Angebot für Opfer

Sexualisierte Gewalt: Wie Opfer in Nürnberg vertraulich Spuren sichern lassen können

Nina Dworschak

Volontärin Lokalredaktion Nürnberg

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1.5.2022, 10:00 Uhr
Fast 10.000 Fälle von sexualisierter Gewalt verzeichnete die Polizei im Jahr 2020 in Deutschland.

© imago images/Ute Grabowsky, NN Fast 10.000 Fälle von sexualisierter Gewalt verzeichnete die Polizei im Jahr 2020 in Deutschland.

Seit vergangenen Herbst gibt es die vertrauliche Spurensicherung am Klinikum Nürnberg. Gleichstellungsbeauftragte Roswitha Weidenhammer zieht eine erste Bilanz.

Seit Herbst gibt es im Klinikum Nürnberg die vertrauliche Spurensicherung. Menschen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, können dort Beweise sichern lassen, ob und wann sie Anzeige erstatten, entscheiden sie selbst. Wie ist die Bilanz bisher?

Roswita Weidenhammer: Wir hatten seit September 2021 neun Fälle. Es waren bisher nur Frauen, teilweise auch sehr junge Frauen. In einem Fall wurde auch tatsächlich Anzeige erstattet.

Roswitha Weidenhammer ist seit elf Jahren Gleichstellungsbeauftragte im Klinikum Nürnberg. Die Diplom-Verwaltungswirtin hat sich maßgeblich dafür eingesetzt, dass im Klinikum Nürnberg das Angebot einer vertraulichen Spurensicherung eingerichtet wurde.

Roswitha Weidenhammer ist seit elf Jahren Gleichstellungsbeauftragte im Klinikum Nürnberg. Die Diplom-Verwaltungswirtin hat sich maßgeblich dafür eingesetzt, dass im Klinikum Nürnberg das Angebot einer vertraulichen Spurensicherung eingerichtet wurde. © Jasmin Szabo, Klinikum Nürnberg

Was passiert genau bei einer vertraulichen Spurensicherung?

Weidenhammer: Das Prozedere beginnt mit einem ärztlichen Gespräch. Im Anschluss findet die gynäkologische Untersuchung statt, das kann man sich vorstellen wie beim Frauenarzt. Es werden Abstriche an den Kontaktstellen der Haut genommen, es gibt eine körperliche Untersuchung und es wird eine Urinprobe genommen, manchmal auch eine Blutprobe.

Müssen Opfer dafür ihren Namen nennen?

Weidehammer: Ja, es handelt sich schließlich um vertrauliche und nicht um anonyme Spurensicherung. Das wird wichtig, wenn sich das Opfer dazu entscheidet, Anzeige zu erstatten. Die Spuren müssen einer Person zugeordnet werden können. Aber alle Informationen bleiben unter Verschluss, während des ganzen Verfahrens gilt die ärztliche Schweigepflicht.

Es können sich auch Männer und Jugendliche bei Ihnen melden, oder?

Weidenhammer: Das Angebot gilt für alle Geschlechter, für jedes Alter und ist unabhängig von der sexuellen Identität. Auch die Beziehung zum Täter oder der Täterin spielt keine Rolle. Es ist egal, ob es sich dabei um den Lebenspartner oder die Lebenspartnerin handelt, der Täter ein enger Angehöriger ist oder Menschen aus dem beruflichen Umfeld übergriffig geworden sind. Wichtig ist auch: Die vertrauliche Spurensicherung ist kostenlos.

Was passiert, wenn sich Opfer zuerst an die Polizei wenden?

Weidenhammer: Dann wird der Fall zur Anzeige gebracht. Bei der Polizei gibt es die Beauftragten der Polizei für Kriminalitätsopfer, das sind geschulte Beamtinnen, die als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen. Der Gang zur Polizei macht Sinn, wenn ich mich sofort für eine Anzeige entscheide. Auch die Polizei geht mit den Opfern ins Klinikum und lässt dort Spuren sichern.

Und was ist der Unterschied zur vertraulichen Spurensicherung?

Weidenhammer: Beim Gang zur Polizei nimmt diese nach der Untersuchung die gesicherten Spuren mit und beginnt, den Tathergang zu klären. Das heißt, sie nimmt Kontakt zum Täter oder der Täterin auf, um letztendlich das Ganze vor Gericht zu bringen. Oft ist das eine Hürde für Opfer.

Wie meinen Sie das?

Weidenhammer: Allein die Tat ist etwas, mit dem man nicht rechnet. Es ist ein körperlicher Übergriff, der stark in den persönlichen Intimbereich eingreift. Viele Opfer haben Schuldgefühle und überlegen, ob sie die Tat möglicherweise provoziert haben oder ob sie irgendwas hätten anders machen sollen, sich stärker hätten wehren müssen. Wenn dann der Täter oder die Täterin aus dem engeren sozialen Umfeld kommen, dann fällt der Gang zur Polizei umso schwerer.

