Betrug und Mord?

Schwere Vorwürfe und schweigende Angeklagte – so lief der Prozessauftakt im Fall Alexandra R.

Saskia Muhs

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9.4.2024, 15:16 Uhr
Prozessauftakt im Fall Alexandra R. - verhandelt wird er unter anderem von Richter Georg Zaar.

© Saskia Muhs Prozessauftakt im Fall Alexandra R. - verhandelt wird er unter anderem von Richter Georg Zaar.

Das Medieninteresse am Prozessauftakt im Mordprozess ohne Leiche um die bis heute verschwundene hochschwangere Alexandra R. am Landgericht Nürnberg-Fürth war groß: Bereits gegen 8 Uhr tummelten sich dutzende regionale und überregionale Journalisten und Berichterstatter vor dem Justizgebäude an der Fürther Straße.

Sie alle sollten lange warten: Der für 9 Uhr angekündigte Sitzungsbeginn verschob sich um gut 25 Minuten, beide Angeklagte betraten erst um circa 9.25 Uhr den Gerichtssaal. Ein Grund für die Verspätung wurde nicht genannt. Die Familie von Alexandra R. ist zum Auftakt nicht anwesend. "Der Bruder der Geschädigten hat mich wissen lassen, dass er das psychisch nicht aushält", erklärt Anwalt Harald Straßner, der die Familie von Alexandra R. als Nebenkläger vertritt, im Vorfeld.

Der Prozess begann wie üblich mit der Aufnahme der Personalien, anschließend wurde die Anklageschrift verlesen. Der Angeklagte und ehemalige Lebensgefährte von Alexandra R. wirkte zunächst kleinlaut. Während die schweren Tatvorwürfe rund um die mutmaßliche Tötung der 39-Jährigen und ihres ungeborenen Kindes vorgetragen wurden, blätterte der 50-Jährige stirnrunzelnd in einem Aktenordner und wirkt abwesend, gleichgültig, fast schon gelangweilt – sein Blick ist stets gesenkt. Sein 48 Jahre alter Geschäftspartner, mit welchem er den gemeinschaftlichen Mord begangen haben soll, hört scheinbar aufmerksam zu, der Blick ist starr auf die Staatsanwältin gerichtet, er verzieht keine Miene.

Beide sitzen seit September 2023 in Untersuchungshaft, der Ex-Partner von Alexandra R. in der Justizvollzugsanstalt Bamberg, sein Geschäftspartner in Nürnberg. Beide machen von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch und äußern sich nicht zu den Tatvorwürfen, darunter Betrug, Geiselnahme und Mord in einem besonders schweren Fall.

Dubiose Immobiliengeschäfte und Streitigkeiten um Geld

Während der Beziehung mit Alexandra R. lebte der Angeklagte bei seiner langjährigen Lebensgefährtin und Verlobten und hielt sich offenbar nur gelegentlich bei Alexandra R. auf - es gab einige Streitigkeiten, heißt es in der Anklageschrift. Gemeinsam nahmen Alexandra R. und der Angeklagte ein 2020 geborenes Pflegekind auf. Der zum damaligen Zeitpunkt Arbeitslose entwickelte laut Anklage ein Geschäftsmodell, bei welchem er für Bekannte den Erwerb von Immobilien über Finanzierung organisiert haben soll.

Die Vermittlung der Immobilienkäufe sowie die anschließende Sanierung der oft älteren Objekte übernahm demnach eine GmbH, die durch den Angeschuldigten über einen Strohmann geführt wurde. Auch den Verkauf der sanierten Immobilien soll er mittels Provision laut Anklageschrift über diese GmbH abgewickelt haben. Von dem Gewinn führte er offenbar ein luxuriöses Leben, das Geld soll unter anderem in die Anschaffung von teuren Autos geflossen sein, die er "sehr geschätzt habe".

Seine in soliden Verhältnissen lebende Partnerin Alexandra R., Marktgebietsleiterin für mehrere Filialen der Postbank in Nürnberg und Schwabach, band er in seine Machenschaften offenbar mit ein: Zwischen 2014 und 2020 soll sie insgesamt 27 Immobilien auf Kredit gekauft haben. Seine GmbH soll diese dann saniert und vermietet haben.

Kurzzeitig wurde Alexandra R. in dem Unternehmen als Gesellschafterin und Geschäftsführerin eingesetzt, bevor ab 2020 der zweite Angeklagte und Geschäftspartner des Beschuldigten diese Posten übernahm und ihm ein monatliches Gehalt auszahlte. Trotzdem verfügte der Ex-Partner von Alexandra R. auch über die privaten Konten der damals 37-Jährigen. Die Streitigkeiten des Paares häuften sich – auch wegen der finanziellen Geschäfte. Alexandra R. soll sich zunehmend ausgenutzt gefühlt haben und entzog ihrem Partner daraufhin den Zugang zu ihrem Konto.

Er soll daraufhin gedroht haben, die gemeinsame Pflegetochter zu entführen. Er habe sie in ihrer Wohnung aufgesucht, beleidigt und sogar tätlich angegriffen. Aus Angst, das Kind zu verlieren, rückte R. das Passwort für ihre Bankkonten schließlich wieder heraus. Nachdem es weitere Beleidigungen und Angriffe gegeben haben soll, machte sie diese Entscheidung wieder rückgängig, trennte sich endgültig von ihrem Partner und ging mit ihrem Pflegekind im März 2022 in ein Frauenhaus. „Durch den Entzug des Zugriffs auf das Konto von Alexandra R. brach für die Angeklagten ihre Geschäftsgrundlage weg und sie gerieten in finanzielle Engpässe“, erklärt die Staatsanwältin im Gerichtssaal. Alexandra R. erstattete Anzeige, es bestand Kontaktverbot.

