Gefahr für Ortsbild und bei Hochwasser

Supermarkt-Bau in Allersberg: Geld vor Natur?

13.11.2021, 13:04 Uhr
Kahlschlag: Die Bäume auf dem Baumschul-Gelände entlang des Allersberger Ortsrands sind bereits größtenteils entfernt.

© Josef Sturm, NN Kahlschlag: Die Bäume auf dem Baumschul-Gelände entlang des Allersberger Ortsrands sind bereits größtenteils entfernt.

Schon 2009 riet Petra-Güttler Opitz vom Nürnberger Büro für Stadt- und Freiraumplanung, das damals ein städtebauliches Entwicklungskonzept für Allersberg erstellte, von der Ansiedlung eines Supermarkts am Ortseingang noch vor der Baumschule Bittner ab. „Möchten Sie wirklich Ihren unverwechselbaren Ortseingang gegen eine versiegelte Fläche und die Werbeflächen eines Discounters eintauschen?“, wurde sie in unserer Zeitung zitiert.

Der Marktgemeinderat ließ damals die Hände von dem Projekt: Er wollte die Attraktivität des Ortsbilds nicht gefährden und die Geschäfte im Ortskern nicht schwächen. Auch Stadtplanungs-Experten empfahlen damals, die Ansiedlung von Gastronomie außerhalb des Zentrums „dringend zu vermeiden“. Sie rieten, den Einzelhandel im Ort zu stärken, auch damit ältere Menschen ihn gut zu Fuß erreichen, wie Stefan Hagedorn vom Büro „Projekt 4“ damals erklärte. „Die Aktivierung der Altstadt ist unser Hauptanliegen“, so Hagedorn.

Festgezurrt sind diese Empfehlungen „im städtebaulichen Entwicklungskonzept, das der Marktgemeinderat 2010 verabschiedet hat und das bis heute gültig ist“, meint Tanja Josche von den Allersberger Grünen. Ihr zufolge heißt es in dem Papier: „Außerhalb der Ortsränder liegende Standorte (beispielsweise westlich der Baumschule) sind als städtebaulich nicht integrierte Standorte zu werten und für die Ansiedlung von Betrieben zur Deckung der täglichen Grundversorgung nicht geeignet.“ Das Konzept schließt dort sogar jegliche Bebauung aus. In den Empfehlungen heißt es: „keine weitere bauliche Entwicklung nach Westen; Ortsrand Baumschule erhalten“.

Nicht auf Konzept hingewisen?

Wie kommt es nun, dass sich der Marktgemeinderat zehn Jahre später genau anders entscheidet? Josche geht davon aus, dass viele der neuen Mitglieder – von 20 sind zwölf erst seit der Kommunalwahl 2020 dabei – das Konzept nicht kannten und bei der Vorstellung des Projekts den Ausführungen der Verwaltung glaubten.

Auch der Weiher soll demnächst zugeschüttet werden, um Platz für Supermarkt und Café zu schaffen.

Auch der Weiher soll demnächst zugeschüttet werden, um Platz für Supermarkt und Café zu schaffen. © Josef Sturm, NN

Ein Supermarkt an dieser Stelle sei ein Beitrag zum Umweltschutz und stärke den Tourismus, hieß es damals. Ein Ort von der Größe Allersbergs brauche einen zweiten Vollsortimenter. Nicht zuletzt würde die Baumschule Bittner von Laufkundschaft profitieren. Allerdings wurde dieser von jetzt auf gleich die Ausstellungs- und Aufzuchtfläche gewaltig reduziert, weil die Gemeinde nach drei Jahrzehnten den Pachtvertrag mit der Familie Bittner nicht mehr verlängert hat.

Bei der Sitzung im März seien die Markträte gar nicht auf die Beschlusslage und das städtebauliche Entwicklungskonzept hingewiesen worden, betont Tanja Josche. Im Gegenteil sei sogar behauptet worden: „Die Flächen entsprechen aus Sicht des Marktes dem Ziel einer geordneten städtebaulichen Entwicklung.“ So stehe es im Protokoll. „Die Verwaltung hat nicht nur wichtige Informationen zurückgehalten, sie hat ein falsches Bild vermittelt. Das ist weder kollegial, noch führt es zu guten Entscheidungen“, bedauert Josche.

