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„Das war erschütternd“: Erfahrungen aus dem Erdbebengebiet

Andrea Pitsch

Redakteurin

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13.3.2023, 11:00 Uhr
Den Hersbruckern bot sich ein Bild der absoluten Zerstörung im türkischen Erdbebengebiet.

© privat Den Hersbruckern bot sich ein Bild der absoluten Zerstörung im türkischen Erdbebengebiet.

„Es hat alles gefehlt, was man sich vorstellen kann – vom Dach bis zu den Hygieneartikeln“, sagt Mukades Kalindamar. Die Bilder von Schrecken, Trauer und Hilflosigkeit aus ihren zehn Tagen im türkischen Erdbebengebiet haben sich der Vorsitzenden der alevitischen Gemeinde Hersbruck tief in Erinnerung und Herz eingegraben. „Das war erschütternd, das zu sehen.“

Denn die Medienberichte seien weit weg vom wirklichen Geschehen. Sie sei zehn Tage nach der Katastrophe dort gewesen und es habe „keine Toiletten, kein Frischwasser, keine Essensverteilung, keine mobilen Krankenhäuser, keinen Strom“ gegeben. Die Menschen hätten aufgrund von Trauma und Schock ihre Trauer gar nicht ausleben können: „Sie mussten erst einmal überleben.“

Und dafür hat sich die alevitische Gemeinde in erster Linie in Person von Kalindamar und Yüksel Basusta eingesetzt. Sie beide reisten in die Türkei – nicht ohne Hindernisse. „Die Organisation der Flüge war schwierig, im Inland war alles ausgebucht.“ Über mehrere Zwischenflüge kam das Hersbrucker Duo hin und zurück. „Das hat uns jeweils einen Tag gekostet.“ Im Gepäck hatten die beiden sozusagen ein stolzes Sümmchen von Spenden, die dank Gaben von Fackelmann, IGE, Malerfachbetrieb Scharrer, Hewa, Felsner, Wening Bau, Sportvereinen, Kleinbetrieben, Einzelhändlern und Bürgern aus Hersbruck und Umland zusammengekommen sind, verrät Kalindamar.

Plötzlich bebt es wieder

Sie hatte nämlich bereits Vorfeld von Deutschland aus einiges über türkische Kooperationspartner organisiert. „Container, Zelte und Lebensmittel haben wir so über hunderte Kilometer ins Erdbebengebiet liefern lassen.“ Beim Rest schaute sie vor Ort, was noch benötigt wird. Aber als sie in der ersten betroffenen Kommune ankam, „da mussten wir selbst zuerst tief Luft holen“. Doch dann packten Kalindamar und Basusta mit ungebrochener Energie an. „Bis auf Hatay konnten wir alle Orte anfahren“, berichtet sie. Der Grund: In Hatay bebte die Erde zu diesem Zeitpunkt erneut. „Das Risiko war uns dann zu groß und wir haben die Fahrt abgebrochen.“

Emotionale Momente waren es so auch unendlich viele: „Die pubertierende Gesellschaft hat es intensiv getroffen.“ Viele Jugendliche und Kinder hätten ihre Eltern verloren. Gerade sie wollten aber wenig Kontakt zur Außenwelt aufnehmen, hat sie erfahren. Andere Menschen hätten sich ihr geöffnet und „einfach zu hören“, das habe vielen geholfen. „Wie sie erzählt haben, wie sie die Stimmen der Angehörigen unter den Trümmern gehört haben und nicht dran gekommen sind, das war, als würden sie über einen schrecklichen Albtraum reden.“

Daneben hätten sie auch sonst viel bewirkt, findet Kalindamar stolz. „Wir haben Wohncontainer für Frauen und Mädchen besorgt“, damit diese einen Rückzugsort hätten. Den Notbedarf, den haben sie zu decken versucht. Und nicht nur das: Die beiden haben teilweise Nachtwache am Feuer vor den Zelten gehalten. „Auch wir mussten die Kälte aushalten.“ Auch sie mussten mit wenig Hygiene auskommen und mit leeren Handyakkus. „Da kam ich mir selbst manchmal verlassen vor.“ Gegen den Schmerz der Menschen sei das jedoch nichts: „Sie sind abhängig von jeder helfenden Hand, von jedem Trost.“

Unter anderem solche Zelte hat die alevitische Gemeinde von den Spenden gekauft.

Unter anderem solche Zelte hat die alevitische Gemeinde von den Spenden gekauft. © privat

Beeindruckt haben Kalindamar die kleinen Kinder, die sich erstaunlich schnell ans Zeltleben gewöhnt hätten. Wenn sie die Mädchen und Jungs morgens gefragt hat, ob sie schon etwas gegessen hätten, meinte die: „Ob ich denn nicht wisse, dass sie warten müssten.“ Das bewegt Kalindamar noch jetzt. Sie freundete sich mit den Kindern an, der Abschied fiel ihr schwer. „Da habe ich einige Tränen rausgedrückt.“ Nicht nur deshalb. Sie hatte das Gefühl, dass sie die Gesellschaft nun alleine lässt. „Wenn jemand von unserer Gemeinde dort ist, dann hatten wir Schutz und Hilfe.“ Denn Kalindamar bestätigt Vorwürfe der Erdbebenopfer an die türkische Regierung: „Die Bevölkerung ist verlassen von der Regierung.“ Nach fünf Wochen gebe es noch kein Trinkwasser und an Stabilität in der Region sei nicht zu denken. „Die Menschen dort sind abhängig von dem, was von uns kommt.“

Daher will die alevitische Gemeinde weiter spenden sammeln und verteilen. „Wir müssen als Gesellschaft ein Zeichen setzen, dass wir uns für die Menschheit verantwortlich fühlen.“ Kalindamar hat schon diverse Ideen – Patenschaften für eine längere Begleitung oder psychologische Betreuung für Kinder und Jugendliche. „Wir haben uns die Unterstützung als Ziel gesetzt und uns ist bewusst, dass das ein langer Weg ist.“

Gespendet kann weiter werden an: Alevitische Gemeinde Hersbruck, DE82 7605 0101 0013 0665 92, Sparkasse Nürnberg.

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