Bunte Gesellschaft

Wie geht es nach dem Regenbogen-Aufschrei bei der EM weiter?

27.6.2021, 18:05 Uhr
Ganz viele Regenbogenfahnen in Deutschland: Aber ist unsere Gesellschaft im Kopf auch so bunt und vielfältig?

© Christian Charisius, dpa Ganz viele Regenbogenfahnen in Deutschland: Aber ist unsere Gesellschaft im Kopf auch so bunt und vielfältig?

Die Debatte um ein Aufleuchten der Münchner Allianz Arena hat in den vergangenen Tagen polarisiert. Vor allem seit die Uefa den Antrag der Stadt München, die Arena während der Partie zwischen Deutschland und Ungarn in Regenbogenfarben erstrahlen zu lassen, abgelehnt hat. Auslöser für den Vorstoß von Münchens OB Dieter Reiter (SPD) war ein Gesetz, das das ungarische Parlament verabschiedet hat. Es schränkt die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität ein.


UEFA lehnt Antrag ab: Münchner Stadion darf nicht in Regenbogen-Farben leuchten


Für die Uefa war der abgelehnte Antrag ein Eigentor. Begründung des Dachverbands: Die Uefa sei "aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage - eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt - muss die UEFA diese Anfrage ablehnen".

Ingo Zamperoni fragte Ex-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger, der auch Vorstandsvorsitzender des VfB Stuttgart ist und sich nach seinem Karriereende als homosexuell geoutet hatte, in den ARD-Tagesthemen, ob die LGBTQ*-Gemeinde der Uefa nicht dankbar sein müsse für das Nein zur Regenbogenbeleuchtung. Hitzlsperger bestätigte das mit den Worten: "Muss man sagen."

Der Ex-Fußballer weiter: "Es ist ein bisschen traurig, wie die Uefa sich verhalten hat in den letzten Tagen und trotzdem ist es wahrscheinlich ein großer Glücksfall gewesen, dass sie Fehler begangen haben, weil das hat es erst ermöglicht, dass man tagelang über das Regenbogensymbol gesprochen hat, auch wofür es steht und was auf der Welt überhaupt passiert."

Man habe außerdem ein gutes Bild bekommen, "wie Fußballfans überhaupt ticken, vor allem hier in Deutschland. Das waren starke Zeichen, starke Signale." Aus Sicht des Ex-Nationalspielers ist die Uefa gefordert. Unter anderem sollen Vereine sowie Verbände genau hinhören, Entwicklungen in der Gesellschaft mitgehen und vielleicht auch vorangehen.

Ein Zeichen für Vielfalt: Und jetzt?

Es war ein Zeichen für Vielfalt, Toleranz und Gleichstellung, das viele Menschen in den letzten Tagen gesetzt haben. Aber was kommt jetzt? Wie geht es nun weiter? Und verändert sich wirklich etwas? So wie Hitzlsperger denkt auch Markus U. vom Christopher-Street-Day Nürnberg (CSD): Durch die Absage, das Stadion nicht zu beleuchten, sei die Welle noch viel größer geworden. "Es zeigt Interesse und Solidarität mit der LGBTIQ* -Community", so U. und weiter: "Es ist eine enorme Sichtbarkeit für die Thematik entstanden, was positiv ist."


Info: Die Abkürzung LGBTIQ* steht für Lesben, Schwule (engl. Gay), Trans*, Bi-, Intersexuelle und queere sowie non-binäre Menschen.


Er weiß aber auch, dass viel "Pinkwashing" dabei ist, also eine Strategie, mit der versucht wird, durch scheinbare Identifizierung mit der LGBTIQ*-Community beispielsweise Produkte oder Unternehmen zu bewerben. Gemeint ist damit, wenn sich Unternehmen beispielsweise Vorteile verschaffen, in dem sie sich die Regenbogenfahne in ihr Logo integrieren und somit Toleranz gegenüber der LGBTIQ*-Gemeinde suggerieren wollen. Damit wird versucht, sich besser darzustellen als beispielsweise ein konkurrierendes Unternehmen.


