Angriffe auf Polizisten

Traurige Statistik: Immer mehr Angriffe auf Bayerns Polizisten - Minister ist besorgt

17.5.2021, 16:39 Uhr
Das Problem mit ausufernder Gewalt beschäftigt viele Polizisten in Bayern. 

© Michael Matejka Das Problem mit ausufernder Gewalt beschäftigt viele Polizisten in Bayern. 

Mit der rechten Hand krempelt Marc Hofmann den linken Ärmel seines Uniformhemdes nach oben. Auf seiner Haut sind sie noch deutlich zu sehen: die Bissspuren eines Menschen. Die Narben werden ihn auch in Zukunft noch an einen Einsatz mit ungutem Ausgang erinnern. Wie es dazu kam? Seine Kollegin und der 23-jährige Polizeimeister erhalten eines Nachts im Dienst von der Einsatzzentrale (EZ) in Nürnberg einen Auftrag.

Es ist Samstag, der 10. Oktober 2020. Die Mitteilung aus der EZ verheißt nichts Gutes: Ein Mann in einer Spielothek wirkt betrunken, sehr aggressiv und sucht Streit. Die Spielhölle liegt in der Sandstraße und damit im Zuständigkeitsbereich der Polizeiinspektion Mitte, in der die beiden Einsatzkräfte ihren Dienst leisten. Die Beamten sprechen den Mann an, der wirkte aggressiv. Der Grund seiner Wut wird im Gespräch klar. Er hatte kurz zuvor 700 Euro verspielt. "Wir überredeten ihn, die Spielothek mit uns zu verlassen", berichtet Hofmann. Der Mann erhält einen Platzverweis.

Große, blutunterlaufene Bisswunden

Dann bekommt der Angesprochene einen Schub, beleidigt die Beamten, greift sie an. Es kommt zur Festnahme. Der 38-Jährige beruhigt sich nicht, versucht sich immer wieder zu befreien. "Beim Gerangel am Boden ergriff ich seinen Kopf, um zu verhindern, dass er auf den Asphalt prallt und um mich zu schützen, falls er mir einen Kopfstoß zu verpassen versuchte", erzählt der Polizeimeister. Seine Kollegin fordert weitere Streifen an. "Dann merkte ich einen Biss in den linken Unterarm. Ich schrie, 'er beißt mich, er beißt mich' und forderte ihn lautstark auf, das zu unterlassen." Aber ohne Erfolg. Erst als Unterstützung eintrifft, gelingt es, den Biss zu lösen und den Täter zu fixieren. Hofmann steht unter Schock, lässt seinen Unterarm mit zwei großen, blutunterlaufenen Bisswunden begutachten. Er kommt dann in die Klinik, der Arm wird desinfiziert und verbunden. Eine Woche ist der junge Polizist krankgeschrieben.

Der Täter kommt nach einer Nacht in der Haftzelle am nächsten Tag wieder auf freien Fuß. Der 38-Jährige war in Nürnberg gemeldet, doch wohnte er da nicht mehr. Eine Fahndung wird eingeleitet, gegen den Gesuchten liegt nun ein Haftbefehl vor.

Im Dezember 2020 entdeckt eine Streife der Bundespolizei den 38-Jährigen im Nürnberger Hauptbahnhof und nimmt ihn aufgrund des bestehenden Haftbefehls fest. Abermals leistet der Mann Widerstand und verhält sich aggressiv, diesmal in der Wache der Bundespolizei am Hauptbahnhof. Bis April sitzt der "Herr", wie Polizeimeister Hofmann den bisswütigen Täter nennt, in Untersuchungshaft. Im April kommt es zur Gerichtsverhandlung, bei der weitere Straftaten bekannt wurden, die der 38-Jährige verübt hatte. Das Urteil: Zwei Jahre und drei Monate Haft.

Angreifer mit scharfen Schusswaffen

Marc Hofmanns Bericht über den Einsatz mit bösen Folgen bildet den Abschluss der Pressekonferenz im Polizeipräsidium Nürnberg mit Bayerns Innenminister Joachim Herrmann und dessen Kollegen Justizminister Georg Eisenreich. Der Angriff auf den Beamten in der Sandstraße ist einer von vielen, berichtet Herrmann. Attacken auf Einsatzkräfte hätten im vergangenen Jahr einen "traurigen Höchststand" erreicht.

