Wenn jede Sekunde zählt: Unterwegs mit dem Nürnberger Baby-Notarzt

17.8.2020, 06:00 Uhr
Die Notfallsanitäter der Johanniter mit Prof. Dr. Schroth, Chefarzt der Neonatologie der Cnopfschen Kinderklinik in Nürnberg vor dem Babynotarztwagen.

© Isabella Fischer, NN Die Notfallsanitäter der Johanniter mit Prof. Dr. Schroth, Chefarzt der Neonatologie der Cnopfschen Kinderklinik in Nürnberg vor dem Babynotarztwagen.

Es ist der Horror aller Eltern: Das Kind atmet nicht mehr. Mitte Januar bemerkte der ältere Sohn von Familie Weber (Name geändert), dass sein sechs Wochen alter Bruder leblos und ohne Atemfunktion in seinem Bettchen lag. Sofort alarmierte er seine Eltern. "Der Kleine sah ganz entspannt und glücklich aus", erinnert sich der Vater. Doch er erkannte den Ernst der Lage und handelte in Sekundenschnelle.

Sofort begann er mit der Reanimation und drückte mit zwei Fingerkuppen in den kleinen Brustkorb. Parallel dazu rief seine Frau, die sich gerade um den Zwillingsbruder kümmerte, die Einsatzkräfte. Die Integrierte Leitstelle unterstützte den Vater telefonisch bei der Herzdruckmassage, bis acht Minuten später die Rettungssanitäter eintrafen.

Lebensrettendes Instrument

Kurz danach kam der Babynotarztwagen an den Einsatzort. Es waren knappe zehn Minuten, die dem Säugling das Leben retteten. Das Herz des Jungen fing wieder an zu schlagen, der drohende plötzliche Kindstod konnte gerade noch rechtzeitig verhindert werden. "Ich hatte danach vor Schreck einen Kreislaufkollaps", erzählt der Vater des Kleinen. "Auf so eine Situation ist man einfach nicht vorbereitet."


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Zwei Wochen verbrachte das Baby im Krankenhaus, bevor es wieder zurück zu seiner Familie durfte. Dass es keine Folgeschäden davonträgt, ist vor allem der schnellen Rettungskette zu verdanken. Der Vater ist sich sicher: "Ohne den Babynotarztwagen hätte unser Kind nicht überlebt."

Im vergangenen Jahr feierte der Babynotarztwagen 40-jähriges Jubiläum. 1979 etablierten die Johanniter den speziell ausgerüsteten Rettungswagen für Früh- und Neugeborene. In Notfällen wie dem der Familie Weber rückt zudem ein Kinderarzt mit aus. Dieser wird meist aus der Cnopfsche Kinderklinik an der Hallerwiese dazugerufen, auch das Klinikum Nürnberg und das Fürther Klinikum unterstützen die Einsätze.

Die beiden Notfallsanitäter laden vorsichtig den Inkubator des Baby-Notarztwagens aus. Eine spezielle Dämpfung sorgt dafür, dass die Säuglinge während der Fahrt vor Stößen geschützt werden.

Die beiden Notfallsanitäter laden vorsichtig den Inkubator des Baby-Notarztwagens aus. Eine spezielle Dämpfung sorgt dafür, dass die Säuglinge während der Fahrt vor Stößen geschützt werden. © Isabella Fischer

Auf den ersten Blick sieht das Fahrzeug aus wie ein gewöhnlicher Notarztwagen mit grellen orangen und gelben Kacheln. Schaut man jedoch genauer hin, erkennt man außen den Schriftzusatz "Baby". Innen ist der Unterschied sofort klar: Wo sonst die Transportliege fest verankert ist, steht ein Inkubator mit mehreren Monitoren, dahinter einige Sauerstoffflaschen.


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Dämpfung für den Schutz

Unter dem Inkubator sorgt eine spezielle Dämpfung für den Schutz der Säuglinge. Schon kleine Schlaglöcher können den zarten Köpfen extreme Schäden zufügen. Beatmungsgeräte mit nur fingergroßen Masken, eine Liegefläche mit Infrarotlampe, Babyschalen – die Sonderanfertigung des Notarztwagens ist mit allen wichtigen medizinischen Geräten für die kleinen Patienten ausgestattet.

