse im Nachbarschaftshaus Gostenhof, so etwa Computerkurse, Kochkurse, Schach oder auch Gedächtnistraining.

Doch was am Anfang als Ziel stand, darf auch jetzt nicht fehlen – die Begegnung und der Austausch unter den Betroffenen. Gelegenheit dazu bieten drei- oder eintägige Reisen, die alljährlich stattfinden. „Da sind auch Deutsche dabei. Die Gruppen sind immer bunt gemischt“, so Weigand-Wopp. Und wöchentlich lädt ein offener Frauentreff Interessierte ein. „Das alles wäre ohne die Unterstützung Ehrenamtlicher nicht möglich.“

Ein großes Anliegen für den Verein ist sein neues Projekt: der Aufbau eines internationalen Helferinnenkreises für ältere Migranten. Denn die Gesellschaft wird immer älter, auch bei Migranten wird die Gruppe der Senioren immer größer. Familien sind mit der Betreuung ihrer Angehörigen oft sehr überlastet und brauchen Unterstützung. Hier will der Verein ansetzen, erläutert die TIM-Mitarbeiterin: „Von uns werden ehrenamtliche Frauen ausgebildet. Sie können dann Familien mit Älteren aus ihrem jeweiligen kulturellen Kreis unterstützen.“ Dem Verein sind Solidarität und gegenseitige Hilfe wichtig, betont die erste Vorsitzende Kamile Erdemir: „In der Türkei gibt es ein Sprichwort: Eine Hand alleine kann nicht klatschen, aber mit zwei Händen kann man schon laut sein.“

TIM e.V.: Nachbarschaftshaus Gostenhof, Adam-Klein-Straße 6, offen von 9 bis 15 Uhr, 0911/27742577, www.timev.de



 

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