Heimatzeit-Portrait

Horst Fürsattel - ein Mann mit vielen unsichtbaren Spuren

Andrea Pitsch

Redakteurin

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12.2.2023, 06:00 Uhr
Horst Fürsattel hat viele Erstbefahrungen mit dem Kajak geleistet und mit vielen Erfindungen etwas für den Paddelsport getan.

© privat Horst Fürsattel hat viele Erstbefahrungen mit dem Kajak geleistet und mit vielen Erfindungen etwas für den Paddelsport getan.

Er lebt im Hier und Jetzt. Dennoch betont Horst Fürsattel: „Um meine Geschichte zu verstehen, muss man die Zeitmaschine ein wenig zurückdrehen, etwa bis 1910.“ Seine Eltern und Großeltern hätten einen „riesengroßen Einfluss“ auf ihn und seine Leidenschaften gehabt. Und dabei etwas für die Nachwelt hinterlassen, was Fürsattel aufgegriffen und in seiner Zeit fortgeführt hat und nun – vielleicht unbemerkt – ebenfalls weitergibt.

Zum Beispiel in Form „wertvoller historischer Aufnahmen“ diverser Kletterfelsen in der Hersbrucker Schweiz. „Mein Großvater Hans Kißkalt gehörte mit zu den Erschließern der Felstürme hier.“ Der Allgäuer Turm bei Neuhaus sei vermutlich nach seiner Touristengruppe „Die Allgäuer“ benannt worden, erklärt der 65-Jährige. Heute sind viele der steinernen Formationen im Wald verschwunden, bedauert Fürsattel.

Geboren und aufgewachsen in Nürnberg war Fürsattel dank seiner Eltern viel draußen. Er entdeckte die Welt mit ihnen per Faltboot und Zelt – die Drau hinunter oder die Westküste Korsikas entlang. Trotzdem fragt er sich, woher seine Freude an der Bewegung kommt oder die Neugier, was hinter der nächsten Kurve auf ihn wartet. Das konnte der kleine Horst mit sechs Jahren mit seinem ersten Kajak selbst herausfinden. „Das war aus Polyesterverbundwerkstoff und so stabil, dass man damit richtig Wildwasser fahren konnte.“ Noch heute sieht man die Augen des Jungen leuchten.

Klettern mit dem Kurt

Als er alt genug war, zog Fürsattel auf eigene Faust los. Nicht nur mit dem Boot. Fürsattel wohnte am Schmausenbuck – dem Kletterrefugium von Kurt Albert & Co. So kam er mit den Pionieren des Rotpunktkletterns in Kontakt. „Mit Kurt Albert war ich in meinem ersten Kletterurlaub.“ Und er wurde selbst Teil dieser Gemeinschaft. Auch etwas, was Fürsattel über seine Familie mit auf den Weg bekommen hat: sich zugehörig fühlen. Noch heute sagt er deshalb, dass er zwar mittlerweile seit 1992 sein Zuhause in Kleedorf hat, aber durch seine Freunde und Bekannte weltweit verwurzelt ist.

Mit den Kletterfreunden ging es mit dieser neuen Ethik des Freikletterns auch in die Alpen. Als einen Höhepunkt seiner Karriere am Fels bezeichnet Fürsattel eine der ersten Rotpunkt-Begehungen der Großen Zinne 1983 gemeinsam mit Ingrid Reitenspieß. „Das war eine herausragende Sache.“ Zig Premieren hat Fürsattel auch auf dem Wasser gefeiert. An den Erstbefahrungen reizten ihn die Neugier und die Ungewissheit: „Ist die Schlucht auf der Landkarte echt befahrbar? Das ist spannend.“

Eine der ersten Rotpunkt-Begehungen der Großen Zinne 1983 gemeinsam mit Ingrid Reitenspieß war eine herausragende Sache für Horst Fürsattel.

Eine der ersten Rotpunkt-Begehungen der Großen Zinne 1983 gemeinsam mit Ingrid Reitenspieß war eine herausragende Sache für Horst Fürsattel. © Horst Fürsattel

Besonders in Erinnerung ist dem Franken eine erste Tour durch einen der größten Canyons Europas in Griechenland. „Das war ein beeindruckendes Abenteuer wegen der Länge und Tiefe der Schlucht.“ Wenn man nicht weiß, was da auf einen zukommt, welche Rolle spielt da Angst? Fürsattel grübelt lange, bevor er wie so oft überlegt antwortet: „Angst bedeutet Unsicherheit und dann hat man vorher schon etwas falsch gemacht.“

Das bedeutet für Fürsattel, dass er sich nie gedankenlos ins Abenteuer gestürzt hat. All in-Gehen, das ist nichts für ihn. „Nach meiner Philosophie muss es immer eine Möglichkeit zum Überleben geben.“ Er sei daher immer mit Respekt an die Projekte herangegangen. Vielleicht hält ihn dieser Respekt vor der Sache davon ab, sich trotz seiner Erstbefahrungen als Held der Szene zu sehen: „Ich bin immer in der zweiten Reihe gestanden“, sagt er bescheiden.