Für mehr Sichtbarkeit: Nürnbergs queere Community erstellt Forderungskatalog


U. erklärt: "Es gibt viele Unternehmen und Organisationen, deren Werte wirklich Diversität transportieren und verankert haben. Man muss sich die Mühe machen und hinter die Fassade schauen und nachbohren." Beispiele hierfür seien die Siemens AG sowie Siemens Healthineers, die ein LGBTQ*-Netzwerk haben, genauso wie die Rewe Group. Das beinhaltet unter anderem Anlaufstellen für Betroffene genauso wie eine aktive Auseinandersetzung mit der Gleichstellung im Unternehmen sowie ein generelles Netzwerken miteinander.

Auch U. stellt sich die Frage in der aktuellen Situation: "Ebbt das ab oder greift man die Gesetzgebung in Ungarn auf?" Konkret bedeutet das, die Dinge jetzt auch aktiv voranzutreiben. In Nürnberg beispielsweise mit dem Aktionsplan "Queeres Nürnberg", an dem aktuell gearbeitet wird und Menschen zur Mitgestaltung aufgerufen sind.

Zudem verweist U. auf den unter anderem vom Nürnberger Bündnis gegen Trans- und Homophobie geforderten Aktionsplan "Queeres Bayern". Dieser soll beispielsweise die Aufklärung an Schulen beinhalten, denn was von Anfang an verankert ist, lässt es - in diesem Fall vielfältige Lebensformen und unterschiedliche sexuelle Orientierungen - für alle normal werden. "Das ist ein Mindset, das nur durch Gesellschaft, Erziehung und Bildung verändert wird", so U..

Blutspendeverbot für schwule Männer

"Der Ball muss jetzt in der Luft gehalten werden und diverse Dinge angepackt werden. Das wäre ein Wunsch von uns", erzählt Markus U.. Ungarn sei das eine, aber man müsse vor unserer eigenen Tür kehren. "Politisch gibt es halt genügend Punkte, wo LGBTIQ* nicht mit allen gleichgestellt werden."

Als Beispiel fällt das Blutspenden, von dem schwule Männer in Deutschland nach wie vor ausgeschlossen werden. Derzeit ist es so, dass homosexuelle Männer nur Blut spenden dürfen, wenn sie ein Jahr vor der Spende keinen Sex mit einem Mann gehabt haben. Dies zählt auch, wenn der Sex geschützt - also beispielsweise mit Kondom - stattgefunden hat. Begründet wird das Verbot mit einem generell erhöhten Übertragungsrisiko für Infektionskrankheiten wie HIV. Einen Antrag, den die Grünen sowie die FDP im Bundestag gestellt haben, das Blutspendeverbot für schwule Männer gänzlich abzuschaffen, hatten Union, SPD und AfD laut ZDF in dieser Woche abgelehnt.

Wie der öffentlich-rechtliche Sender unter Berufung auf eine Antwort von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn an den FDP-Abgeordneten Jens Brandenburg berichtet, soll Spahn planen, diese Rückstellfrist für schwule Männer, wenn sie in einer monogamen Beziehung leben, abzuschaffen. Dies solle aber nur der Falls sein, wenn sie keine "offene Beziehung" führen. Nicht gelten soll die neue Regel laut ZDF für Männer mit einem sexuellen Risikoverhalten. Hier könnte, wie aus einem Vorstoß aus dem Vorjahr hervorgeht, die Frist zumindest von zwölf auf vier Monate verkürzt werden.

Hasskriminalität: 782 Straftaten gegen LSBTI verzeichnet

Zudem gebe es queerfeindliche Übergriffen, wie im Oktober des vergangenen Jahres, als ein schwules Paar von einem damals 20-Jährigen mit einem Messer angegriffen wurde. Einer der Männer verstarb bei dem Angriff, sein Lebenspartner überlebte schwer verletzt. Das Motiv des jungen Mannes für die Tat war islamistisch und homophob.

Im Bericht des Bundesinnenministeriums über politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2020 sind 578 Straftaten motiviert durch Vorurteile gegen die sexuelle Orientierung verzeichnet. 114 Taten davon sind Gewaltdelikte, wovon es sich in 109 Fällen um Körperverletzungen handelt. Seit 2020 gibt es in dem Bericht das Themenfeld "Geschlecht/Sexuelle Identität", worunter 204 Straftaten vermerkt sind. Von den 40 Gewaltdelikten handelt es sich 35 Mal um Körperverletzungen. Wie der Lesben- und Schwulenverband erklärt, sind unter dem Themenfeld "Geschlecht/Sexuelle Identität" transphob motivierte Taten gemeint, beim Themenfeld "Sexuelle Orientierung" gelten die Taten als homophob motiviert.