Das Rettungsfahrzeug ist hauptsächlich bei Komplikationen rund um die Geburt im Einsatz. Wenn beispielsweise ein Frühchen in einem Krankenhaus geboren wird, das nicht über die Technik verfügt, den Winzling selbst intensivmedizinisch zu betreuen, rückt der Baby-Notarztwagen an. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche – das Modell ist in Bayern einzigartig.

Besonders die Cnopfsche Kinderklinik pflegt einen engen Kontakt zu den Johannitern. Bevor die Notfallsanitäter den Babynotarzt-Wagen fahren dürfen, hospitieren sie zwei Wochen in der Neonatologie der Klinik und lernen den Umgang mit Säuglingen. "Für mich ist es ein Ritterschlag, den Wagen fahren zu dürfen", sagt einer der beiden Rettungssanitäter von den Johannitern.

Einsätze in der Metropolregion

Rund 200 bis 250 Mal im Jahr rückt der Wagen aus. Die Einsatzkräfte übernehmen Notfälle aus Nürnberg, Erlangen oder Fürth, teilweise fahren sie sogar bis nach Weißenburg oder Neustadt an der Aisch.

Professor Michael Schroth, Chefarzt der Neonatologie der Cnopfschen Kinderklinik, betont den besonderen Teamgeist seiner Mitarbeiter. "Das Engagement ist das Entscheidende", sagt er. Ohne den Zusammenhalt der Belegschaft würde das ganze System nicht funktionieren, ist sich Schroth sicher.

Die Transporte seien immer gewährleistet, egal wie gut oder schlecht die personelle Lage im Haus gerade sei. "Die Jungs von den Johannitern sind sehr flexibel, die holen einen Arzt auch mal von zu Hause ab, wenn es schnell gehen muss", lobt er die Notfallsanitäter.


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Der Baby-Notarztwagen ist seit vier Jahrzehnten ein fester Bestandteil des Nürnberger Rettungsdienstes und wird, wie jeder andere Wagen auch, vom Rettungsdienst Bayern finanziert. In Deutschland gibt es nur in vereinzelten Städten ähnliche Fahrzeuge.

Wie wichtig er im Notfall ist, zeigt sich besonders im Fall der Familie Weber. Sie konnten sich gleich zwei Mal auf ihn verlassen. Die Zwillingsjungs kamen Anfang Dezember, vier Wochen zu früh, zu Hause in St. Jobst zur Welt. Auch hier war der Baby-Notarztwagen innerhalb weniger Minuten vor Ort und brachte Mutter und Kinder wohlbehalten in die Cnopfsche Kinderklinik.

Die Familie erfuhr erst später, dass ein solches Auto gar nicht zur Standardausstattung eines Krankenhauses gehört. "Ich war entsetzt, als ich davon gehört habe. Ich bin davon ausgegangen, dass jede Klinik darüber verfügt", sagt der Vater. Er und seine Frau haben sich davor nie Gedanken darüber gemacht: "Wir waren ganz unbedarft. Jetzt wissen wir: Das hätte auch ganz anders ausgehen können."

Erste-Hilfe-Kurs in der Kinderklinik

Mittlerweile ist bei Webers wieder etwas Ruhe eingekehrt. Der kleine Patient erholt sich weiter. Die beiden älteren Kinder verarbeiten das Geschehene spielerisch, aus Legosteinen bauten sie ein Krankenhaus und besuchten mit ihren Eltern einen Erste-Hilfe-Kurs in der Kinderklinik.

"Erste Hilfe ist bei kleinen Kindern ein ganz anderes Paar Stiefel", sagt er. Den Rettungskräften und dem Team der Neonatologie ist er dankbar, dass beide Male alles glimpflich ausgegangen ist. Er hofft, dass der Baby-Notarztwagen auch weiter für Säuglinge in der Region da ist.

Rund um die Uhr ist der Baby-Notarztwagen einsatzbereit. Auf so eine Situation ist man einfach nicht vorbereitet. Wir wissen jetzt: Das hätte auch ganz anders ausgehen können.

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