Vorstadtkakerlaken und Hundefresser: Wie Franken ihre Nachbardörfer beschimpfen

2.4.2021, 05:49 Uhr
Kennen sich aus mit Pflasterscheißern aus Gunzenhausen und dem Bimberla aus Lauf: Kerstin Himmler und Martin Droschke in ihrer kleinen Ausstellung

© Stefan Hippel Kennen sich aus mit Pflasterscheißern aus Gunzenhausen und dem Bimberla aus Lauf: Kerstin Himmler und Martin Droschke in ihrer kleinen Ausstellung

Willkommen, Sie lesen gerade auf den Kahlfresser-Seiten Ihres Internetportals herum! Kahlfresser, so darf man die Nürnberger nennen, seit dem Zweiten Weltkrieg schon. Der Volksmund taufte sie damals so, zu Zeiten, als die ausgebombten Städter die Bauern im Umland zum Hamstern heimsuchten. Als Sonntagswanderer auf der Suche nach Schnäppchen-Schweinebraten bleiben sie sich bis heute treu.


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Die Kahlfresser treffen auf die Mauerscheißer, die Wasserpolacken, die Hefmseider, die Schafköpfe und die Mohrenwäscher, und zwar in einer kleinen Ausstellung im Nürnberger Museum Tucherschloss. Gemeint sind damit der Reihe nach Menschen aus Forchheim, Erlangen, Nürnberg-Buch, Zirndorf und Bayreuth. 14 Beispiele aus 71 fränkischen Ortsschimpfnamen, die der Coburger Autor Martin Droschke für ein Buch untersucht hat, sind im Foyer zu studieren. Die Ansbacher Künstlerin Kerstin Himmler hat sie mit hintergründigen Collagen illustriert.

Hof ist "Bayerisch Sibirien"

Und das in einer Zeit, in der sowohl die politische Korrektheit als auch die öffentliche Anfeindung ständig Rekorde brechen. Für Droschke ist das kein Hinderungsgrund. Die Leute hätten ja wohl noch Humor, sagt er wie ein Schelm. Er halte die bösen Ortsnamen für eine "friedensstiftende Maßnahme". Weil so eine Ersatzhandlung handfesten Streit abfange. Ach ja? Die Idee zu seiner Sammlung entstand aus einem beleidigten Leserbrief zu einem früheren Buch, in dem er über die Stadt Hof als "Bayerisch Sibirien" gelästert hatte.

"Kahlfresser" leben in Nürnberg, "Überseeländler" in Großgründlach und "Goratzn" im Nürnberger Stadtteil Wöhrd. Alles klar an der Wortschatzfront?

"Kahlfresser" leben in Nürnberg, "Überseeländler" in Großgründlach und "Goratzn" im Nürnberger Stadtteil Wöhrd. Alles klar an der Wortschatzfront? © Stefan Hippel

Hassliebe zwischen Nachbardörfern sei weltweit verbreitet, sagt der gebürtige Schwabe. Aber nur aus Franken sei ihm die "volksanarchische" Sitte bekannt, daraus eine "verbale Keule" zu schnitzen, die den Gegner mit einem Wort niederknüppelt. "Der Oberbayer, weniger maulfaul, macht Gstanzln daraus." Lokale Beispiele hat Droschke zu Tausenden aus vier Jahrhunderten gefunden. Seine Recherchen führten ihn in Archive, zu Heimatpflegern und einer vergessenen Publikation eines Germanisten an der Universität Erlangen, aber er schaute auch Sitznachbarn im Biergarten aufs Maul.

Oft ein wahrer Kern

Die Verunglimpfungen folgen mehreren Prinzipien, hat der 49-Jährige festgestellt. So stehe am Ursprung oft eine historisch verbürgte Geschichte. Sie wird zugespitzt auf den wunden Punkt, manchmal verballhornt und oft hemmungslos unflätig formuliert: die Staffelbrunzer von Miltenberg, die Schlotenscheißer von Treuchtlingen. "Das Motiv des Scheißens kommt permanent als geografische Angabe."


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Während "Mauerscheißer" (Forchheim) an Hygienesorgen während des Dreißigjährigen Kriegs erinnert, macht "Bärentreiber" die Burgfarrnbacher lächerlich, weil sie der Sage nach in der Dunkelheit einen Regenschirm für einen Bären gehalten hätten. Die "Wasserpolacken" nehmen Bezug auf die Preußen in Erlangen, die auch über Oberschlesien ("Wasserpolen") regierten. Die Ansbacher wiederum sind "Wolfshenker" geblieben, seit sie im 17. Jahrhundert laut Überlieferung aus Aberglauben einen menschenfressenden Wolf am Galgen hängten.

Für eine Lieblings-Schmähung kann sich Droschke leicht entscheiden: die Vorstadtkakerlaken. So haben Nürnberger angeblich ihre Fürther Nachbarn getauft, nachdem diese 1922 in einem Bürgerentscheid gegen die Eingemeindung gestimmt hatten. Nürnberg hatte das der hochverschuldeten Stadt generös angeboten; die Häuser der unsanierten Altstadt sollen vor Ungeziefer gewimmelt haben. "Ich habe mal in Fürth gelebt, das passt", findet Martin Droschke. "Es passt auch gut zum Fürther Selbstverständnis."

Museen sehnen Wiederöffnung herbei

Bleibt noch die Frage: eine Ausstellung, im Lockdown, wie das? Die Schau hängt sozusagen auf Vorrat, für den Moment der Wiederöffnung, den die Museen ungeduldig herbeisehnen. "Es ist uns wichtig zu zeigen, dass wir da sind und uns auf die Besucher freuen", sagt Tucherschloss-Leiterin Ulrike Berninger.

Die Ausstellung im Museum Tucherschloss, Hirschelgasse 9-11, ist erst ab Wiedereröffnung der Museen zu sehen und soll danach touren. Martin Droschke: Von Hundefressern und Zwiebeltretern (2019). Emons, 224 Seiten, 14,95 Euro.

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