Insgesamt sind somit 782 Straftaten von Hasskriminalität gegen LSBTI (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und intergeschlechtliche Menschen) verzeichnet, wovon es sich 154 Mal um Gewalttaten und darunter 144 Mal um Körperverletzungen handelt.

Erfahrungen und positive Entwicklungen

Markus U. hat selbst die Erfahrung gemacht, dass er mittlerweile vorsichtiger sei, als er es mal war - beispielsweise beim Händchenhalten mit seinem Partner in Nürnberg. Grund dafür ist, "weil es viel mehr Menschen gibt, die das nicht tolerieren". Dies unterstreicht auch eine Umfrage aus dem Jahr 2017 in Deutschland, zu den Gefühlen bei öffentlicher Sichtbarkeit von Homosexualität, welche von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes in Auftrag gegeben wurde (Quelle: Statista). Darin gaben 29,1 Prozent an, dass es eher unangenehm für sie sei, wenn sich zwei Männer in der Öffentlichkeit ihre Zuneigung zeigen, beispielsweise indem sie sich küssen. 9,3 Prozent gaben sogar an, ihnen sei das sehr unangenehm.


Nürnberg macht sich für die queere Community stark


Beim CSD hat man in Nürnberg in den letzten Jahren eine sehr positive Entwicklung in der Wahrnehmung der LGBTIQ*-Gemeinde wahrgenommen. Wichtig ist hier vor allem Social Media geworden. Laut U. werden viele junge Menschen erreicht - teilweise ab 12 oder 13 Jahren, die sehr selbstbewusst mit der eigenen Sexualität in dem Alter umgehen und das als "ganz selbstverständlich sehen".

In einer Gesellschaft sind jedoch nicht nur die Menschen gefordert. Es müssen auch Strukturen an die Bedürfnisse der Betroffenen - wie beispielsweise Ansprechpartner bei der Stadt für die LGBTIQ*-Community - angepasst sowie neu geschaffen werden, um allen gerecht zu werden sowie allen die gleichen Möglichkeiten zu bieten. Die Stadt Nürnberg bindet aus diesem Grund die Belange von Lesben, Schwulen, Trans*, Bi- und Intersexuellen mit einer eigene Anlaufstelle in die kommunale Diversitypolitik ein, wie das Rathaus auf Anfrage erklärt. Ziel dahinter ist es, Diskriminierung und Vorurteile abzubauen, aber auch die Vielfalt in der Stadtgesellschaft mitzugestalten und positiv nach außen zu tragen. Außerdem gibt es von der Stadt mit der Beauftragten für Diskriminierungsfragen eine Ansprechpartnerin für Beratung, Fragen und Anregungen.

Masterplan "Queeres Nürnberg"

Da die Stadt als Verwaltung Angebote für alle Bürger und Bürgerinnen anbieten möchte, und es dafür wichtig ist, die Belange aller zu kennen, wird der Masterplan "Queeres Nürnberg" erarbeitet. Betroffene und Interessierte können sich an der Erarbeitung beteiligen, können mitteilen, welche Angebote fehlen und was besser gemacht werden muss. Damit sind Angebote gemeint, wie beispielsweise die bereits vorhandenen regelmäßigen Fachtage und Fortbildungen zu LGBTIQ* für Lehrkräfte im Bereich Bildung oder eigene Schutzunterkünfte für LGBTIQ*-Geflüchtete im Bereich Migration und Integration.

Zehn Themenfelder sollen hierfür näher betrachtet werden - alle lebensphasenorientiert, um möglichst alles zu erfassen. In diesem Jahr wird aus den Wünschen und Ideen ein Maßnahmenplan erstellt, der im Winter im Stadtrat vorgestellt werden soll. Daraus wiederum, soll ein Arbeitsplan für die nächsten fünf Jahre entstehen.

Veränderungen brauchen also Zeit, das weiß auch U.: "Es kann sich nicht von heute auf morgen verändern, es wird ein fließender Übergang". Die Regenbogen-Debatte rund um das EM-Spiel ist also nur ein Bruchteil und ein kleiner Schritt auf dem Weg zu mehr Toleranz und Vielfalt - aber jeder hat es selbst in der Hand seinen Teil dazu beizutragen.

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