Wirbel um Abtreibungen: Werbeverbot verunsichert Patientinnen

22.6.2019, 05:41 Uhr
Die große Koalition hat den umstrittenen Paragraphen 219a zwar reformiert, Abtreibungen sind aber weiterhin ein Tabu-Thema.

© Jens Büttner, dpa Die große Koalition hat den umstrittenen Paragraphen 219a zwar reformiert, Abtreibungen sind aber weiterhin ein Tabu-Thema.

Natürlich will diese Seite nicht informieren, sondern Ärzte als "Mörder" diffamieren. Dabei gehen diese schon wegen des Werbeverbots nach Paragraph 219a, das ihnen jeden Hinweis auf Schwangerschaftsabbrüche untersagt, in Deckung. Kontaktversuche zu der Ärztin etwa, die in der seit 1993 auf dem Gelände des Klinikums existierenden Privatpraxis Abtreibungen durchführt, scheitern. Die Furcht vor Feindseligkeit und Patientenboykott ist offenbar groß, auch wenn die Abtreibungsgegner in Nürnberg kaum aktiv sind.

Zwar hat die große Koalition in Berlin das umstrittene Werbeverbot Anfang des Jahres nach langem Kampf leicht reformiert, doch die dabei wieder aufgerührten emotionalen Grundsatzdebatten haben klargemacht: Abtreibung ist und bleibt ein Tabuthema, bei dem der Staat ein Wörtchen mitzureden hat.

Schlechtes Gewissen und Albträume

Eine Botschaft, die bei den Frauen mit voller Wucht ankommt. "Ich hatte das Gefühl, ich tue etwas Verbotenes", sagt die 21-jährige Lissi Grabow (Name geändert), die zum Gespräch über ihre Abtreibung bereit ist. Fünf Jahre ist es her, dass sie trotz Pille schwanger wurde.

Ihr schlechtes Gewissen, ihre inneren Kämpfe ("Das Kind erschien mir im Traum und fragte: Warum darf ich nicht leben?") und mehrere Beratungstermine bei Pro Familia liegen hinter ihr. Heute gehe es ihr gut mit der Entscheidung, sagt die Auszubildende, die noch bei ihrer Mutter lebt. Immer, wenn sich der Eingriff jährt, zünde sie eine Kerze an.

Pro Familia ist besorgt

"Dass Abtreibung zunächst illegal ist, stigmatisiert die Frauen", sagt Mirjam Dauscher, Geschäftsführerin von Pro Familia Nürnberg, wo über 600 Klientinnen im Jahr zur Pflichtberatung kommen. Sie registriert besorgt, dass die politischen Anfeindungen aus der rechten Ecke zunehmen. Und der Streit um den Paragraphen 219a habe die alten Gegner wieder auf den Plan gerufen.

Fünf Nürnberger Beratungsstellen geben den sogenannten Beratungsschein aus, den das Gesetz vor einem Abbruch zwingend verlangt. 95 Prozent der Frauen bekämen nach der Diagnose bei ihrem Gynäkologen die Adresse eines Arztes, der den Eingriff spätestens in der zwölften Woche übernimmt, sagt Ruth Persau von der Beratungsstelle der Stadtmission in der Krellerstraße.

Das Geschehen läuft zwar unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung, aber es scheint reibungslos zu funktionieren. Die Versorgung der Frauen in Nürnberg schätzen alle befragten Beraterinnen als gut ein. "Es gibt keine großen Hürden, die Abläufe sind undramatisch", sagt auch Fred-Jürgen Beier, der Chef des Gesundheitsamtes, das ebenfalls bei Schwangerschaftskonflikten berät. Er sagt: "Wir sind sehr dankbar, dass die Ärzte das tun."

Weniger Praxen führen Abtreibungen durch

Auch von dem andernorts beklagten Mangel an Medizinern, die den Eingriff anbieten — und ihn im Studium auch erlernt haben — ist in Nürnberg noch wenig zu spüren. Dabei lassen die Zahlen des Bundesamts für Statistik aufhorchen. Führten vor 15 Jahren bundesweit noch 1173 Praxen Abbrüche durch, waren es 2018 bereits 40 Prozent weniger.

Das Gesundheitsministerium in Nürnberg zählt 15 Facharztpraxen in ganz Mittelfranken, dazu eine Klinik in Ansbach, die eine Erlaubnis zum Eingriff hätten. Das Nürnberger Klinikum ist nicht auf der Liste; hier entschied sich der Stadtrat 1991 gegen den massiven Widerstand von Freistaat und Kassenärztlicher Vereinigung für die private Ambulanz auf städtischem Gelände.

Psychisch überfordert, belastet mit Problemen in Beruf und Partnerschaft kämen die Frauen, oder mit Beruf oder Ausbildung, die sie nicht gefährden wollten. Simone Zimmermann von der katholischen Beratungsstelle Donum Vitae in der Königstraße nennt einen weiteren Grund, der immer häufiger gegen ein Kind spreche: "Wer mit zwei Kindern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung sitzt, findet heute kaum etwas Größeres, das auch noch bezahlbar ist."

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