Von ganz unten wieder ins Leben

20.9.2019, 18:24 Uhr
Von ganz unten wieder ins Leben

Ein Gefühl, das Karima B. (Name geändert) in ihrer Kindheit nie erlebt hatte. Zu Hause führte der Vater
ein Regiment aus Gewalt und Vernachlässigung in der Familie
mit den fünf Kindern. Auch in der Schule war das schüchterne Mädchen eine Außenseiterin, fand kaum Anschluss. Nach dem Hauptschulabschluss zog es die Jugendliche vor, im Heim zu leben. "Daheim ging es einfach nicht mehr", wie die heute 25-Jährige sagt. Im Heim fühlte sie sich noch einsamer. Doch irgendwann war da diese Clique, in der sie das erste Mal so etwas wie Geborgenheit erfuhr. Ein trügerisches Gefühl, denn der Kitt, der die Gemeinschaft zusammenhielt, waren Drogen – und Karima B. war auf dem Weg nach unten.

Seitdem gehörte der Rausch zu ihrem Leben – irgendwann steckte sie im Sumpf der Sucht. Da war sie gerade einmal 16 Jahre alt geworden. Kräutermischungen, Amphetamine, Alkohol. Alles zusammen und immer mehr davon. "Und mit 18 Jahren lernte ich dann die Straße kennen." Sie schlief im Freien oder in "Junkie-Buden", wie sie es formuliert, finanzierte ihre schwere Sucht mit Dealen und versuchte, die Tage zu schaffen.

Zügelloser Konsum

Sie kam dennoch nicht unter die Räder. Zum einen hatte sie Glück in ihrem zügellosen Konsum von zuweilen unkalkulierbaren Suchtmitteln. Und sie suchte sich Hilfe. Bei der Drogenhilfe "Lilith" wollte sie zunächst nur etwas Warmes in den Bauch bekommen, sich duschen, ihre Wäsche waschen. Aber irgendwann unterhielt sie sich auch mit den anderen dort, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatten, und mit den Pädagogen vor Ort, die Frauen auffangen, von denen sich die Gesellschaft in der Regel abwendet.

Sie begann eine Therapie und scheiterte doch. Wieder holte ihre Sucht sie ein und sie wäre fast daran gestorben: Am Neujahrsmorgen 2018 wird sie mit einer lebensbedrohlichen Überdosis ins Krankenhaus gebracht und überlebt. Danach stand für sie fest, wirklich mit den Drogen aufhören zu wollen, und sie ging wieder zu "Lilith".

Bereits seit 24 Jahren kümmert sich "Lilith" auf ganz unterschiedliche Weise um drogenabhängige Frauen und Kinder. Im Frauencafé etwa gibt es die Möglichkeit, sich zu entspannen, etwas Warmes zu essen, sich Rat zu holen. Streetworker bringen nicht nur Zeit zum Zuhören mit, sondern auch sauberes Spritzbesteck oder Kondome. Eine Mütter-Sprechstunde bietet der Verein genauso an wie eine Beratung durch Frauen – und die Möglichkeit zu arbeiten: Im "Lilith"-Laden in der Jakobstraße können 14 Betroffene wieder eine sinnvolle Aufgabe finden. Für manche ist es eine vom Jobcenter finanzierte Qualifizierungsmaßnahme, andere müssen hier wegen einer richterlichen Auflage Stunden ableisten, wieder andere verkaufen die Secondhand-Kleidung ehrenamtlich.

"Das Thema Arbeit beschäftigte uns von Anfang an, weil viele unserer Klientinnen langzeitarbeitslos sind", sagt "Lilith"-Geschäftsführerin Daniela Dahm. Zehn Jahre nach der Eröffnung ist man zufrieden mit den Umsätzen, aber vor allem mit der Wirkung. "Die Arbeit stabilisiert enorm und dadurch reduziert sich natürlich auch der Konsum", sagt Daniela Dahm. Zum anderen wolle man dadurch versuchen, diese Frauen auch wieder auf dem ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.

Dass dies keine fixe Idee ist, zeigen all die Frauen, die dies geschafft haben – und zu denen gehört auch Karima B.. Auch sie arbeitete im Laden und hatte Freude daran. Die Anerkennung motivierte sie, ihr Leben auch beruflich in die Hand zu nehmen: Seit September macht sie eine Ausbildung zur Verkäuferin in einem regulären Betrieb.

Wichtige Partnerin

"Dass wir Frauen über den Laden eine Brücke in den Arbeitsmarkt bauen können, liegt nicht nur an all den vielen Kleiderspenden, sondern vor allem an der guten Zusammenarbeit mit dem Jobcenter", sagt Daniela Dahm. Die Mitarbeiter dort hätten "Lilith" zum Glück auf dem Schirm. Beim Jobcenter hingegen ist man froh, solche Arbeitsplätze im Angebot zu haben. "Lilith ist zu einer
wichtigen Partnerin geworden", sagt Sabine Schultheiß, Geschäftsführerin des Jobcenters Nürnberg-Stadt. Denn dadurch gelinge auch die Teilhabe von Menschen, die nicht in der Mitte der Gesellschaft stünden.

Karima B. ist in die Mitte zurückgekehrt. Inzwischen bewohnt sie eine kleine Zweizimmerwohnung. Sie büffelt, geht arbeiten, ins Fitnessstudio und führt ein Leben ohne Drogen. Auch wenn die noch im Kopf sind. "Die Sucht kann man nicht einfach hinter sich lassen, man muss sich immer wieder mit ihr auseinandersetzen", sagt sie. Doch die Todesangst, die sie mit der Überdosis durchlebt hatte, hilft ihr, die Finger von Drogen zu lassen.

Ihr Leben ist überschaubar. Ein, zwei Freundinnen gibt es, ihre Familie hat sie schon "viele Jahre" nicht mehr gesehen. Sie ist häufig alleine. "Aber das schaffe ich gut", sagt sie. Den Kontakt zur Szene hat sie längst abgebrochen. Sie konzentriert sich auf ihre Ausbildung und ihren neuen Weg – jenseits der Sucht.

InfoDer "Lilith"-Laden feiert sein zehnjähriges Bestehen am Dienstag, 24. September, von 14 bis 18 Uhr mit einer großen Open-Air-Party am Richard-Wagner-Platz.

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