"Bayernweit wurden insgesamt 8587 Fälle von verbaler und körperlicher Gewalt gegen Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte registriert. Verglichen mit dem Jahr 2019 sind das 628 Fälle mehr - ein äußerst besorgniserregender Anstieg." Eine deutliche Zunahme habe es bei den Delikten körperlicher Gewalt gegeben: 4746 Fälle, 245 mehr als im Vorjahr. "In neun Fällen führten Angreifer eine scharfe Schusswaffe mit, vier Mal wurde ein Beamter damit sogar bedroht. 19 Angriffe erfolgten mit sonstigen Schusswaffen wie einer Schreckschusspistole. In 114 Fällen hatten die Täter Hieb- und Stichwaffen dabei."

17 schwerverletzte Ordnungshüter

Der Großteil der attackierten Beamtinnen und Beamten ist im Wach- und Streifendienst (85 Prozent). Einsatzkräfte werden laut Statistik auch in größeren Städten häufiger zur Zielscheibe als in ländlichen Gegenden. Auch der Anteil der verletzten Einsatzkräfte ist gestiegen - um 210 Betroffene auf 2809. "Darunter waren 17 Schwerverletzte", so Herrmann. Insgesamt seien vor diesem Hintergrund in Bayern 3242 Dienstausfalltage und nahezu 26.000 Arbeitsstunden zu beklagen.

Eine Rolle für den Anstieg in diesen Bereichen spiele laut Herrmann die Pandemie und die damit einhergehenden Infektionsschutzmaßnahmen. Die Polizei "musste zur Überwachung der Maßnahmen die Kontrollen signifikant erhöhen". Polizisten kontrollierten mehr als 3,4 Millionen Mal und zeigten 165.000 Verstöße an.

Polizist muss Augen rechts. links und hinter sich haben

Innenminister Herrmann und Justizminister Georg Eisenreich erinnern an den massiven Polizeieinsatz im Englischen Garten in München am Wochenende vor einer Woche, als Flaschen und Fäuste flogen. Die Bilanz ist erschreckend: Am Ende waren 19 Personen verletzt, darunter auch Polizisten. Dabei wollten die Einsatzkräfte nur eine Schlägerei unter Jugendlichen beenden, schließlich solidarisierten sich aber mehrere hundert Personen. Sie umzingelten die Beamten, es kam zu tumultartigen Szenen und Angriffe auf die Einsatzkräfte. Mit Unterstützung weiterer Polizisten konnte die Situation wieder unter Kontrolle gebracht werden.

"Das ist ein neues Phänomen, dass sich immer öfter wie in dieser Situation im Englischen Garten weitere Personen solidarisieren und plötzlich ein Feindbild haben: die Polizei", sagt Thorsten Grimm, stellvertretender Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Bayern. Die Polizisten müssten heutzutage die Augen rechts, links und hinter sich haben, um eine Eskalation rechtzeitig zu erkennen. "Die Polizisten und Polizistinnen müssen in ihrer Ausbildung verstärkt auf solche Einsätze vorbereitet werden", sagt er.

Ein neues, beschleunigtes Verfahren

Seit einer Gesetzesänderung 2017 werden Angriffe auf Einsatzkräfte, auch auf die der Feuerwehren, des Katastrophenschutzes und der Rettungsdienste, härter bestraft. "Seit Mai 2017 gilt der neue Straftatbestand 'Tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte'. Der verschärfte Strafrahmen beträgt drei Monate bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe", sagt Justizminister Eisenreich. Seit 1. November 2018 erproben die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg und das Polizeipräsidium Oberpfalz ein Konzept, mit dem Übergriffe auf Einsatzkräfte schneller bearbeitet werden sollen. Widerstand und tätlicher Angriff werde dabei priorisiert behandelt. "Durch die beschleunigte Sachbearbeitung soll der Vorgang möglichst schon 14 Tage nach der Tat an die zuständige Staatsanwaltschaft abgegeben werden", sagt Eisenreich. Seit Ende 2020 ist dieses Konzept in ganz Bayern flächendeckend eingeführt worden.

Auch der Angriff gegen Marc Hofmann ist einer, der priorisiert behandelt wurde. Allerdings liegt zwischen der Tat und der Verurteilung des 38- jährigen Täters ein halbes Jahr. Hat sich denn seine Einstellung zum Beruf "Polizist" nach dem Angriff verändert? Hofmann: "Nein, tatsächlich nicht. Wenn man den Beruf anstrebt, muss einem klar sein, dass es zu solchen Situationen kommen kann. Ich vertraue meinem Können und dem Können meiner Kollegen."

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