Lehren aus der Vergangenheit

Rekord-Hochwasser: Wie sicher wäre Nürnberg heute?

24.3.2018, 05:53 Uhr
Nach dem bisher schlimmsten Hochwasser in Nürnberg am 5. Februar 1909 stand der Hauptmarkt mit dem Schönen Brunnen fast drei Tage lang unter Wasser.

© Foto: NN/Fotoropa Bilder-Dienst Nach dem bisher schlimmsten Hochwasser in Nürnberg am 5. Februar 1909 stand der Hauptmarkt mit dem Schönen Brunnen fast drei Tage lang unter Wasser.

Plötzlich geht alles ganz schnell. Die Pegnitz ergießt sich über die hohen Ufermauern, gewaltige Wassermassen fließen in die Nürnberger Altstadt. Innerhalb weniger Minuten stehen der Hauptmarkt, der Augustinerhof und die angrenzenden Straßen meterhoch unter Wasser. Hunderte Menschen müssen sich in Sicherheit bringen, Häuser evakuiert, Geschäfte geräumt werden.

Ein Untergangsszenario aus längst vergangenen Zeiten? Ein Ereignis, das Nürnberg durch den verbesserten Hochwasserschutz nach dem Jahrtausendhochwasser von 1909 nie wieder heimsuchen kann? Nicht unbedingt.

"Es kann immer ein noch schlimmeres Hochwasser auftreten als es jemals zuvor gab. Das Problem: Wir wissen nicht, wann und wo das passieren wird", sagt Ulrich Fitzthum, Leiter des Wasserwirtschaftsamtes in Nürnberg.

Vorwarnzeit von zwei Stunden

Die Nürnberger können trotzdem einigermaßen ruhig schlafen. Ein Hochwasser wie 1909, als 420 Kubikmeter pro Sekunde durch die Pegnitz rauschten (momentan sind es etwa elf Kubikmeter), ist extrem unwahrscheinlich. Vor allem aber gilt: "Ein Hochwasser wie 1909 würde die Stadt heute ziemlich unbeschadet überstehen", ist sich Fitzthum sicher.

Nach der Katastrophe wurden die Ufermauern erhöht, außerdem wurde in den 1970ern der Wöhrder See geschaffen. Der kann zwar das Hochwasser nicht von der Stadt abhalten, kappt aber die Spitze der Welle, so dass sie etwas niedriger ausfällt. Am wertvollsten ist der Wöhrder See dadurch, dass er das Hochwasser etwas aufhält und die Stadt eine zusätzliche Vorwarnzeit von zwei Stunden gewinnt. "Da ist jede Viertelstunde Gold wert. 1909 kam das Hochwasser ohne Vorwarnung und hat die Menschen im Schlaf überrascht", erzählt Fitzthum.

Noch wertvoller für Nürnberg ist der Hochwasserentlastungsstollen in der Altstadt, der die Pegnitz an der knappsten Engstelle leistungsfähiger macht. Trotzdem muss die Stadt gewappnet sein. Gefährlich wird es vor allem, wenn der Wöhrder See und der Fluss dick zugefroren waren. Fällt dann ein warmer Dauerregen, steigt der Pegel, das Eis bricht und riesige Eisschollen machen sich auf den Weg in die Innenstadt.

Das Wasserwirtschaftsamt hat sehr anschauliche Computersimulationen, die zeigen, was passiert, wenn der Entlastungsstollen durch Eis oder Treibgut verstopft ist. Lange geht auch bei einem extremen Hochwasser alles gut. Wenn das Wasser aber einmal über die Ufer getreten ist, wird die Altstadt rasend schnell überflutet.

Gegen ein Hochwasser, das statistisch alle 100 Jahre eintritt, sollen die Kommunen ihre Siedlungen durch Deiche, Rückhaltebecken oder Überflutungsgebiete schützen. Das ist im bayerischen Landesentwicklungsprogramm festgelegt. "Bei noch selteneren Ereignissen macht es wirtschaftlich keinen Sinn mehr, sich baulich abzusichern. Da müsste man ja ganz Nürnberg ummauern", verdeutlicht Fitzthum.

