Ein Irrtum bescherte Schwabach schlimme Bombennacht

12.10.2011, 08:10 Uhr
Ein Irrtum bescherte Schwabach schlimme Bombennacht

Für die Nacht vom 12. auf 13. Oktober 1941 hatte das britische Bomberkommando wieder einen Luftangriff auf Nürnberg angesetzt, die vorangegangenen hatten nur mäßige Schäden angerichtet. Von Bomberplätzen im Süden Englands starteten 152 Bomber der Royal Air Force, alles zweimotorige Maschinen ohne moderne Navigationshilfen, die Besatzungen mussten sich auf den Kompass, die Uhr und ihre Augen verlassen. Doch schon beim Anflug auf das Zielgebiet zerstreuten sich die Maschinen. Nur wenige Flugzeuge erreichten Nürnberg, die anderen warfen ihre Bomben auf Neuburg und Lauingen an der Donau, Nördlingen, Rothenburg und Schwabach.

27 bis 36 Flugzeuge dürften es gewesen sein, die in zwei Gruppen Schwabach anflogen. Am 12. Oktober 1941 (ein Sonntag) traf um 22.45 Uhr die erste Warnmeldung in Schwabach ein. Um 23.14 Uhr gab man Fliegeralarm. Gegen 23.45 Uhr hörte man Flugzeuggeräusche in Schwabach, und schon schwebte eine Leuchtbombe an einem Fallschirm über der Brünst der Erde zu. Diese erhellte zwar nur schwach die Stadt, sodass es fraglich ist, ob die in 2000 Metern Höhe fliegenden Piloten die nur schwach beschienenen Häuser gesehen haben. Die Flugzeuge nahmen Kurs direkt über die Stadtmitte und wandten sich in einem Bogen nach Osten. Bei Kornburg setzten die Engländer um 23.50 Uhr die zweite Leuchtbombe, die die Autobahnauffahrt von der Nürnberger Zubringerstraße aus (Allersberger Straße) hell beleuchtete. Jetzt mag der Führer der feindlichen Eindringlinge auf seine Karte geschaut und überlegt haben: Wenn man sich von der Autobahnausfahrt bei Schwaig elf Kilometer rückwärts nach Südwesten hält und dann nach rechts auskurvt, ist man direkt über dem Parteigelände von Nürnberg. Das wollte man treffen.

Ein Irrtum bescherte Schwabach schlimme Bombennacht

© Stadtarchiv Schwabach, Käthe Schönberger, Wolkersdorfer

Ein fataler Irrtum

Man hatte sich aber in der Autobahnauffahrt geirrt: Nicht die bei Schwaig hatte man überflogen, sondern jene bei Wendelstein. So kehrte man also der Autobahn entlang wieder zurück – genau elf Kilometer – und machte dann einen Rechtsbogen. Jedes der vier Flugzeuge der Aufklärungsstaffel ließ um 24 Uhr eine Leuchtbombe fallen (Nördlinger Straße, Regelsbacher Straße, vordere Brünst, Limbach), und damit war das Schicksal der Stadt Schwabach besiegelt, denn drei dieser langsam zu Boden schwebenden Magnesiumleuchtkörper tauchten die Stadt in ein grelles Licht.

Die feindlichen Flugzeuge hatten sich bei Rednitzhembach gesammelt, und ihr Führer ließ sie durch Abschießen verschiedenfarbiger Leuchtkugeln ordnen. Eine Gruppe mit vier Flugzeugen sollte den ersten Angriff durchführen.

Ein Irrtum bescherte Schwabach schlimme Bombennacht

Um 0.08 Uhr fielen die ersten vier Sprengbomben, drei in der Maisenlach und eine in den Bauernhof von Mathias Strobel, Uigenau 5 (heute: Kammersteiner Straße 27b), wo elf Stück Großvieh im Stall getötet wurden. Durch diese Bombenabwürfe wollte man bezwecken, dass sich die Luftschutzkräfte nicht aus den Schutzräumen herausbegeben sollten, wenn gleich darauf Bomben fielen und Häuser brannten. Die allermeisten Schwabacher wurden erst durch diese vier laut vernehmbaren Detonationen aus dem Schlaf geschreckt. Ungeheuer war die Aufregung: Viele Menschen zogen sich gar nicht erst an, sondern liefen halb angekleidet oder nur im Schlafanzug hinaus ins Freie oder suchten so die Keller und Schutzräume auf.

Mittlerweile war auch die Befehlsstelle der örtlichen Luftschutzleitung (die Schwabacher nannten den Keller unter den Stadtwerken auch den „Heldenkeller") besetzt. Die ersten Lagemeldungen gingen ein.

Kurz darauf (0.09 Uhr) entleerte ein Flugzeug eine Wanne Stabbrandbomben (60 Stück) über Bismarckstraße, Wittelsbacherstraße und Seminarstraße. Nochmals fielen Leuchtbomben, dann trat wieder Totenstille ein, bis plötzlich um 0.14 Uhr vier Sprengbomben in der Maisenlach explodierten und abermals Flugzeuge über der Rittersbacher Straße hereinbrausten. Zu gleicher Zelt schlugen schon die Flammen aus der Scheune des landwirtschaftlichen Anwesens Seminarstraße 1 (Georg Muck) und aus dem Gerüstlagerschuppen der Baufirma Richter an der Bismarckstraße.

Die feindlichen Flugzeuge setzten um 0.27 Uhr zum zweiten Angriff an. Ziel war die Bismarckstraße, wo ja schon zwei Gebäude brannten. Zuerst fielen drei Sprengbomben östlich der Ritterbacher Straße und südlich des Anwesens Südliche Ringstraße 13 (Hans Münch). Sie verursachten nur geringen Schaden, da sie alle in Äckern oder Gärten explodierten, doch zwangen sie die Löschkräfte, Deckung zu suchen.

