Unter Verdacht: Nürnbergerin erzählt von ihren Rassismus-Erfahrungen

8.6.2020, 05:55 Uhr
Lena Meinhold ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Trotzdem muss sie Fremden ständig erklären, woher sie "eigentlich" kommt.

© Hans-Peter Kastenhuber Lena Meinhold ist in Deutschland geboren und aufgewachsen. Trotzdem muss sie Fremden ständig erklären, woher sie "eigentlich" kommt.

Es war in der Adventszeit irgendwann Anfang der 90er Jahre. Im Kindergarten liefen die Vorbereitungen für das Krippenspiel in der Mögeldorfer Kirche. Die kleine Lena wollte unbedingt ein Engel sein. Eine Frau, in Lena Meinholds Erinnerung war es die Pfarrerin, erklärte dem Kind, dass das nicht gehe, "weil Engel anders aussehen". Engel sind nicht schwarz. Für Lena blieb nur eine Rolle als Hirte oder, noch besser, als der eine da von den Heiligen Drei Königen. Als Dreijährige konnte Lena diese Zurückweisung nicht verstehen. Rassismus ist nichts, was zur Vorstellungswelt von Dreijährigen gehört. Lena mochte ihre weißen Freundinnen und Freunde, und die mochten die fröhliche Lena, auch wenn ihnen natürlich auffiel, dass deren Haut deutlich dunkler war.

Lena Mariama Meinhold wurde von einer 16-jährigen Eriträerin, die als Flüchtling nach Deutschland kam, 1990 in Nürnberg zur Welt gebracht. Die mit ihrer Situation überforderte Mutter gibt das Baby zur Adoption frei. Mit ein, zwei Wochen kommt Lena in ihre weiße Familie. Die Mutter ist Deutsch- und Französischlehrerin, der Vater Arzt. Das Kind wächst in einer behüteten, liebevollen und von wirtschaftlichen Sorgen freien Umgebung auf.

Der Zwang, sich zu erklären

Die Frage "Wo kommst du denn her?" begleitet Lena dennoch seit ihrer Kindheit. Sie wurde ihr in den bürgerlich-privilegierten Wohngegenden Nürnbergs, in denen sie aufwuchs, allenfalls etwas freundlicher gestellt, als das auf den Straßen anderer Viertel der Fall gewesen wäre. Aber mit dem Zwang, sich und seine Herkunft ständig erklären zu müssen, fängt Alltagsrassismus an. Eine schwarze Deutsche muss oft bei der ersten Begegnung mit anderen Menschen darüber Auskunft geben, woher sie "eigentlich" kommt und wie das mit der Adoption so war. Wie selbstverständlich muss sie Menschen, von denen sie selbst kaum etwas weiß, ihre halbe Lebensgeschichte erzählen. Lena beneidet bis heute ihren drei Jahre nach ihr in die Familie gekommenen, etwas hellhäutigeren Adoptionsbruder. "Bei dem reicht oft schon die Antwort: Vater schwarz, Mutter weiß."


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Krasse Geschichten vom Alltagsrassismus in Deutschland könnte freilich auch der Bruder erzählen. Etwa davon, wie er mit 14 Jahren im Hauptbahnhof-Untergeschoss mal etwas zu schnell die Richtung geändert hatte, von einer Polizeistreife sofort festgehalten, gegen die Wand gedrückt und nach Drogen durchsucht wurde. Weil schwarze Haut als Verdachtsmoment ausreicht. Auch Lena kennt das. "Seit ich den Führerschein habe, werde ich immer wieder zu Kontrollen rausgezogen." Das Vorzeigen der Papiere reicht dann meistens nicht aus. "Sie haben getrunken", heißt es auch ohne jeden Grund. Und wenn das Pusten ins Röhrchen 0,0 Promille ergibt, muss die junge Frau dennoch zur Beweis ihrer Nüchternheit auf einer Linie laufen, danach noch Warnweste und Warndreieck vorzeigen, bevor man sie ohne Entschuldigung weiterfahren lässt. Oder man verkauft, wie ein Polizist Anfang des Jahres, seinen Rassismus als Scherz. "Der fragte mich beim Blick in meinen Führerschein völlig unvermittelt: So, Frau Meinhold, welche Drogen haben wir denn heute konsumiert?"

Lena Meinhold ist keine hysterische, von Verfolgungsfantasien getriebene Person. Sie ist im Grunde das genaue Gegenteil. Eine zu Offenheit und Selbstbewusstsein erzogene, freundliche junge Frau. Unter den gleichaltrigen Weißen, mit denen sie aufwuchs, war sie immer beliebt. Sie weiß, dass das manchmal auch damit zu tun hatte, dass in der Jugendszene schwarze Kultur wie Hip-Hop und R&B als cool gelten.


