Retten die Nürnberger "Sommertage" die Volksfest-Branche?

9.8.2020, 06:07 Uhr
 Retten die Nürnberger

© Foto: Stefan Hippel

Fast sieben Monate stand sein Riesenrad still. Das letzte Mal hatte es sich am 30. Dezember auf dem Rostocker Weihnachtsmarkt gedreht. Danach sollte es in die Winterpause gehen und ab März wieder auf Märkten und Volksfesten stehen - eben so, wie in jedem Jahr. Doch dann kam Corona "und nach und nach wurde alles abgesagt", sagt Sebastian Lorenz. Keine Veranstaltungen, keine Einnahmen, kein Verdienst für Schausteller, die das Verbot von Großveranstaltungen besonders traf: Denn dieses bedeutete für sie im Grunde ein Berufsverbot. Schausteller leben nun mal vor allem von solchen Events.


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So auch Sebastian Lorenz, dessen Familie bereits in der fünften Generation mit einem Riesenrad über die Lande zieht. Wie viele andere ist auch er in diese Welt zwischen Auf- und Abbau hineingeboren worden und wollte nie etwas anderes, auch wenn sein Vater einst darauf bestanden hatte, dass der Sohn auch noch was "Ordentliches" lernen sollte. Zähneknirschend machte er also eine Ausbildung zum Elektroinstallateur. "Heute bin ich froh darüber, man sieht ja, wie schnell sich alles ändern kann", sagt der 44-Jährige.

Erste Verdienstmöglichkeit bei den "Sommertagen"

Dass er heute mit seinem 30 Meter hohen Riesenrad auf dem Hauptmarkt gleich für fünf Wochen stehen kann, bezeichnet er als "Glücksfall". Denn die "Nürnberger Sommertage" bedeuten für die meisten der 70 teilnehmenden Schausteller die erste Verdienstmöglichkeit seit Monaten.

Die Corona-bedingte Auszeit hat auch viele andere Gewerbetreibende in eine gefährliche Schieflage gebracht und damit Existenzen bedroht. Auch Restaurants und Bars durften über viele Wochen hinweg gar nicht öffnen, was auch Zulieferer traf. Heute dürfen viele unter strengen Auflagen wieder öffnen, für manchen kamen die Lockerungen dennoch zu spät.

Dass nun Fahrgeschäfte auf dem Hauptmarkt und an acht weiteren Stellen in der Stadt stehen dürfen, sorgte von Anfang an auch für Kritik an der Verwaltung, die diese Veranstaltung mit vorangetrieben und auch genehmigt hatte. Zu viele Menschen, zu wenig Abstand - und das falsche Signal der Stadt in Zeiten von Corona, wie auch viele unserer Leser und User im Internet monieren. Die Stadt wehrt sich mit dem Verweis auf die strengen Vorgaben und dem bisher friedlichen Verlauf des Events.

"Müssen von unserem Puffer leben"

So mancher ärgert sich aber auch darüber, dass durch die großen Fahrgeschäfte die "gute Stube" Hauptmarkt verschandelt werden würde, schließlich stehen dort neben dem Riesenrad unter anderem auch eine Achterbahn und ein Autoscooter. Doch aus statischen bzw. Platzgründen kamen andere Plätze den Angaben zufolge für diese großen Fahrgeschäfte nicht in Frage.


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Doch nachdem wie berichtet aus München die klare Absage an der Großveranstaltung auf dem Volksfestplatz gekommen war, wollten und mussten die Schausteller handeln. "Wir mussten in den letzten Monaten von unserem Puffer leben", sagt Sebastian Lorenz, der als Berliner Schausteller deshalb zum Zuge kam, weil das Riesenrad, das sonst am Dutzendteich steht, bereits verplant war. Andere hätten diese Möglichkeiten nicht gehabt und wären in die Grundsicherung gerutscht, wie er erzählt.

Sicher, die Reisekosten fielen in den vergangenen Monaten weg. Geblieben sind aber die laufenden Kosten, wie etwa Versicherungen. Glück hatten Lorenz und seine Familie hier mit der Haftpflicht, die ja weiterlief und sich auf immerhin 15.000 Euro pro Jahr beläuft. "Da kam uns der Versicherer mit den Beitragszahlungen etwas entgegen, weil er ja wusste, dass wir keine Einkünfte haben."

Schausteller wollen sich nicht beschweren

Lorenz hat im Gegensatz zu anderen Kollegen im Winter nicht in neue Geschäfte oder Fahrzeuge investiert. Diese Kollegen müssen jetzt sehen, wie sie die Kosten wieder herein spielen können. Und das bleibt schwierig. Denn von Alltag und normalen Einkünften kann auch bei den Schaustellern noch lange keine Rede sein. So kann auch in Lorenz‘ Riesenrad wegen der Abstandsregeln und Hygienevorschriften nur ein Bruchteil der sonst 300 bis 400 Fahrgäste pro Tag einsteigen. "Aber wir beschweren uns wirklich nicht und sind einfach nur froh, jetzt arbeiten zu können", sagt er. Wobei sein Standplatz ein "echtes Highlight" sei.

So sehr er sich über den Zuspruch der Stadt und der Besucher freut, er bleibt verhalten. "Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Es kann ja ganz schnell auch wieder Schluss sein", sagt er. Auch deshalb ist nur mit zwei statt mit vier Mitarbeitern angereist und muss nun doppelt selbst mit anpacken. "Ich kann einfach nicht so viele Kosten produzieren", sagt er. Das sei bitter, weil er deshalb einem Teil seiner festen Saisonkräfte derzeit keine Perspektive bieten könne. Die stammen aus Polen und sind eigentlich auf den Job auf deutschen Volksfesten angewiesen.

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