Neonazis versammeln sich in Oberfranken

Rechtsextremisten und verurteilte Terroristen marschieren durch Wunsiedel

14.11.2021, 15:43 Uhr
Rechtsextreme marschieren durch Wunsiedel, um NS-Kriegsverbrechern zu huldigen.

© Jonas Miller, NNZ Rechtsextreme marschieren durch Wunsiedel, um NS-Kriegsverbrechern zu huldigen.

Fackeln, ein Stahlhelm auf einem Holzkreuz, Fahnen und Transparente. Die Nazi-Partei "Der III.Weg" hat sich in einheitlich schwarzer Kleidung in der Goethestraße in Stellung gebracht. Es sind diese martialischen Bilder, auf die die Rechtsextremisten auch diesmal setzen, als sie am Vorabend des Volkstrauertages ins Fichtelgebirge nach Wunsiedel pilgern, um mit ihrem Aufmarsch den Akteuren des Nationalsozialismus zu huldigen.

Die rechte Truppe hat die oberfränkische Kreisstadt zu ihrer "Märtyerstadt" erkoren, weil hier Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß begraben liegt. Das Grab ist seit zehn Jahren aufgelassen, doch der Ruf des NS-Reichsministers hallt nach. Immer wieder kommen Rechtsextreme aus ganz Deutschland, um dem Kriegsverbrecher zu huldigen.

Meist kann die Truppe mit Musik und Trommeln ungehindert durch die südlichen Wohnviertel ziehen. Das kommunale Ordnungsamt hat zur Auflage gemacht, dass die Innenstadt tabu ist und eine langweilige Route durchs Viertel festgelegt. Die Worte "Heß" oder das ähnlich klingende "yes" dürfen nicht gesprochen werden, ebenso sind Stahlkappen auf den Schuhen und Kanthölzer tabu.

Kontakt zu Zschäpe und Co

Also ehren die Neonazis den "Stellvertreter" und ziehen los. Einsatzkräfte der Polizei sichern den Umzug. In Hörweite protestiert niemand, als sich rund 150 Mitglieder der Neonazi-Partei unter laut scheppernden Klängen in Bewegung setzen. Das Megaphon auf dem vorausfahrenden Auto ist nicht in bestem Zustand.

Matthias Fischer führt den Zug an. Sein Name taucht auf einer Kontaktliste der Rechtsterroristen des NSU um Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe auf. Er hat jahrelang in Fürth gewohnt, ehe ihn der massive Widerstand der Bürger gegen seine Aktivitäten vertrieben hat.

Nach kreativem Protest verschiedener Gruppen müssen die Neonazis über durchgestrichene Hakenkreuze und Bildern von Sophie Scholl laufen.

Nach kreativem Protest verschiedener Gruppen müssen die Neonazis über durchgestrichene Hakenkreuze und Bildern von Sophie Scholl laufen. © Nicolas Armer, dpa

Fischer war lange Zeit Führungskader der rechten Szene im Freistaat, seit kurzem ist er Vorsitzender des "III. Weg". Tony Gentsch, der die Versammlung in Wunsiedel angemeldet hat und die Leute jetzt dirigiert, ist sein Statthalter in Oberfranken. Gentsch sitzt inzwischen im Stadtrat von Plauen in Sachsen und im Kreistag des Vogtlandkreises. Man fühlt sich stark. Daneben marschiert Klaus Armstroff, Gründer des "III. Wegs" und früherer NPD-Aktivist.

Ignorieren statt Agieren

Vor Ort ist auch der als Rechtsterrorist verurteilte Karl-Heinz Statzberger. Er hatte zusammen mit anderen Neonazis Anfang der 2000-er Jahre einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegungsfeier des jüdischen Gemeindezentrums in München geplant. Auch Nicole Schneiders, Verteidigerin des Angeklagten Ralf Wohlleben im NSU-Prozess, ist zugegen. Sie war auch die Anwältin der als Rechtsterroristin verurteilten Susanne G. aus dem Nürnberger Land, die Anschläge auf den Landrat, einen Bürgermeister und die türkisch-islamische Gemeinde in Röthenbach/Pegnitz geplant hatte und im Sommer zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war.

