Rückbau von Grafenrheinfeld: Würgassen als Vorbild

20.6.2017, 06:00 Uhr
Winzig klein fühlt man sich im ehemaligen Reaktorgebäude. Wo früh das Reaktordruckgefäß saß, ist heute eine Ruinenlandschaft.

© Martin Müller Winzig klein fühlt man sich im ehemaligen Reaktorgebäude. Wo früh das Reaktordruckgefäß saß, ist heute eine Ruinenlandschaft.

Für die Antwort hilft ein Blick ins Kernkraftwerk Würgassen im Weserbergland, wo der nukleare Rückbau bereits beendet ist. Das Kernkraftwerk Würgassen im Dreiländereck von Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Hessen ist seit 1995 stillgelegt. Zuvor waren Haarrisse am Kernmantel entdeckt worden, eine Sanierung hätte sich nicht mehr gelohnt. 1997 begann der Rückbau. Es muss ein Höllenlärm gewesen sein, als schwere Maschinen Beton und Estrich zertrümmerten und Fräsen dicke Rohre zerteilten. Dazu wummerten mächtige Absauganlagen.

Stadt profitierte mächtig vom Kraftwerk

Heute ist das Kraftwerk komplett leer. Wo früher Gleise für den Transport waren, sind heute tiefe Rillen, wo früher der Reaktor war, schaut man heute fast 40 Meter tief ins Nichts. Nicht einmal Aufzüge gibt es mehr, was beim Rundgang den Schweiß gewaltig rinnen lässt.

35.000 Tonnen Beton, Metall und Kunststoffe haben die Arbeiter von 1997 bis zum Ende des nuklearen Rückbaus 2014 demontiert, darunter 7400 Tonnen radioaktiver Abfall. Dieser befindet sich heute noch vor Ort in zwei Zwischenlagern. Dereinst sollen die gelben Container im Schacht Konrad landen. Das Endlager soll 2022 in Betrieb gehen, eine weitere Verzögerung ist wahrscheinlich.

Seit das Kraftwerk stillgelegt ist, geht es bergab mit der Stadt Beverungen, zu der Würgassen gehört. Allein elf Millionen Euro an Kassenkrediten stehen zu Buche. Zuvor hatte man mächtig vom Kraftwerk profitiert und etwa fünf Millionen Mark Gewerbesteuer pro Jahr kassiert. Weit und breit hat keine Kommune eine solche Stadthalle wie Beverungen. Auch ein Schulzentrum, eine Sporthalle und ein Hallenbad leistete sich die Stadt in den fetten Jahren.

Jetzt leben in Würgassen nur noch 900 statt früher 1200 Menschen. Viele Häuser in der Kraftwerkssiedlung stehen leer, der Bürgermeister denkt auch hier an Rückbau.

Gebäude sollen ab 2036 abgerissen werden

Eine solche Abwärtsspirale will man in Grafenrheinfeld verhindern. Auch die Gemeinde bei Schweinfurt hat mächtig vom dortigen Kernkraftwerk profitiert. Zehn Millionen Euro flossen pro Jahr an Gewerbesteuern.

Die Bibliothek, die Kulturhalle, die Sportanlagen wären ohne diese Einnahmen so nicht möglich gewesen."Da blutet schon das Herz, wenn das Kernkraftwerk schließen muss", sagt Gerhard Riegler, Zweiter Bürgermeister von Grafenrheinfeld. Angst vor der Zukunft hat er trotzdem nicht. "Natürlich sind die früheren Großinvestitionen jetzt nicht mehr möglich. Aber wir haben seit Jahren auf diesen Moment hingearbeitet, haben auch andere große Firmen hier", sagt er. Derzeit ist geplant, dass der nukleare Rückbau in Grafenrheinfeld von 2018 bis 2033 erfolgt, 2034 bis 2036 sollen die Gebäude abgerissen werden.

Beim Kraftwerk Isar 1 bei Landshut hat der nukleare Rückbau vor kurzem bereits begonnen, 2032 will man damit fertig sein. Die Gebäude sollen aber erst 2036 bis 2038 abgerissen werden, weil man im Maschinenhaus eine Rückbauanlage eingerichtet hat, die man auch für die spätere Demontage des noch bis 2022 laufenden Kraftwerks Isar 2 nutzen will.

"Wir können Rückbau, das haben wir in Würgassen bewiesen. Und zwar ohne, dass jemand durch Strahlung zu Schaden kommt“, betont Würgassens Kraftwerksleiter Markus Wentzke. Vom ersten Rückbau-Projekt eines Atomkraftwerks hat man einiges gelernt. Etwa, dass man unterschiedliche Bereiche des Kraftwerks gleichzeitig anpacken sollte und nicht nacheinander. So spart man viel Zeit. Außerdem will man künftig, anders als in Würgassen, eher von innen nach außen vorgehen und die sensibelsten Komponenten zuerst demontieren.

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