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Aber auch ins Positive gewendet bleiben rassistische Klischees Rassismus. Etwa wenn beim abendlichen Weggehen irgendwelche Fremde im Club besonders cool an Lena oder ihrem Bruder vorbeigehen und ihnen jovial die Gettofaust entgegenstrecken. Oder wenn man Lena beim Tanzen attestiert, dass ihr Rhythmus im Blut stecke und man sich auch nicht wundern müsse, dass sie so gut singen kann. Schwarze können das. "Wenn man Leute darauf anspricht, sehen viele das als unberechtigten Angriff auf sich selbst", erzählt Lena Meinhold. "Und im Gespräch geht es dann sofort nur um sie, weil man doch schließlich wissen müsse, dass sie nichts gegen Schwarze haben und so weiter . . ."

"Du nicht!"

In manchem Club der Stadt war Lena nachts oft die einzige Schwarze, die es nach innen geschafft hatte. Man kannte sie. In einem besonders angesagten Laden erlebte sie eines Nachts dann doch einmal das Apartheidssystem des Nachtlebens. Die ganze Clique durfte rein, bei ihr hieß es ohne Begründung "Du nicht!". Einige Zeit später tauchte genau dieser Türsteher in der Arztpraxis als Patient auf, in dem Lena damals als medizinische Fachangestellte arbeitete. Sie erzählte ihrem Chef von dem Vorfall an der Clubtür. "Der Patient kam dann ganz betreten aus dem Behandlungsraum heraus und entschuldigte sich bei mir. Von da an stand ich in dem Club auf der Gästeliste." Genugtuung verschaffte ihr das nie. Weil sie wusste, dass andere Schwarze oder Türken vom Türsteher draußen mit Sprüchen wie "Mit diesen Schuhen nicht!" abgewiesen wurden. Nicht sehr lustig ist es auch, wenn man als Arzthelferin einem Patienten Blut abnimmt und von dem Mann darauf hingewiesen wird, dass "das ganz reines arisches Blut" sei. Oder wenn ein anderer sich am Empfangstresen erkundigt, ob der Chef denn nichts dagegen habe, dass man hier solche "Negermusik" höre.


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Lena hat solche Erlebnisse meist für sich behalten. Weil sie sich zwar beleidigt fühlte, ihr der Rassismus dieser Menschen aber auch immer irgendwie peinlich war. Ihr, dem Opfer. Den Tätern offenbar nicht. Die junge Frau kann aber auch von Vorfällen erzählen, bei denen Leute wirklich aggressiv und handgreiflich wurden. Etwa als ihr nachts an einer Straßenbahnhaltestelle ein Passant ihren kurz auf dem Boden abgestellten Trinkbecher gegen den Kopf warf und schrie, ob man das in Afrika so lerne, den Müll einfach wegzuschmeißen. Damals sprangen ihr Freunde zu Hilfe. Als sie mit 14 in einem Bus von einer älteren Frau in ähnlicher Weise beschimpft wurde, weil sie angeblich nicht ordentlich genug auf ihrem Platz saß, "da hat von den ganzen anderen Fahrgästen niemand was gesagt". Sie hätte es sich gewünscht. Seit das Entsetzen über den Tod von George Floyd und über die in den USA zum Alltag gehörende Polizeigewalt gegen schwarze Menschen auch hierzulande zu öffentlichen Protesten gegen Rassismus geführt hat, ist Lena Meinhold von der Hoffnung erfüllt, dass sich in den Köpfen etwas bewegt. "Mir sagen jetzt viele: Ich mache mir gerade Gedanken – und zwar auch darüber, warum ich mir erst jetzt Gedanken mache."

In den USA nicht sicher

Die 30-jährige Frau war am Samstag selbstverständlich auch bei der Nürnberger Kundgebung auf der Wöhrder Wiese dabei. Weil sie spürt, "dass die rassistische Gewalt in den USA durchaus etwas mit mir zu tun hat und ich mich als Schwarze dort nicht sicher fühlen könnte". Und weil sie sich wünscht, dass auch ihr Land, Deutschland, etwas dazulernt in Sachen Menschenwürde. Dabei hätte Lena Meinhold momentan eigentlich anderes zu tun. Sie bereitet sich gerade auf die Abiturprüfungen an der Berufsaufbauschule vor. "Es fällt mir sehr schwer, mich darauf zu konzentrieren." Mitschülerinnen haben ihr vorgeschlagen, beim Lernen einfach das Handy wegzulegen und nicht auf die Nachrichten aus den USA zu schauen. "Bei denen geht das vielleicht", sagt Lena. "Bei mir nicht, denn ich bin trotzdem schwarz."

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