Wie Obdachlose in Nürnberg um Teilhabe ringen

9.3.2020, 05:23 Uhr
Wie Obdachlose in Nürnberg um Teilhabe ringen

© Foto: Rolf Zoellner/epd

Wer obdachlos ist, der hat in der Regel nicht mehr viel außer den Kleidern am Leib und vielleicht ein paar Taschen. Wer tatsächlich auf der Straße lebt, der lebt mit der blanken Not. Da mutet es für so manchen Passanten merkwürdig an, wenn einer am Boden sitzt und nicht nur den Becher vor sich stehen hat, sondern vielleicht sogar ein Handy in der Hand — auch wenn das nicht die Regel ist.


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Wer abseits der Gesellschaft steht, lebt jenseits von Teilhabe — und tut sich somit auch schwer in einer sich mehr und mehr digitalisierenden Welt. Und es werden immer mehr, die wohnungslos werden. Knapper bezahlbarer Wohnraum, steigende Mieten und Sozialwohnungen, die aus der Bindung fallen. Das alles hat die Wohnungsmarktlage in vielen Großstädten, wie auch in Nürnberg, verschärft.

Im Laufe des Jahres 2018 waren insgesamt etwa 678.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung. Davon lebten etwa 41.000 Menschen tatsächlich auf der Straße. Das geht aus einer Schätzung der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) hervor. In Nürnberg sind Schätzungen zufolge 2300 Menschen ohne Wohnung, 50 bis 80 davon leben auf der Straße.

Kaum valide Zahlen

Dabei sind Wohnungslose und Obdachlose nicht zwangsläufig von der digitalen Welt abgehängt. Auch wenn es valide Zahlen hierzu bislang nicht gibt. Immerhin kam eine Erhebung der Hochschule Düsseldorf unter mehr als 100 Wohnungslosen zu dem Schluss, dass beinahe alle das Internet nutzten. Und das kann seinen Sinn haben. Wo kann man nachts schlafen, wo gibt es etwas Warmes kostenlos auf den Tisch oder wie komme ich an einen warmen Wintermantel aus einer Kleiderkammer? Heimische Wohnungslose kennen die Adressen in der Regel, aber wer neu in der Stadt strandet, steht erst mal ahnungslos da.


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"Meiner Beobachtung nach wird das Handy bei unseren Besuchern vorwiegend zur Kommunikation benutzt, eher selten zum Spielen oder Musik hören", sagt Peter Groß, der die "Hängematte" in Nürnberg leitet. Die Anlauf- und Notschlafstelle richtet sich an drogenkonsumierende Menschen, auch an solche, die auf der Straße gelandet sind. Groß geht davon aus, dass "schätzungsweise die Hälfte oder sogar die Mehrheit" der Besucher ein Handy oder Smartphone besitzen.

Digitalisierung hilft auch Obdachlosen

Peter Mertel vom Haus für Männer und Frauen in der Großweidemühle, in der Wohnungslose untergebracht sind und Obdachlosen eine Notschlafstelle bietet, berichtet davon, dass etwa 20 bis 40 Prozent des Nachtasyls ein Handy haben. Bei Frauen seien es mehr, da diese noch häufiger soziale Kontakte pflegen würden als Männer. Wobei auch das Alter eine Rolle spielt. "Jüngere haben noch mehr Kontakte, auch spielt das Handy hier eine ganz andere Rolle als etwa bei einem älteren Obdachlosen aus Osteuropa", so Mertel. Von der Finanzierung oder der Möglichkeit, überhaupt einen Vertrag abschließen zu können, ganz zu schweigen. Schwierig ist es auch für Menschen, die keinen Ausweis oder negative Registereinträge haben, wie etwa bei der Schufa.

Dass von der Digitalisierung auch obdachlose Menschen profitieren könnten, davon gehen Wissenschaftler vom Institut für E-Beratung an der Technischen Hochschule Nürnberg aus. Im vergangenen Sommer starteten sie, gefördert vom Bundesforschungsministerium, das Projekt "Smart Inklusion für Wohnungslose". Bis 2022 will das Team aus Sozialwissenschaftlern, Informatikern und Ingenieuren Lösungen finden, etwa in Form von Onlineberatung, Anlaufstellen sowie der nutzergerechten Information über Hilfsangebote. Die Wissenschaftler versprechen sich davon auch, dass die Betroffenen selbst aktiver werden.

"Gäste dürfen ihr Handy laden"

Die BAGW fordert unterdessen neben der Bereitstellung von Equipment außerdem den Ausbau des öffentlichen WLAN sowie frei zugängliche Auflademöglichkeiten. Der VGN bietet inzwischen an einigen U-Bahnhöfen kostenloses WLAN an, auch in den Bussen kann man umsonst ins Internet.

Bleibt das Problem, kostenlos an Strom zu kommen, um das Handy aufladen zu können. In der Bahnhofsmission am Hauptbahnhof ist dies möglich. Auch wenn Stadtmission-Sprecherin Tabea Bozada betont, dass man sich dort nicht als "Ladestation to Go" verstehe. "Die Gäste dürfen ihr Handy laden, solange sie sich in der Bahnhofsmission aufhalten", so die Sprecherin auf Anfrage. Man wolle dort aber vor allem die Menschen erreichen.

Der persönliche Kontakt bleibt wichtig

Auch Peter Groß von der "Hängematte" betont die persönliche Komponente, ohne die es nun — mit oder ohne Handy — in der Obdachlosenhilfe nicht geht. "Für eine erfolgreiche Beratung ist bei unserer sozial meist wenig integrierten Klientel ein persönlicher Bezug sehr wichtig. Den kann ich mir bei Online-Beratung so nicht vorstellen."

Auch wenn Menschen, die ohne eigenes Dach über dem Kopf zurecht kommen müssen, auf den ersten Blick größere Probleme als ein fehlendes Handy haben, so hält Peter Mertel den Schritt für mehr Teilhabe in diesem Bereich nicht für abwegig. "Heute läuft einfach vieles online." Hier seien ältere Obdachlose doppelt benachteiligt. Sie scheiterten nicht nur an den Möglichkeiten, sich etwa elektronisch irgendwo zu bewerben, sondern oft auch an ihrem Bildungsniveau, wenn es etwa um das Ausfüllen von Formularen geht. Mit einem Handy alleine ist es also nicht getan.