Rafati im NZ-Interview: "Der DFB ist scheinheilig"

13.2.2014, 08:30 Uhr
Rafati im NZ-Interview:

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NZ: Herr Rafati, Ihr Suizidversuch liegt gut zwei Jahre zurück. Wie geht es Ihnen heute?

Babak Rafati: Es geht mir so weit gut. Ich bin geheilt. Durch die Therapie hat man gelernt, eine gesunde Reaktion auf ungesunde Umstände zu zeigen. Ich betrachte alles mit neuen Augen. Ich habe den Blickwinkel geändert und die Krankheit besiegt. Ich bin durch äußere Umstände da hineingeraten, aber man muss selbstkritisch sehen, dass man sich auch vieles selbst angetan hat. Die Therapie hat mir unwahrscheinlich geholfen.

NZ: Was machen Sie heute?

Rafati: Ich bin als Dozent in der freien Wirtschaft unterwegs und versuche, Menschen zu helfen, damit ihnen nicht das Gleiche widerfährt wie mir. Wissen schafft Verständnis. Ich hatte damals keine Erfahrung mit dieser Krankheit, und das war mein Problem. Man kann viel Abhilfe leisten, wenn man seine Erfahrungen vorträgt, eigene Fehler transparent macht. Depression ist ein gesellschaftliches Phänomen im Berufsalltag.

NZ: Im Buch erzählen Sie, wie Sie es genossen haben, vor 60.000 Zuschauern aufzulaufen. Aber die jubeln doch nicht den Schiedsrichtern zu.

Rafati: Dennoch saugt man die Stimmung auf. Als Schiedsrichter ist man Teil des Spiels. Wenn 60.000 für ihre Mannschaft schreien, dann ist das Enthusiasmus und Leidenschaft pur – auch für den Schiedsrichter. Für mich war das wie ein Rausch.

NZ: Im Jahr 2011 gerieten Sie ins Kreuzfeuer der Kritik. Ihnen unterliefen Fehlentscheidungen, zum Teil hatten Sie schlicht Pech. War es das System Bundesliga oder war es der fehlende Rückhalt durch die Funktionäre Herbert Fandel und Hellmut Krug, der sie in die Depression trieb?

Rafati: In der Leistungsgesellschaft gehört Kritik dazu, gerade in der Spitze. Das haben Sie in der Politik, in der Wirtschaft. Da darf man nicht mit Samthandschuhen rechnen. Als Schiedsrichter ist man natürlich immer in der Kritik. Die Kritik seitens der Spieler oder der „kicker“- Umfrage muss man aushalten (die Bundesligaspieler wählten in der Umfrage des Fachmagazins Rafati mehrmals zum schlechtesten Referee der Liga; Anm. d. Red.). Volker Roth (der frühere Schiedsrichter-Chef, Anm. d. Red.) hat die Schiedsrichter intern hart, aber konstruktiv kritisiert, nach außen jedoch geschützt. Bei der neuen Führung mit Fandel und Krug war es so, dass mir vom ersten Tag an im Sommer 2010 ganz klar gezeigt wurde, dass sie mich loswerden wollten. In diesen 18 Monaten hat man mich systematisch gemobbt, man hat Entscheidungen im Graubereich immer gegen mich ausgelegt. Das Schlimmste war, dass mir das wiederholt auch die Schiedsrichter-Kollegen bestätigten. Der Weg in die Depression ist durch diese beiden Herren passiert – wobei ich betone: Für die Nacht im Kölner Hotelzimmer bin ich alleine verantwortlich. Das kann ich niemandem in die Schuhe schieben. Das war die Folge der Depression durch menschenverachtende Mechanismen.

NZ: Gab es eine Aussprache mit den DFB-Offiziellen nach dem Buch?

Rafati: Ich habe vom DFB bis heute keine Reaktion erhalten. Der DFB hat eine große gesellschaftliche Verantwortung und könnte anhand meines Beispiels, gerade nach Robert Enke, Menschen erreichen. Wir vergeben eine große Chance. Depression ist eine gefährliche Krankheit, es stehen Menschenleben auf dem Spiel. Die Herren beim DFB gehen dieser Problematik aus dem Weg. Es werden große Reden gehalten, aber die Hände bleiben in der Hosentasche. Neben Depressionen gibt es noch andere Tabuthemen, wie Homosexualität. Der DFB spielt dem Publikum etwas vor, das ist scheinheilig.

NZ: Ihr Buch handelt vom „Gefängnis der Konkurrenzgesellschaft“. Aber es ist auch eine Liebeserklärung an Ihre Frau.

Rafati: Als ich aufgewacht bin in der Klinik, dachte ich, dass meine Frau mich verstoßen würde, weil ich nicht auf sie Rücksicht genommen habe in dieser Nacht. Sie hat mir das aber niemals zum Vorwurf gemacht. Meine Frau hat während meines Heilungsprozesses eine absolut aufopferungsvolle Rolle gespielt. Wenn ich meine Frau nicht hätte, würde ich heute nicht leben, denn ich war auch nach der Tat noch eine tickende Zeitbombe. Sie hat stets hinter mir gestanden. In der Depression selbst ist man sehr egoistisch, aber wenn man über den Berg ist, spürt man, wie wichtig diese Themen sind: Liebe, Zuneigung, Achtsamkeit. Das habe ich früher, vor meiner Erkrankung, nicht so wahrgenommen.

NZ: In der Therapie sollten Sie eine Hitliste Ihrer Schreckensorte anfertigen. Im Spiel Nürnberg gegen Gladbach im Januar 2011 haben Sie einen Fehler gemacht und wurden deshalb von Club-Sportvorstand Martin Bader heftig attackiert. Hat Nürnberg daher einen Platz in Ihrer Hitliste, kommen Sie mit unguten Gefühlen in die Stadt?

Rafati (lacht): Überhaupt nicht. Ich verbinde mit Nürnberg auch gute Erinnerungen. Ich habe 2010 das Relegationsspiel gegen Augsburg gepfiffen, das Nürnberg 1:0 gewonnen hat, das lief sehr gut. Gut, dieses Spiel gegen Gladbach war für mich ein Scheißspiel. Aber das war eine sportliche Niederlage – und mehr nicht. Ich habe mich über die Einladung der Akademie sehr gefreut, das ist ein Zeichen der Wertschätzung. Ich will mir mit meiner Frau auch die Stadt ansehen. Dazu hatte ich früher als Schiedsrichter nicht die Gelegenheit.

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