Um ihr Leben in Saus und Braus weiterführen zu können, sollen die Männer mit einer weiteren perfiden Masche versucht haben, an das Vermögen der Frau zu kommen. Dafür stellten sie laut Anklage außergerichtliche Zahlungsaufforderungen und Mahnbescheide in Höhe von mehr als 780.000 Euro aus – als angebliche Provision für Immobilien. Eine Summe, die laut Anklageschrift „völlig überhöht und teils frei erfunden“ war, weil sie sich auch auf Objekte bezogen, die nie verkauft wurden. Demnach sendeten sie die Mahn- und Vollstreckungsbescheide absichtlich an eine Adresse, bei welcher R. zwar Eigentümerin, aber nicht wohnhaft war, damit diese nicht zeitig auf die Forderungen reagieren konnte.

Die Bescheide sollen die Angeklagten selbst aus dem Briefkasten der Wohnung geholt haben, damit es so aussah, als seien diese erfolgreich zugestellt worden. Nachdem R. folglich der Zahlungsaufforderung nicht nachgekommen war, folgte kurze Zeit später, im Juni 2022, der Vollstreckungsbescheid – auch dieser ging an die falsche Adresse – die Folge: die Pfändung all ihrer Konten. Als sie im Juli 2022 schließlich davon Wind bekam, zeigte sie die beiden Angeklagten wegen Betrugs an, im Oktober wurde die Pfändung wieder rückgängig gemacht. In der Zwischenzeit konnte sie sich nur durch Unterstützung aus ihrem engeren Umfeld finanziell über Wasser halten, heißt es in der Anklageschrift. Sie war inzwischen in einer neuen Beziehung und schwanger.

Ein von langer Hand geplanter Mord?

Bereits zu diesem Zeitpunkt, so der Tatvorwurf, soll für die Angeklagten der Entschluss festgestanden haben, Alexandra R. zu töten, noch bevor es zu der Gerichtsverhandlung wegen Betruges kommt, damit sie ihren bisherigen Lebensstandard halten können. Die Staatsanwaltschaft wirft den Männern vor, bereits Monate vor der Tat mit gefälschten Ausweisen SIM-Karten gekauft zu haben, um einander am Tattag unerkannt kontaktieren zu können. Sie liehen sich im Vorfeld zudem einen alten Mitsubishi, der als Tatfahrzeug verwendet werden sollte.

Als Alexandra R. am Morgen des 9. Dezember 2022 ihre Pflegetochter in einen Kindergarten gebracht und mit ihrem BMW zu ihrem leerstehenden Anwesen in Schwabach fuhr, sollen ihr die Angeklagten gefolgt sein und sie anschließend überwältigt und mit Klebeband geknebelt haben. Als sie in den Mitsubishi gebracht wurde, leistete sie wohl keinen Widerstand mehr, weil sie "entweder bewusstlos oder eingeschüchtert war", so die Staatsanwältin, die Angeklagten folgten ihr in dem Mitsubishi.

Bevor sie die zum Zeitpunkt ihres Verschwindens 39-Jährige umgebracht haben sollen, sollen sie R. zunächst gezwungen haben, ihre Strafanzeigen in einem Brief zurückzuziehen. Auch wann und wo die im 8. Monat Schwangere schließlich getötet wurde, lässt sich nur mutmaßen. Infrage kommt dafür auch eine Lagerhalle im mittelfränkischen Sindersdorf. Laut Anklage sollte die Leiche in Südbayern entsorgt werden – gefunden hat man dort bislang nichts.

Nach dem Mord sollen sie Abschiedsnachrichten vom Handy der werdenden Mutter verschickt und dieses nach Italien gebracht haben, um eine falsche Fährte zu legen. Das Mordmotiv war nach Ansicht der Anklage unter anderem Habgier und Verdeckungsabsicht und niedrige Beweggründe.

Keine Überraschungen - Fortsetzung am Donnerstag

Weil beide Angeklagten schweigen, erfolgt die weitere Beweisaufnahme jetzt im sogenannten Selbstleseverfahren, erklärt Pressesprecherin des Oberlandesgerichts, Tina Haase, im Anschluss an die Sitzung gegenüber unserer Redaktion. "Die Prozessbeteiligten müssen jetzt alle Schriftstücke in Hausarbeit durcharbeiten", erläutert sie weiter. Sollten sich die Anklagepunkte im Laufe des Prozesses bestätigen, droht beiden Angeklagten eine lebenslange Haftstrafe.

Doch der Prozess gestaltet sich langwierig, glauben sowohl Tina Haase als auch Harald Straßner, der Anwalt von Alexandra R.s Familie: Da es keine Leiche gibt und beide Angeklagten schweigen, handelt es sich um einen reinen Indizienprozess. "Auch ein Indizienprozess kann für ein Mordurteil ausreichen, wenn genügend Indizien vorliegen, die das Gericht überzeugen", so Haase.

Straßner gibt sich zuversichtlich: Zwar gab es heute keine Überraschungen, doch bereits im Vorfeld umfassende Ermittlungen, so der Anwalt. "Es wurde jeder Stein umgedreht, den man braucht, die gute Vorarbeit ist eine gute Grundlage für das Gericht". Doch auch der Jurist geht von einem langen Prozess aus: "36 Verhandlungstage bis Ende Juli sind angesetzt – die werden wir aller Voraussicht nach auch brauchen", glaubt Straßner. Der nächste Verhandlungstag ist für Donnerstag, den 11. April, angesetzt.

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