"Wie blanker Hohn"

Das Ergebnis ist bekannt: Der Sonderausschuss ebnete mit einem Aufstellungsbeschluss den Weg für das Bauvorhaben. Josches Fraktionskollege Georg Decker ergänzt: „Der Hinweis, die Supermarkt-Ansiedlung diene der Stärkung heimischer Betriebe, muss auf die Betroffenen wie blanker Hohn wirken. Zudem befürchte ich: Wenn an dieser Stelle einmal der Anfang gemacht ist, könnte die Entwicklung schnell auf der anderen Straßenseite weitergehen.“

Bürgermeister Daniel Horndasch äußert sich dazu in einer E-Mail an unsere Redaktion: „Wie in allen anderen Bauleitplanverfahren ist der Aufstellungsbeschluss bekanntermaßen lediglich der Anfang; diesem folgen die frühzeitige Beteiligung der Träger öffentlicher Belange, der Fachbehörden und der Öffentlichkeit. Danach folgen Abwägungen, erneute Beschlussfassung, Auslegung und Beteiligung und danach im Regelfall der Satzungsbeschluss. Erst auf dieser Grundlage wäre dann ein Bauantrag möglich, welcher von Bauausschuss und Landratsamt genehmigt werden müsste.“ Wann dann „gebaut werden kann“, wie wir von Horndasch wissen wollten, sei derzeit offen.

Gewässerschutz ignoriert

Tanja Josche ärgert sich auch, dass beim Gewässerschutz heute nicht mehr das zähle, was jahrelang Konsens im Rat gewesen sei: Die Gemeinde wollte nach und nach Flächen an der Kleinen Roth aufkaufen, um den Uferrand von Bebauung freizuhalten und das Gewässer zu renaturieren. Dafür habe die Kommune 2016 auch den südlichen Teil des Grundstücks gekauft, auf dem nun der Supermarkt entstehen soll. Nur fünf Jahre später werde genau diese Fläche wieder verkauft – und soll bis fünf Meter an den Uferrand bebaut werden.

„Egal ob es um Stadtplanung oder Gewässerschutz geht: Was die bisherige Strategie der Gemeinde war, interessiert nicht. Es zählt nur, dass durch den Verkauf von wertvollen Flächen wieder einmal die Kasse klingelt,“ kommentiert Georg Decker.

Mit schwerem Gerät werden die großen Bäume am Baumschul-Gelände umgesetzt.

Mit schwerem Gerät werden die großen Bäume am Baumschul-Gelände umgesetzt. © Josef Sturm, NN

Der Bürgermeister hatte zur Renaturierung jüngst in der Presse erklärt, er habe kein entsprechendes Projekt von seinem Vorgänger Bernhard Böckeler übernommen. „Dabei steht das alles im Landschaftsplan. Und es gibt gesetzliche Vorschriften,“ wundert sich Josche. Denn laut EU-Wasserrahmenrichtlinie sind Kommunen verpflichtet, begradigte Flüsse zu renaturieren. Und im Landschaftsplan der Marktgemeinde sind die Renaturierung der Kleinen Roth und das „Freihalten der Täler und Talmulden von Bebauung“ explizit als Entwicklungsziele festgehalten.

Die Flächen westlich der Baumschule habe die Marktgemeinde sukzessive erworben, berichtet Bürgermeister Horndasch: „Die wesentlichen Flächen eindeutig zum Zweck der Bebauung, in diesem Fall für das Feuerwehrhaus“. Dies stehe sogar im Notarvertrag. „Zum späteren Kauf eines weiteren, abrundenden kleineren Teilstücks im Süden an der Kleinen Roth ist die damit verbundene Intention, soweit mir bekannt, nicht dokumentiert. (...) Alle nun vorliegenden Planungen beruhen auf Beschlüssen des Gemeinderats beziehungsweise auf solchen, die im Rahmen der Bauleitplanung noch zu treffen sind. Die Verwaltung setzt diese lediglich um“, betont der Rathauschef.