Zumal Paddeln und Klettern dieser Art „keine Spuren hinterlassen“. „Abgesehen von der Info, dass da jemand zum ersten Mal war, gibt es nichts.“ So sei das Erlebnis der Route eigentlich jedes Mal neu, findet er, der nicht gerne im Mittelpunkt steht. Und das obwohl er sich im Zuge seines Berufs vermarkten können musste und konnte. Mit diesem hat Fürsattel dennoch Spuren hinterlassen. „Klappern gehört zum Handwerk, aber ich genieße, dass ich das nicht mehr machen muss.“

Zwergenkosmos auf dem wilden Wasser

Denn seit 2019 ist der Kleedorfer im Ruhestand. Die Jahre vorher hatte er Messen und Festivals organisiert: „Das war spannend und neu.“ Daher war es ihm nicht schwer gefallen, sein 1984 entstandenes Unternehmen „hf Kajaksport“ mit Sportartikeln an Nachfolger zu übergeben. Obwohl es eine Weltfirma mit wegweisenden Erfindungen war. „Ja, im Zwergenkosmos Paddeln – nur ein Bruchteil des Outdoormarkts – waren wir global bekannt“, relativiert Fürsattel und ergänzt: „Durch meine Kontakte zu internationalen Expeditionspaddlern waren wir automatisch Experten und in einer Führungsposition.“

Er, der eine Zeit lang Werkstofftechnik studiert hat und nebenbei als Kanulehrer arbeitete, setzte sich auch deshalb schon früh mit seiner Ausrüstung am Wasser auseinander. „Über Statik, Dynamik und Festigkeitslehre Bescheid zu wissen, war ganz hilfreich.“ Nicht nur für die Produktentwicklung, sondern auch für die Ausbildung der Kanulehrer. „Da war das wissenschaftliche Herangehen gut.“

Sein Glück sei es gewesen, dass er in eine Zeitenwende hineingefallen sei, in die Pionierzeit der Kunststoffboote. „Mit dem neuen Material war auch alpines Wildwasserfahren möglich.“ Doch da mussten die Sportler auch mal schwimmen, verhakten oder verklemmten sich. Fürsattels Ehrgeiz war geweckt: „Ich wollte helfen, die Leute da rauszuholen“ – mit neuen Seilen und Schwimmwesten zum Beispiel. „Ich wollte ihnen Material geben, das besser ist, als das, was sie haben“, verpackt er seine Triebfeder in Worte. Wohlwissend, dass die Ausrüstung „nur ein Werkzeug“ ist.

Den Menschen etwas geben, das möchte Fürsattel auch mit einer weiteren Leidenschaft – dem Filmen und Fotografieren. Darauf gebracht hat ihn sein „großes Kletteridol“ Reinhard Karl. Der meinte einmal, dass man erst durch den kleinen Kamera-Sucher die Welt richtig entdecken könne, erinnert sich der aufmerksame Beobachter und hat dieselbe Erfahrung gemacht: „Man betrachtet die Dinge viel genauer, befasst sich mit Land, Leuten und Landschaft und erlebt alles intensiver.“ Wenn sich das dann andere Menschen noch ansehen und drüber reden – wie über seine Filme über den Landkreislauf oder die neueste Doku zum 50. Hirtentag –, „freue ich mich drüber“.

Gedreht hat Fürsattel auch über sich. Es ist sein neuestes Projekt, fast schon ein melancholisches: Möglichst viele der Orte zu besuchen, an denen er schon einmal war. „Die Voraussetzung dafür ist innere Ruhe. Ich muss niemandem mehr etwas beweisen.“ Und es ist das Bewusstsein, dass „die Zeit irgendwann zu Ende ist, also nutze ich sie“.

Fürsattels Großvater gehörte zu den Erschließern der Felstürme in der Hersbrucker Schweiz - wie dem Bolzenstein bei Steinensittenbach. Er ist wie viele andere inzwischen im Wald verschwunden. 

Fürsattels Großvater gehörte zu den Erschließern der Felstürme in der Hersbrucker Schweiz - wie dem Bolzenstein bei Steinensittenbach. Er ist wie viele andere inzwischen im Wald verschwunden.  © Archiv Horst Fürsattel

Und zwar in so fern, dass er Augen und Ohren offen hält, was er damals alles übersehen hat. „Da war der Sport im Fokus und ich habe viel nicht wahrgenommen.“ Auch weil er allein unterwegs ist („Das ist nach der Lehrmeinung sicher leichtsinniger als früher“, gibt er schmunzelnd zu). Jetzt schärft das seine Sinne: „Wie schnell es draußen abkühlt, wenn die Sonne weg ist und wie angenehm der nächste Morgen, wenn sie einem wieder den Pelz wärmt.“

Dennoch liegt seine Aufmerksamkeit bei der Rückkehr nach 30 oder 40 Jahren an bekannte Orte nicht auf deren Veränderungen: „Mir kommen alte Weggefährten in den Sinn, ich sehe ihre Gesichter vor mir und habe den Klang der Stimmen im Ohr.“ Emotionen, die nicht alltäglich sind, löste auch ein Besuch am Matterhorn aus. „Klar war ich schon oft in Zermatt.“ Aber da wusste er noch nicht, dass sein Opa im Juli 1924 mit seinen Kameraden das Matterhorn überschritten hatte. „Sie waren für diese Rundtour fünf Tage unterwegs und haben auf 4200 Metern Höhe biwakiert, da ziehe ich meinen Hut.“

Herausgefunden hat Fürsattel das über alte Fotos und ein Vortragsskript in altdeutscher Schrift. Er ordnete beides zu, ging der Route bis zum Beginn der Kletterei nach. „Das war eine sehr bewegende Erfahrung, ein wirklich einzigartiges Erlebnis.“Nicht nur dabei ist ihm klar geworden, dass sich solche Episoden in seiner Familie über 100 Jahre erstrecken und alle seine Verwandten sowie seine heutige Gemeinschaft der Kletterer und Paddler eines gemeinsam haben: „Die Freude an einem selbstbestimmten Handeln und eine hohe Wertschätzung für besondere Momente mit Gleichgesinnten draußen in der Natur.“

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