Da schwirren bestimmt viele Fragen durch den Kopf…

Weidenhammer: … genau. Opfer sexualisierter Gewalt befinden sich nach der Tat in einem Schockzustand. Viele sehen davon ab, in diesen Moment zur Polizei zu gehen, wollen erstmal zur Ruhe kommen. Sie wollen Zeit und die bekommen sie durch die vertrauliche Spurensicherung.

Wie viel Zeit haben Sie dann?

Weidenhammer: Bei Erwachsenen heben wir die Spuren zwei Jahre auf, bei Kindern und Jugendlichen fünf. Wird in diesem Zeitraum keine Anzeige erstattet, vernichten wir die Spuren. Wichtig ist, wir informieren die Opfer nicht darüber, es gibt keine Ankündigung. Das ist im Interesse des Opferschutzes.

Was sollten Betroffene nicht tun, wenn sie Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind?

Weidenhammer: Ganz wichtig ist es, dass sich Opfer nach der Tat weder duschen noch waschen. Das mag für Opfer ganz furchtbar sein und ich kann den Impuls nachvollziehen, aber es wäre grundfalsch, denn dadurch werden Spuren vernichtet. Außerdem sollten Opfer Dinge in Tüten packen, die mit der Tat in Zusammenhang stehen. Das kann Kleidung sein, Unterwäsche, Sexspielzeug oder Ähnliches.

Gibt es bei der vertraulichen Spurensicherung auch psychologische Beratung?

Weidenhammer: Im Rahmen des ärztlichen Gesprächs wird mit dem Opfer besprochen, ob es mit einer entsprechenden Unterstützung einverstanden ist. Wenn ja, würde eine Person aus unserem Kriseninterventionsteam hinzugezogen werden. Bei Bedarf würden wir in Absprache mit dem Opfer auch eine Dolmetscherin oder Dolmetscher kontaktieren.

Ist das Klinikum Nürnberg das einzige Krankenhaus in der Region, das eine vertrauliche Spurensicherung anbietet?

Weidenhammer: Nein, inzwischen hat das Klinikum Ansbach ebenfalls dieses Angebot und auch in der Frauenklinik der Uniklinik Erlangen ist man ziemlich weit. Wir versuchen ein flächendeckendes Angebot zu schaffen.

Wie gehe ich als Opfer vor? Gehe ich einfach in die jeweilige Notaufnahme?

Weidenhammer: Genau. Wenn Ihnen der Begriff vertrauliche Spurensicherung einfällt, dann diesen bei der Anmeldung auch gerne nennen. Ansonsten sollten Betroffene einfach erläutern, was ihnen passiert ist. Die Frauen, von denen ich vorhin gesprochen habe, haben die vertrauliche Spurensicherung im Rahmen einer Erstuntersuchung machen lassen.

Könnten Opfer die Spuren auch mitnehmen?

Weidenhammer: Nein. Entscheidet sich ein Opfer Anzeige zu erstatten, übergeben wir die Spuren der Polizei. Die braucht dafür einen richterlichen Beschluss. An das Opfer selbst oder Angehörige händigen wir die Spuren nicht aus, egal was die Personen sagen, warum sie die Beweise haben möchten.

Müssen Betroffene tatsächlich verletzt sein, um die vertrauliche Spurensicherung in Anspruch zu nehmen?

Weidenhammer: Eine körperliche Verletzung, sprich eine blutende Wunde oder Ähnliches, braucht es nicht. Die Entscheidung fällt meist aus dem eigenen Impuls heraus. Lieber einmal zu oft ins Krankenhaus als wertvolle Zeit verstreichen zu lassen. Das gilt übrigens auch für Männer.


Sind Sie Opfer von sexualisierter Gewalt geworden? Oder befürchten Sie, dass eine Person in Ihrem Umfeld betroffen sein könnten? Hier finden Sie eine Liste von Beratungsstellen, an die sie sich wenden können.

- Weißer Ring Nürnberg Stadt, Telefon: 0151/ 55 16 46 70

- Hilfetelefon, Telefon: 0800/ 116 016 (mehrsprachig)

- Krisendienst Mittelfranken, Telefon: 0911/ 42 48 55 0

Speziell für Frauen:

- frauenBeratung Nürnberg, Telefon: 0911/ 28 44 00

- Frauenhaus Nürnberg, Telefon: 0911/ 33 39 15

Speziell für Männer:

- Jugendbüro Nürnberg, Telefon: 0911/ 52 81 47 51

- Bayernweite Notfallnummer: 0800/ 123 99 00

Speziell für Kinder und Jugendliche:

- Kinderschutzbund, Telefon: 0911/ 92 91 90 00

- Wildwasser e.V., Telefon: 0911/ 33 13 30

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