Gefahr bei Starkregen

Ingenieur Hermann-Josef Frisch weist auch auf die Hochwasserrisiken hin. Das Areal westlich der Baumschule sei zuletzt immer wieder überflutet worden, oft sogar Gewächshäuser und Verkaufsräume. Werde die Fläche nun bebaut, müsse man sie auffüllen und eine Stützwand bauen. „Das würde den Abfluss des Bachs bei Hochwasser stark einschränken, und die Überschwemmungsfläche würde wegfallen. Für die an der Kleinen Roth oberhalb liegenden Grundstücke bedeutet das, dass diese noch stärker von Hochwasser beeinträchtigt sein könnten“, so Frisch.

„Wir haben dieses Jahr gesehen, was starke Regenfälle anrichten können. Ich halte es für unverantwortlich, eine solch wichtige Rückhaltfläche zuzubetonieren“, meint Tanja Josche. „Angesichts der Klimakrise müssten wir eigentlich genau das Gegenteil tun: Grünflächen schützen, Flächen entsiegeln.“

Der Kommentar

Wer Kritik übt, wird zum Feind erklärt

Es gibt Leute, die sagen, dass sich Allersberg aufmacht, in wirtschaftlicher Hinsicht das Feld der 16 Landkreisgemeinden von hinten aufzurollen. Derzeit in puncto Steuerkraft eher im letzten Drittel angesiedelt, will sie zu den Top-Kommunen gehören, geistert es (nicht nur) durchs Internet.

Ein sportliches Ziel, aber machbar. Und zwar dann, wenn sich Amazon tatsächlich in West 1 niederlässt und am Ortseingang ein Vollsortimenter nebst Café entsteht. Um wirtschaftlich voranzukommen, ist die Mehrheit des Marktgemeinderats einschließlich Bürgermeister bei der Wahl der Waffen nicht zimperlich. Zu verlockend ist der immense Verkaufswert eines Grundstücks an den Projektentwickler P3, der im Auftrag von Amazon unterwegs ist.

Nachhaltigkeit? Ein Fremdwort. Dass die zu erwartende Gewerbesteuer alles andere als üppig sein dürfte, stört angesichts des schnellen Euros nicht. Beispiel Baumschule Bittner: Drei Jahrzehnte lang hatte das Unternehmen Flächen von der Marktgemeinde gepachtet. Von jetzt auf gleich wurde der Vertrag nun nicht verlängert. Willi Bittner traf das mitten ins Herz, muss er doch zusehen, wie sein Lebenswerk zerrinnt.

Dabei ist der Chef im Ruhestand nicht irgendwer: Mit Bittners Engagement für den Fasching und mit seiner Baumschule hat er Allersberg über die Kreisgrenzen bekannt gemacht. Doch das schert die neuen Entscheidungsträger wenig. Statt eines grünen Ortseingangs sollen künftig das Café eines Industriebäckers und ein Vollsortimenter die Gäste begrüßen. Wer von der Autobahn kommt, wird künftig abgefangen und gelangt erst gar nicht in die „gute Stube“. Der Einzelhandel im Ortskern bleibt auf der Strecke.

Statt Weiher und Bäumen soll die Baumschule Bittner künftig Supermarkt und Filial-Bäckerei als Nachbarn haben.

Statt Weiher und Bäumen soll die Baumschule Bittner künftig Supermarkt und Filial-Bäckerei als Nachbarn haben. © Josef Sturm, NN

Mit der Entscheidung setzt sich der Marktgemeinderat auch über das Städtebauliche Entwicklungskonzept hinweg, das ausdrücklich vor Einkaufszentren auf der grünen Wiese warnt. Auch von der Renaturierung der Kleinen Roth ist nicht mehr die Rede, obwohl die Kommune gerade erst im Sommer schlechte Erfahrungen mit unzureichendem Hochwasserschutz gemacht hat, als eine Baugrube bei Starkregen absoff. Bleibt das Gewässer Roth in seinem künstlichen Bett, werden sich derartige Ereignisse häufen.

Wer sich erdreistet, Kritik an dieser Politik zu üben, wird zum Feind erklärt, ausgeschlossen und kann froh sein, im Internet nicht gemobbt zu werden. Und wenn die Kritiker gar nicht nachgeben wollen, erhalten sie keine Informationen mehr. Unsere Zeitung kann ein Lied davon singen. Mittlerweile sind auch überregionale Medienauf diese seltsame Wirtschaftspolitik aufmerksam geworden. Wenn das mal kein böses Erwachen gibt...