Mariengrotte bei Nasnitz rettete vor 75 Jahren Leben
22.04.2020, 08:55 Uhr
Auf eine besondere Weise gedenkt Josef Haberberger dem Kriegsende: Der 80-Jährige errichtete eine kleine Gedenkstätte in einer Höhle im Wald. Dort versteckten sich er und seine Angehörigen sowie zwei Nachbarsfamilien kurz vor Kriegsende 1945.
Im Mittelpunkt der liebevoll gestalteten Grotte steht eine Marienfigur, die aus dem Wallfahrtsort Lourdes stammen soll. Geschenkt hat sie ihm eine alte Bauersfrau aus seinem Heimatdorf Nasnitz bei Auerbach. Weiterhin ließ Haberberger von einem Steinmetz eine Tafel mit der Inschrift "In Dankbarkeit 1939 – 1945" anfertigen. Eine kurze Information weist auf die bewegte Geschichte der Grotte hin, doch nur wenige Besucher finden den Weg.
"Zwölf bis 13 Menschen hatten sich kurz vor Kriegsende im April 1945 hier versteckt", erinnert sich Haberberger. Das waren seine Mutter, der Großvater, sein zweijähriger Bruder und er mit fünf Jahren. Hinzu kamen die Nachbarsfamilien Hupfer und Wittmann mit acht Personen.
Als es zum Kriegsende immer brenzliger wurde, hatte die Familie ihre beiden Kühe eingespannt und das Nötigste auf den hölzernen Wagen gepackt. Dann fuhren die vier auf dem holprigen Feldweg zum Waldstück Neubürg, das etwa 1,5 Kilometer von Nasnitz entfernt liegt. Die kleine, mannshohe Höhle im Berg wurde mit Stroh und Decken ausgelegt, "die Nächte waren damals unheimlich kalt", erinnert sich der Zeitzeuge. Heute erscheint es erstaunlich, dass sich hier so viele Menschen verstecken konnten. Einige der Erwachsenen seien heimgelaufen, um auf den Bauernhöfen die Hühner, Enten und Schweine zu füttern und Essen zu holen. "Wegen der Tiefflieger musste die Feldarbeit teilweise nachts gemacht werden."
"Meinen Schlafplatz möchte ich heute bestimmt nicht mehr nutzen", meint der Rentner. "Für uns Kinder war dieser Zwangsaufenthalt aber gar nicht so unangenehm, denn es war immer etwas los. Am Tag durchkämmten wir die Wälder und erkletterten jeden Felsen. Im Gegensatz zu den Erwachsenen schliefen wir nachts sorgenlos."
Das schaurigste Ereignis für ihn war der schwere Unfall von Xaver Gradl. Dieser war damals zehn Jahre alt und spielte unten am Flembach nahe der Höhle mit einem seltsamen Eisenteil — einer Panzerfaust. Diese explodierte und riss dem Buben einen Arm ab. "Den dumpfen Knall höre ich noch heute", erzählt Haberberger sichtlich schockiert. Nur 300 Meter war er davon entfernt.
Wenn er im Wald am Nachthimmel Geschosse fliegen sah, war das für den kleinen Josef abenteuerlich. "Keiner dachte daran, dass sich einmal eines verirren könnte." Doch die Situation war todernst: "Auf jeder Anhöhe und in fast jeder Hofeinfahrt unseres Ortes standen gepanzerte deutsche Fahrzeuge", schildert er.
Eine SS-Einheit hatte sich abseits des Dorfes im Kirntal verschanzt, sie feuerte über Nasnitz hinweg Richtung Neudorf bei Pegnitz, wo bereits die Amerikaner standen. "Die Amerikaner dachten vermutlich, dass die Geschosse aus Nasnitz kamen und schossen das Dorf in Schutt und Asche", schildert Haberberger.
Das war am Donnerstag, 19. April 1945, dem Tag der Besetzung. Sieben Häuser, 15 Scheunen und 20 Nebengebäude wurden zerstört. Doch Dorfbewohner kamen nicht zu Schaden, denn die hatten sich zuvor in den Wäldern versteckt.
Etwas abseits der heutigen Grotte, die den Namen Bergstüberlhöhle trägt, liegt die weit größere Hanslhöhle, in der sich weitere Dorfbewohner versteckt hatten. Im Tal fließt der Flembach, dort wusch sich Haberberger früh am Morgen und trank das kühle Wasser. Noch immer geht er gerne hier her. Die Ruhe im inzwischen hoch gewachsenen, lichtdurchflutetem Mischwald gefällt ihm. "Der Krieg hat bei mir Spuren hinterlassen", blickt er ernst zurück. Und er habe im Leben "immer viel Glück gehabt". Zum Dank dafür hat er die kleine Mariengrotte gebaut. Als die Amerikaner am 14. April 1945 bereits Bayreuth erobert hatten, war sein Vater in Grafenwöhr stationiert.
Dort sollte eine Kampfgruppe zusammengestellt werden, zum letzten Gefecht gegen die übermächtige US-Armee. "Für jeden Landser war klar, dass dieser Irrsinn nichts mehr bringen konnte", erläutert Haberberger. Auch sein Vater spielte mit dem Gedanken, Fahnenflucht zu begehen, um einem sinnlosen Tod in den letzten Kriegstagen zu entkommen. Doch ihm war klar, dass Fahnenflucht mit dem Tod bedroht war.
Sein Vater machte sich trotzdem in Uniform Richtung Heimat auf, schlich nachts durch die Wälder. Über Auerbach kam er in Nasnitz an. Das Dorf war menschenleer. Der Vater erfuhr, dass sich die Familie im Waldgebiet Neubürg versteckt hatte. Drei Tage nach der Fahnenflucht suchte auch die Polizei in Nasnitz nach dem Deserteur. Der Vater versteckte sich rund vier Kilometer von der Familie entfernt in den mächtigen Dolomitfelsen um Steinamwasser, die er nicht einmal nachts verließ. "Jede Nacht musste ich das Essen bringen", schildert Haberberger. Mit niemanden durfte er darüber reden. Erst als der Krieg vorbei war, kam der Vater wieder heim.
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