Rettung im „Brändelbergloch“

Nach Felssturz in der Hersbrucker Schweiz: Höhlenretter sind Alleskönner in der Unterwelt

Andrea Pitsch

Redakteurin

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4.8.2023, 10:30 Uhr
Nils Bräunig ist seit 34 Jahren im Bereich Höhlenrettung tätig und für die Bergwacht Pottenstein aktiv.

© Nils Bräunig Nils Bräunig ist seit 34 Jahren im Bereich Höhlenrettung tätig und für die Bergwacht Pottenstein aktiv.

Einer, der sich damit auskennt, ist Nils Bräunig. Er ist seit 34 Jahren im Bereich Höhlenrettung tätig. Er war damals bei der Rettungsaktion von Juni 2014 aus der Riesending-Schachthöhle im Untersberg in den Berchtesgadener Alpen dabei und stellt diese Kernkompetenz der Bergretter genauer vor.

Was sind Ihre Erinnerungen an den Einsatz?

Grundsätzlich muss ich vorausschicken, dass das damals ein ganz seltenes Extremereignis war. Ich vergleiche das gerne mit einem Jahrtausendhochwasser. Man kann sich auf so etwas gedanklich planspielmäßig vorbereiten, aber wenn es dann eintritt, dann ereignen sich viele Dinge, die man nicht vorbereiten kann. Man muss ganz viel ad hoc tun. Für uns in der Höhlenrettung war daran nicht die lange Einsatzdauer besonders – das ist für uns nicht ungewöhnlich –, sondern der riesige Aufwand und die Organisation der wahnsinnig vielen Beteiligten.

Sie waren damals einer der Abschnittsleiter der Höhle.

Bei einer großen Einsatzlage ist es üblich, dass man die Verantwortung auf mehrere Köpfe verteilt. Daher haben wir mehrere Abschnitte gebildet. Ich habe einen davon koordiniert. Außerdem haben wir im Schichtbetrieb gearbeitet, weil nicht jeder ständig im Einsatz sein kann oder beruflich so lange abkömmlich war.

Was haben Sie von der Rettungsaktion für sich mitgenommen?

Von der Arbeit an sich nichts; denn die ist bestmöglich gelaufen. Aber was mir positiv aufgefallen ist, war, dass danach keiner mehr die Frage gestellt hat: Für was braucht es die Höhlenrettung eigentlich? Das ist ja ein ganz spezieller Bereich, der sonst ganz wenig gefordert wird. Die Wahrnehmung hat sich durch die Medien verändert, die zugleich ein Bild von der Höhlenrettung geprägt hat, das aber nicht den Alltag widerspiegelt.

Und gab es Lerneffekte allgemein für die Höhlenrettung?

Nein, es gab keine neuen Impulse, es war eher eine Bestätigung. Wir konnten die über Jahrzehnte gewachsene und erprobte nationale und internationale Zusammenarbeit zielführend anwenden. Denn schon Jahre vorher hat sich die europäische Höhlenrettung vernetzt. Dass wir uns kannten, das konnten wir ausspielen und haben die Rettung unter ungünstigen Voraussetzungen mit großem Kraftakt gemeistert. Und das hat auch den Ehrenamtlichen gezeigt, dass Höhlenrettung wichtig ist und sich die Frage nach dem „für was“ nicht mehr stellt.

Was fasziniert Sie denn an diesem Bereich?

Das ist eine Mischung verschiedener Aspekte. Eine Höhle ist für mich eine andere Welt, einer der wenigen verbliebenen ursprünglichen Naturräume. Dort gibt es kein Handy und keinen Funk, man ist sozusagen abgeschnitten. Ich muss mich in ihr nach der Natur richten: Wird es nass, muss ich schwimmen, steil klettern und niedrig kriechen. Das hat was von Demut gegenüber der Natur. Dazu kommt bei der Bergwacht die Kameradschaft in unwirtlicher Umgebung.

Und die muss in einer Höhle funktionieren.

Ja, wenn etwas passiert, müssen wir uns selbst helfen können. Draußen gibt es die Fachdienste wie Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienst. Drinnen nur ein Team, das alles machen muss. Logistik, Technik und Medizin stemmen wir aus einer Hand. Dazu kommt, dass jede Höhle anders ist. Standardverfahren können helfen, aber im Prinzip muss man die Abläufe jedes Mal neu stricken. Das macht es spannend.

Wo liegen denn die Gefahren oder Herausforderungen?

Erst einmal: Höhlen sind nicht gefährlicher als es außen ist. Dort gibt es keine Witterungsschwankungen und wenn ein Weg zwei bis drei Mal begangen wurde, liegt da kein loses Material mehr. Beim Bergsteigen dagegen gibt es zum Beispiel Steinschlag. Das Problem ist: Der Unfallort ist nicht leicht erreichbar im Gegensatz zu den Bergen, in denen bei schönem Wetter der Hubschrauber fliegen kann. Daher müssen wir eine geringe Fehlerquote haben, weil wir nicht schnell reagieren können. Das Team vor Ort muss die Probleme aus eigener Kraft lösen. Auch wenn wir immer redundant arbeiten, also ein Reserve-Team vorhalten. Hier bei uns gab es noch keine Eigenunfälle bei einer Rettungsaktion.

Und das bei der großen Höhlendichte hier.

Ja und obwohl wir in diesem Bereich die einsatzstärkste Region in Deutschland sind. Wir haben in ganz Nordbayern über 3000 Höhlen. Die sind in der Regel altbekannt und gut erreichbar. Daher passiert da auch immer wieder mal was.

Was muss man denn als Höhlenretter mitbringen?

Auf alle Fälle eine gewisse körperliche Fitness und dass man gerne in Höhlen geht. Außerdem muss man im normalen Bergrettungsgeschäft mitarbeiten. So gewinnt man durch regelmäßige normale Einsätze Routine. Nach der Ausbildung zum Bergretter lernt man spezielle Sachen zur Höhlenrettung.

Wenn es da so wenig Einsätze gibt, wie bleibt man im Training?

Wir halten einmal im Monat eine Ausbildungsübung ab und zwei Mal im Jahr Rettungsübungen. Da sind dann auch gezielt die örtlichen Einheiten dabei. Denn die anderen Bergretter decken draußen und den Eingang sehr sehr gut ab. Im Frankenjura sind etwas mehr als 20 Männer und Frauen aktiv und damit bilden wir eine schlagkräftige Mannschaft. Wird es komplexer, ziehen wir Kräfte aus Bayern, Deutschland oder dem Ausland hinzu.

Welche Tipps haben Sie für Hobby-Höhlenforscher?

Immer zu zweit, noch besser zu dritt losgehen. So kann einer beim Verunfallten bleiben und der andere Hilfe holen. Außerdem sollte man immer jemandem sagen, wo man ist, damit man nicht erst nach Tagen vermisst wird. Wichtig ist auch die Ausrüstung: Helm und zwei Lichtsysteme, also nicht nur eine Taschenlampe einstecken. Und man muss sich bei der Bekleidung auf Kühlschrank-Temperaturen einstellen.

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