Ausstellung über rechten Terror

Wenn man plötzlich auf den "Feindeslisten" der Neonazis landet

4.9.2021, 08:26 Uhr
Menschen, die ins Fadenkreuz des rechten Terrors geraten sind, zeigen in einer bislang einzigartigen Ausstellung ihr Gesicht. Sie ist ab Dienstag in Nürnberg zu sehen.

© Ivo Mayr / CORRECTIV Menschen, die ins Fadenkreuz des rechten Terrors geraten sind, zeigen in einer bislang einzigartigen Ausstellung ihr Gesicht. Sie ist ab Dienstag in Nürnberg zu sehen.

Jacinta Nandi ist eine alleinerziehende Mutter von zwei Söhnen. Ihren täglichen Kampf zwischen Wäschewaschen, Kinderhüten und Kochen hat die 40-Jährige im Buch "Die schlechteste Hausfrau der Welt" mit ziemlich viel rabenschwarzem Humor festgehalten. Wer ihre Diagnose "Warum Ossis öfter Sex und Engländer mehr Spaß hatten" liest, stößt ebenfalls auf bitterbösen Spott und natürlich viel Witz.

"Du bist so hässlich"

Ist es das, was andere stört? Seit 21 Jahren lebt die Engländerin in Berlin, sie arbeitet als Schriftstellerin, Autorin und Journalistin. Im britischen Guardian hat sie auf Bitten der Redaktion einen spritzigen Essay über Deutschland geschrieben. Spätestens seit diesem Zeitpunkt wird sie angefeindet, beleidigt, mit Hassmails traktiert. "Du bist so hässlich!", muss sie da lesen, "gemeine und verletzende Dinge", sagt sie, schreibe man ihr anonym.

Jacinta Nandi, die auf dem Titelbild des Buchs über die Entwicklung des rechten Terrors in Deutschland zu sehen ist, ist eine Schriftstellerin und Kolumnistin.

Jacinta Nandi, die auf dem Titelbild des Buchs über die Entwicklung des rechten Terrors in Deutschland zu sehen ist, ist eine Schriftstellerin und Kolumnistin. © Ivo Mayr / CORRECTIV, NN

Als man ihr beim Spielen mit ihrem Jüngsten im Park den Kinderwagen geklaut hatte und sie ihren Sohn nach Hause tragen musste, rief man ihr hinterher, als "Roma" solle sie hier verschwinden. Doch Jacinta Nandi, die einen spanischen Vornamen trägt, ist keine Roma. Sie hat eine indische Mutter und einen britischen Vater.

Mit all diesem Hass habe sie irgendwie leben können, sagt sie heute. Doch als sie vor über einem Jahr erfuhr, dass sie von Rechtsextremen auf einer sogenannten Feindesliste genannt wird, sei sie regelrecht schockiert gewesen. Die Website "Judas.Watch" ist eine Datenbank, in der Juden mit einem Davidstern gebrandmarkt und andere Menschen als "Verräter an der weißen Rasse" tituliert werden.

Inzwischen ist die Website abgeschaltet, doch Rechtsextreme führen viele weitere solcher Listen, die Menschen anprangern, sie bloßstellen. Zum Abschuss freigeben: Diese menschenverachtende Doktrin verfolgen Neonazis weiter.

Das spendenfinanzierte Recherchezentrum Correctiv hat in monatelanger Arbeit herausgefunden, wer auf solchen Listen steht und "wen die Neonazis da eigentlich auslöschen wollen", wie Correctiv-Herausgeber David Schraven sagt.

Die Betroffenen wurden informiert. Correctiv-Journalisten haben 57 von ihnen besucht, mit ihnen über ihre Wünsche und Pläne gesprochen. Der Fotograf Ivo Mayr hat sie für eine Ausstellung porträtiert.