Abrissbagger für Eisschollen

"Man sollte aber auch auf extreme Ereignisse vorbereitet sein. Man sollte wissen, was dann zu tun ist, welche Straßen man zu welchem Zeitpunkt absperrt und welche Pflegeheime oder Kindergärten man wann evakuiert", meint Fitzthum. Man müsse sich etwa auch überlegen, was man mit den Kindern mache, wenn sie nicht mehr in die Schule könnten – oder von dort nicht mehr nach Hause.

Für Nürnberg heißt das etwa: Weil sich bei einem Hochwasser riesige Eisschollen an der Museumsbrücke verhaken und den Durchfluss versperren könnten, muss die Stadt schon jetzt wissen, wo sie rechtzeitig einen Abrissbagger herbekommt, der an die Brücke gestellt wird, das Eis zertrümmert und somit die Katastrophe verhindert.

Auch die Nürnberger Kläranlage wäre bei einem extremen Hochwasser überflutet. "Da müsste man zum Beispiel das Nachklärbecken außer Betrieb nehmen und sich auf mechanische Klärung beschränken", erklärt Fitzthum.

Selbst die Nürnberger U-Bahn muss vor Hochwasser geschützt werden. Bei einem extremen Hochwasser würden die Wassermassen in den Bahnhof Wöhrder Wiese hinabstürzen. Deshalb sind am flussseitigen Zugang Schlitze in den Wänden, in denen Hochwasserschutzwände verankert werden können.

Gründlach überschwemmt die A3

Auch die scheinbar so harmlos nördlich von Nürnberg fließende Gründlach hat es in sich. "Bei einem extremen Hochwasser würde sie die A 3 überschwemmen. Weil es ein sehr flacher Talraum ist, steht um Neunhof außerdem ein großes Gebiet unter Wasser", sagt Fitzthum.

Heutzutage wissen die Wasserwirtschaftsämter sehr genau, welche Flächen bei häufigen, hundertjährlichen oder extremen Hochwässern unter Wasser stehen. Im "Informationsdienst überschwemmungsgefährdete Gebiete" kann man dies im Internet auf den Seiten des Landesamtes für Umwelt sehr genau nachvollziehen. Risikokarten zeigen zudem an, wo Wohnsiedlungen, Gewerbebetriebe und Einrichtungen, die mit gefährlichen Stoffen arbeiten, bedroht sind.

Sogar, wie viele Menschen von den Überflutungen betroffen wären, ist hinterlegt. In Nürnberg wären dies bei einem extremen Hochwasser 3830 Personen, in Erlangen 2190, in Fürth 1980 und in Forchheim 1500, in Ansbach 1050, in Bamberg 850. Ungleich schlimmer würde es allerdings die Donau-Städte treffen. 19.519 Menschen hätten unter einem Hochwasser in Regensburg zu leiden, in Neuburg wären es 10.419.

Die Risikokarten liegen den Kommunen vor, es ist nun ihre Aufgabe, sich um die Beseitigung von Gefahren zu kümmern. In Erlangen etwa würde schon ein hundertjährliches Hochwasser genügen, damit die Schwabach mehrere Straßenzüge unterhalb des Burgbergs unter Wasser setzt, weshalb dort ein neuer Hochwasserschutz geplant wird.

"Extremereignisse nehmen zu"

Überall gilt es, wachsam zu bleiben. "Extremereignisse nehmen zu", stellt auch Fitzthum fest. Wenn sich die Temperatur erhöht, kann die Luft mehr Wasser aufnehmen, es steckt mehr Energie in der Atmosphäre, die Niederschlagsereignisse werden extremer.

"Wir sind dabei, mit Einsatzkräften die Karten auszuwerten. Sie müssen ja beispielsweise wissen, wie sie bei bestimmten Wasserständen überhaupt noch ihre Feuerwache erreichen können", verdeutlicht Fitzthum.

Am gefährlichsten wird es übrigens, wenn einige Zentimeter Schnee auf gefrorenem Boden liegen. Wenn dann ein warmer Regen den Schnee schmelzen lässt, gleichzeitig aber nichts versickern kann, kommen die schlimmsten Überflutungen.

Liegt dagegen ein halber Meter Schnee, so saugt dieser zunächst einmal der Regen auf. Außerdem isoliert der Schnee, so dass der Boden darunter oft auftaut und Wasser aufnehmen kann. "Wir sagen da einfach: Kleiner Schnee, großes Wasser und großer Schnee, kleines Wasser", erzählt Ulrich Fitzthum.

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