"So schnell wie möglich prüfen, ob der Markt das Produkt sucht"

24.8.2018, 19:06 Uhr

© Thomas Tjiang

Im Innovationslabor Josephs in der Nürnberger Innenstadt findet sich noch bis Ende August eine Insel des Nürnberger Start-ups Vitas. Besucher können hier den Prototyp eines Sprachassistenten, basierend auf Künstlicher Intelligenz, dem sogenannten Deep Learning, ausprobieren. Bei diesem Testfall mit dem Telefon aus Omas Zeiten sollen Anrufer einen Tisch in einem Restaurant reservieren. Tag, Uhrzeit, Anzahl und Name werden abgefragt. Allerdings hapert es etwas beim Namen "Müller". Das sei eine Kinderkrankheit, die sich mit der aktuellen Version beheben lasse, erklärt der Gründer und Chef von Vitas, Thomas Wieczorek.

Die Akzeptanz testen

Ihm und Mitgründer René Straub ging es zunächst einmal darum, von den Besuchern des Josephs etwas über die Akzeptanz zu erfahren. Was soll ein intelligenter Sprachassistent können und welche Anwendungsbereiche sind denkbar — das sind die zentralen Fragen des zu Jahresbeginn gegründeten Start-ups. Die Idee dahinter ist einleuchtend: "Sprachassistenz wird das nächste große Ding", ist sich Wieczorek sicher. Tastaturen und Computermäuse sind aus Sicht des Informatikers bald überholt, bis 2030 könnten Touchscreens verschwunden sein. "Sprache ist die natürlichste Kommunikationsform", entsprechend könnte künftig das, was heute noch in Rechner und Smartphones getippt wird, zunehmend per Sprache erledigt werden. Was Verbraucher heute noch per Reservierungsplattformen in Online-Masken eingeben müssen, möchte Vitas über selbstlernende Algorithmen mit Spracherkennung und Sprachverständnis bei standardisierten Telefonanrufen abwickeln.

Mit dieser Lösung müssen keine Telefontasten mehr gedrückt werden oder deutlich "Ja" oder "Nein" gesagt werden. Stattdessen fühlt sich das Gespräch an wie ein Dialog mit einer realen Person. An der Lernfähigkeit der intelligenten Spracherkennung hat Vitas keinen Zweifel. In ein paar Jahren könnte die Technik so ausgereift sein, dass sie sogar in Call Centern eingesetzt werden kann. "Das ist unsere große Vision". Doch zunächst haben sich Wieczorek und Straub für einen schnellen Markteintritt entschieden: Versuche so geschwind wie möglich zu prüfen, ob der Markt dein Produkt sucht, lautet die Devise.

Entsprechend haben sie sich Anwendungsfelder "mit einfacher Komplexität" gesucht. Dazu gehört zum Beispiel, den Tisch im Restaurant zu reservieren, einen Friseurtermin zu vereinbaren oder Blumen zu bestellen. "Start small, scale fast", also klein starten und schnell und skalierend wachsen, gibt Wieczorek die Marschrichtung vor.

Denn der Verbraucher soll so schneller zum Ziel, sprich Tisch, Termin oder Blumenstrauß, kommen. Für kleine und mittlere Betriebe bedeutet es vor allem keine Unterbrechung im Tagesgeschäft durch Anrufer. Gleichzeitig wird das Geschäft durch den intelligenten Sprachassistenten mitgenommen.

Doch ganz so einfach ist es doch nicht. So muss im Hintergrund ein digitaler Kalender penibel geführt werden, damit es nicht zu Dopplungen oder Überschneidungen kommt. Außerdem ist selbst eine Tischreservierung nicht ganz trivial. Geht es um einen Stammplatz, bei schönem Wetter lieber draußen im Biergarten oder um vegane Gerichte, kommt das System aktuell noch ins Straucheln. Ähnlich ist es beim Friseur, wenn es um ergänzende Beauty-Leistungen geht.

Marktfähig am Jahresende

Vitas hat über die Forschungsinsel im Josephs viele wichtige Impulse bekommen. Die werden nun ab September von einem dreiköpfigen Vitas-Team im Nürnberger Digital-Inkubator Zollhof, Schritt für Schritt eingebaut. Ende des Jahres soll die erste Version marktfähig sein, aktuell werden noch Pilotkunden für die Business-Anwendung gesucht.

Am Kern seiner Lösung hat Thomas Wieczorek keinen Zweifel und verweist auf dem Streaming-Riesen Netflix, der zunächst als Online-Videothek mit DVD-Versand gestartet ist. Die Lektion für Vitas lautet, als Startup die Flexibilität erhalten, aber zugleich bei der eigenen Kompetenz bleiben.

An dem Potenzial des Deep Learning von Sprachassistenten hat Vitas keinen Zweifel. "Wir wollen ganz groß werden". Wieczorek plant, bis etwa im Jahr 2025 mehr als 1000 Mitarbeiter zu beschäftigen. Dazu soll auch in die Forschung eingestiegen werden, um praktische Anwendungen selbstlernender Sprachsysteme auszureizen.

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