Wenn ein richtiger Job zum Herzenswunsch wird 399 Euro im Monat müssen als Sockel genügen
07.06.2015, 19:22 UhrEr kann anpacken. Egal, ob es nun ein Sofa ist, das einer nicht mehr gebrauchen kann, oder ob es der Wäschekorb voller ausrangierter Handtaschen ist. Die Hände in den Schoß legen, war noch nie Emil Pohls Sache. Wenn Not am Mann ist, dann packt er mit an und Touren mit dem Transporter zehren selbst im dichten Berufsverkehr nicht an seinen Nerven. Dafür war er einfach zu lang als Fahrer im Geschäft.
Doch das ist lange her. Statt als Selbstständiger zu arbeiten, hat der 50-Jährige heute lediglich einen Ein-Euro-Job als Fahrer. Aus dem einstigen Unternehmer ist längst ein Hartz-IV-Empfänger geworden. Dabei war es wohl schlichtweg Pech, dass Emil Pohl heute davon leben muss. Er hat die mittlere Reife, eine abgeschlossene Berufsausbildung zum Einzelhandelskaufmann. Ein Beruf, in dem er lange gearbeitet hat. Doch irgendwann erfüllte er sich den Traum von der Selbstständigkeit und gründete einen eigenen Kurierdienst. „Da habe ich ganz gut verdient“, sagt er rückblickend. Zwei Transporter, jede Menge Aufträge, ein sicheres Leben.
Doch irgendwann blieben immer häufiger Aufträge aus, konnte er als kleiner Unternehmer bei den Preisen der großen Kurierdienste nicht mehr mithalten. Als ihm dann sein Großkunde absprang, war endgültig Schluss und er musste Konkurs anmelden. Mit der Firma verlor er sein gesichertes Einkommen und schließlich auch seine Wohnung. Zwei Jahre musste er in der Pension mit drei anderen in einem Zimmer hausen. Dazwischen ungezählte Bewerbungen, die alle ohne Erfolg blieben. „Ich bin zu keinem einzigen Gespräch eingeladen worden“, sagt Emil Pohl. „Dabei habe ich viel Erfahrung und bin zuverlässig.“
Vermutlich ist es bei ihm das Alter, das ihn durch das Raster fallen lässt — und die sechs Jahre Erwerbslosigkeit. „Die meisten Hartz-IV-Bezieher sind hoch motiviert, fallen aber dann wegen formaler Kriterien durch das Raster“, sagt die Sozialpädagogin Manuela Bauer. Mal sei es das Alter, die lange Lücke im Lebenslauf oder die fehlende Ausbildung. Aber auch Alleinerziehende hätten es schwer. Manuela Bauer kennt ungezählte Geschichten von Hartz-IV-Empfängern, die mit solchen Handicaps, aber auch mit dem Stigma leben müssen. „Die Betroffenen haben schon mit sehr vielen Vorurteilen zu kämpfen“, sagt sie. Dabei würden die meisten doch alles tun, um wieder Fuß zu fassen. Sie betreut Langzeitarbeitslose in einem der „allerhand“-Gebrauchtwarenläden der Stadtmission. Dort können die Betroffenen ihrem Leben auch mit Arbeit wieder einen Sinn geben.
Auch Emil Pohl hat dort einen Ein-Euro-Job als Fahrer und ist dankbar dafür. „Das Schlimmste war, daheim ohne Aufgabe herumzusitzen“, sagt er. In dem Laden sieht er die Chance, wieder den Anschluss zum ersten Arbeitsmarkt zu finden. „Ich bekomme hier ein Zeugnis, damit kann ich mich dann bewerben“, sagt er zuversichtlich. Auch wenn er sich im „allerhand“-Laden wohlfühlt. Schließlich säßen alle in einem Boot und könnten die Gefühle nachvollziehen, wie er sagt. „Keiner lebt gerne so. Natürlich will ich raus aus Hartz IV.“ Manuela Bauer traut es ihm zu. „Er ist zuverlässig, pünktlich. Das Fahren ist zudem eine vertrauensvolle Aufgabe. Er macht das wirklich gut“, sagt sie. Dennoch werden am Ende wohl wieder formale Kriterien entscheiden, ob Emil Pohl eine Einladung zum Bewerbungsgespräch bekommt. Er käme damit seinem Herzenswunsch einen Schritt näher: ein Leben ohne Hartz IV.
Die Agenda 2010 veränderte vor zehn Jahren vieles für Menschen ohne Job: Durch Hartz IV wurden die Arbeitslosenhilfe abgeschafft, die Zeitarbeit und Minijobs liberalisiert und die Sozialämter mit den Arbeitsagenturen zusammengelegt. Die wesentliche Neuerung bestand darin, dass vor dem Inkrafttreten Arbeitslose zeitlich unbegrenzt Arbeitslosenhilfe nach dem SGB III erhielten, die sich an der Höhe des vorher bezogenen Arbeitslosengeldes orientierte; die Arbeitslosenhilfe wurde durch das Arbeitslosengeld II ersetzt. Dies wird ebenfalls zeitlich unbegrenzt gewährt; jedoch beträgt ein Bewilligungszeitraum sechs Monate (bei der Arbeitslosenhilfe waren es bis zu 12 Monate).
Voraussetzung für einen Anspruch nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch SGB II ist die Erwerbsfähigkeit. Die Regelleistung beträgt derzeit für Alleinstehende 399 Euro, für Kinder dem Alter entsprechend, mindestens aber 234 Euro. Derzeit beziehen rund 4,4 Millionen Menschen in Deutschland Hartz IV — die meisten von ihnen leben in Berlin (16,5 Prozent), mit einem Anteil von 3,5 Prozent leben in Bayern die wenigsten Leistungsempfänger. In Nürnberg waren Ende 2013 mehr als 46 000 Menschen darauf angewiesen.
www.nuernberg.de/internet/sozialamt/finanzielle_hilfen_fahrplan.html
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