Ab kommenden Dienstag, 7. September, bis Freitag, 10. September, sind die großflächigen Porträts mit erläuternden Texten auf dem Willy-Brandt-Platz in Nürnberg (kostenlos) zu sehen. Die Nürnberger Nachrichten präsentieren gemeinsam mit dem Bayerischen Rundfunk die Schau, das Menschenrechtsbüro der Stadt Nürnberg hat die Ausstellung erst möglich gemacht. Eine Podiumsdiskussion (Mittwoch, 8. September,um 16 Uhr) und ein Auftritt der Fürther Sängerin und Songschreiberin Felicia Peters (Donnerstag, 9. September, 17 Uhr) runden das Programm ab.

Zu sehen sind die Aufnahmen auch im begleitenden Band "Menschen - Im Fadenkreuz des rechten Terrors", Jacinta Nandi ist auf dem Titel abgebildet. Darüber hinaus gibt das Buch Einblicke in die hasserfüllte Welt der Rechtsextremen, zeigt auf, welche Ausmaße ihr Handeln annimmt und welche Rolle Waffen spielen.

Die Beiträge lenken den Blick auch auf die Kontinuitäten rechten Terrors: angefangen von den Entwicklungen in den Nachkriegsjahren, dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke 1968 über das Oktoberfest-Attentat 1980 und die NSU-Mordserie in den 2000er-Jahren bis zum Mord an Walter Lübcke im Juni 2019, den Attentaten in Halle und Hanau und die Festnahme der Gruppe S. im vergangenen Jahr. "Rechter Terror wird nicht einfach verschwinden", schreibt Autor Alexander Roth.

Correctiv hat bei diesem, bislang einzigartigen Projekt, Unterstützung von lokalen Medien erhalten. Auch Journalisten des gemeinsamen Rechercheteams von NN und BR haben daran mitgewirkt. Sie schildern eine besonders brutale Strategie der Neonazis in Nürnberg und der Region: Die "Anti-Antifa-Arbeit".

Dabei gehen Rechtsextreme gegen engagierte Bürgerinnen und Bürger, Richterinnen und Richter oder Kulturschaffende vor, die die Demokratie verteidigen und dem eher linken Spektrum zuzuordnen sind. Sie kundschaften deren persönliches Umfeld aus und machen ihre Adressen dem rechten Milieu zugänglich.

So landen dann Drohbriefe in den Postkästen, die Ausgespähten werden auf dem Nachhauseweg abgepasst und bedroht - oder Schlimmeres. Schon die "Fränkische Aktionsfront", die wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit den Nationalsozialismus 2004 verboten wurde, markierte in ihren Gazetten politische Gegner und nannte Adressen.

Zuletzt erhielten der Landrat des Kreises Nürnberger Land und sowie der Schnaittacher Bürgermeister Drohbriefe, denen scharfe Patronen beilagen. Für diese und weitere, staatsgefährdende Taten musste sich vor kurzem eine 55-jährige Frau aus dem Nürnberger Land vor Gericht verantworten. Die mutmaßliche Rechtsterroristin wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. In der Verhandlung wurde offenbar, dass sie seit Jahren regelmäßig Kontakt zu zwei Unterstützern des NSU gehalten hatte.

Die Informationen zur Ausstellung:

Die Ausstellung „Menschen – Im Fadenkreuz des rechten Terrors“ ist von Dienstag, 7. September, bis Freitag, 10. September, jeweils von 10 bis 18 Uhr auf dem Willy-Brandt-Platz in Nürnberg zu sehen.

Gezeigt werden 57 Porträts von Frauen und Männern, die von Rechtsextremen auf deren „Feindeslisten“ markiert worden sind.

Das Buch mit dem gleichnamigen Titel ist für 35 Euro in allen Geschäftsstellen des Verlags Nürnberger Presse erhältlich.

Begleitend zur Schau findet am Mittwoch, 8. September, um 16 Uhr eine Podiumsdiskussion auf dem Willy-Brandt-Platz mit Stephan Doll, dem Vorsitzenden der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg, und Jo-Achim Hamburger, Vorsitzender der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg, statt.

Am Donnerstag, 9. September, tritt um 17 Uhr dort die Fürther Sängerin und Songwriterin Felicia Peters auf.

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