Die Anwohner haben sich in ihre Wohnungen zurückgezogen, nur wenige Bürger sind an Fenstern und Türen zu sehen. "Ignorieren ist vielleicht der beste Weg", sagt eine Frau entschuldigend, die die Truppe der Ewig-Vorgestrigen, die den Nationalsozialismus verehrt, von ihrem Gartenzaun aus beäugt.

Ein anderes Ehepaar berichtet dem gemeinsamen Rechercheteam von Nürnberger Nachrichten und Bayerischem Rundfunk, dass vor Jahren der eine oder andere Anwohner ein Transparent mit Aufschriften gegen die braunen Gesellen aus dem Fenster gehängt habe, die Polizei habe daraufhin geläutet und die Bewohner aufgefordert, es zu entfernen. Jetzt lasse man den Auftrieb eben über sich ergehen.

"Umzug der Untoten"

Von den Rechten wollen sich die Bürger in Wunsiedel nicht einschüchtern lassen.

Von den Rechten wollen sich die Bürger in Wunsiedel nicht einschüchtern lassen. © Elke Graßer-Reitzner

Der verläuft ruhig, die kleinen Rangeleien bemerken die Polizistinnen und Polizisten nicht. Es werden die Journalisten massiv angerempelt, die die teils mit schwarzen Tüchern vermummten Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten fotografieren. Selbst einen der ihren trifft es, als ein strammer Fackelmarschierer einem eifrigen Fotografen im grünen Tarnanzug einen kräftigen Hieb verpasst. Als der sich als Aktivist des "III. Wegs" zu erkennen gibt, entfährt es dem Neonazi: "Wusste ja nicht, dass der zu uns gehört."

Vom "Umzug der Untoten" sprechen Beobachter, als ihr Chef Matthias Fischer davon spricht, man werde noch "den Tag erhalten, an dem wir Spuren in der deutschen Geschichte hinterlassen können".

Im Zentrum derweil gibt es Aktionen, Informationsstände und Musik gegen diese rechten Umtriebe. Das demokratische Bündnis "Wunsiedel ist bunt", die antifaschistische Gruppe "Nicht lange Fackeln", Kirchen und das örtliche Luisenburg-Gymnasium hatten zu Protestveranstaltungen, Lesungen, Konzerten und Andachten gerufen. Rund 250 Menschen waren nach Polizeiangaben gekommen, um gegen das "Heldengedenken" der Rechtsextremen anzugehen.

Polizei verhinderte Aufeinandertreffen

"Wir wollen für den Frieden auf die Straße gehen", sagte Christine Lauterbach von "Wunsiedel ist bunt". "Wir haben ein Problem, und wir treten ihm entgegen: Wir dulden kein nationalsozialistisches Gedankengut in unserer Stadt", betonte Bürgermeister Nicolas Lahovnik (CSU).

Schon am Vormittag hatten die Demokraten kreativen Widerstand gezeigt. Sie hatten deutliche Botschaften auf den Asphalt entlang der Route gemalt, die die Neonazis nehmen wollten. Und so mussten die Schwarzgekleideten am Abend über aufgemalte Bilder der NS-Widerstandskämpferin Sophie Scholl, über durchgestrichene Hakenkreuze oder den Spruch "Kameraden, die Augen nach links!" steigen.

Das antifaschistische Bündnis "Nicht lange Fackeln" hatte nach eigenen Angaben versucht, mit 400 Demonstranten den Aufmarsch der Rechten zu stören, war aber nicht in ihre Nähe gekommen. Die Polizei, die mit zahlreichen Einsatzkräften der Bereitschaftspolizei, der Bundespolizei und der Präsidien Mittelfranken in Nürnberg und Oberfranken in Bayreuth vertreten war, hatte ein Aufeinandertreffen verhindert.