Das folgende Flugzeug entleerte um 0.28 Uhr wieder eine Wanne Stabbrandbomben über der Umgebung der Bismarckstraße. Die Luftschutzkräfte konnten jedoch in allen Fällen die Bomben mit Sand bedecken oder kleine Zimmerbrände selbst löschen. Dann kam ein Bomber, der 14 Phosphorkanister geladen hatte, von denen er um 0.30 Uhr zwei auf die Bergnersche Fabrik fallen ließ.

Schlimmster Angriff

Das Schlimmste sollte erst folgen. Um 0.42 Uhr kamen die Flugzeuge wieder aus der Rednitzhembacher Gegend heran. Jede der vier Maschinen ließ eine Sprengbombe fallen (zwei in die Maisenlach, eine im Forsthofer Weg, eine direkt in die Rittersbacher Straße und in ein Wasserleitungs-Hauptrohr). Der Schaden war gering; doch wurde die Wasserleitung getroffen. Aus einem Bombentrichter vor dem Haus Rittersbacher Straße 19 (Andreas Loy) schoss das Wasser wie eine Fontäne in die Höhe, das kostbare Wasser, das gleich darauf an anderer Stelle zum Löschen fehlte, weil der Wasserdruck zu niedrig war.

Die Flugzeuge überflogen geschlossen die Innenstadt und beschrieben einen Bogen um sie herum. Dann trennten sie sich im Weiterflug nach Nordwesten, um ab 0.43 Uhr zwölf Sprengbomben über den Stadtkern abzuladen. Ein fünftes Flugzeug ließ weitere drei Sprengbomben direkt in die Altstadt fallen. Die Wirkung dieser Sprengbomben von 2,25 beziehungsweise 4,5 Zentner Gewicht war im eng bebauten Zentrum verheerend. Andreas Schreyer, der am Königsplatz 9 (heute Martin-Luther-Platz 9) noch in seiner Wohnung nachsehen wollte, wurde vom Luftdruck einer nebenan detonierenden Sprengbombe die Lunge zerrissen. Das zweite Pfarrhaus stürzte vollkommen in sich zusammen, und im Keller fanden die beiden Kinder von Pfarrer Siebenbürger den Tod.

Schadensstellen ergaben sich am Königsplatz 6/8, Silbergasse 5 und 8, Hördlertorstraße 19, 20, 21/23, Benkendorferstraße 14, 16, 18, 20, 17/19, Talstraße 1, Reichswaisenhausstraße 1, 1a, Wittelsbacherstraße 9, Nördlinger Straße 5, 7, 12, Rittersbacher Straße 9, 11, 13 und Martin-Luther-Platz 9, 11 und 13, Friedrichstraße 8, 10, 12, 14/16, 15/17, Glockengießerstraße 2/4, Münzgasse 2 und 4, Spitalberg 12/14, Südliche Mauerstraße 2.

Bis auf einen Fall (Martin-Luther-Platz 11) haben sämtliche Keller den Sprengbomben standgehalten, verschüttet wurde außer den zwei Kindern niemand. In oder bei manchen Häusern lagen Blindgänger, die zum Teil erst am nächsten Tag entdeckt und dann gesprengt oder abtransportiert wurden (Wittelsbacherstraße 4 im „Hirschen“).

Das entsetzliche Heulen der fallenden Sprengbomben klang vielen Schwabachern noch jahrelang in den Ohren nach. Und um durch die abgeworfenen Sprengbomben die Bevölkerung möglichst stark zu verängstigen, hatten die Engländer Pfeifen aus Pappe an die Bomben montiert, die den Heulton so verstärkten, dass es bis zur Neumühle und bis Kleinschwarzenlohe hörbar war.

Auch was von 0.43 bis 0.44 Uhr geschah, war nicht minder furchtbar: ein Massenabwurf von etwa 700 Brandbomben und zwölf Phosphorkanistern. Es mögen zwölf Flugzeuge gewesen sein, die um 0.43 Uhr in drei Gruppen von Süden Schwabach anflogen. Sie öffneten eine Wanne nach der anderen; leise zischend bewegten sich die Stabbrandbomben der Erde zu.

Die Sprengbomben hatten an weiteren Stellen die Hauptrohre der Wasserleitung zerrissen. Dazu hatten die Sprengbomben auch noch die Telefonleitungen unterbrochen, so dass die Kommandostellen keine telefonischen Schadensmeldungen erhielten und keine Anordnungen treffen konnten.

Auch die Stromleitungen waren in zahlreichen Straßen durch Sprengbomben zerstört worden. Brände in 83 Gebäuden mussten praktisch gleichzeitig bekämpft werden. Kurz vor ein Uhr brannte es in 83 Gebäuden.

Beschuss aus 100 Meter Höhe

Wer geglaubt hatte, dass die feindlichen Flieger nach dem Abwurf ihrer Bomben den Ort ihrer Zerstörung verlassen würden, hatte sich getäuscht. Sie hatten nun bemerkt, dass „Nürnberg“ tatsächlich keine Flakabwehr besaß und gingen nun in einigen weiteren Runden von 0.53 bis 1.15 Uhr bis auf 100 Meter herab. So sahen die Piloten sehr deutlich, wo sich unten etwas bewegte. Man nahm jetzt die zum Löschen der Brände tätigen Menschen unter Maschinengewehrfeuer. Beschossen wurden hauptsächlich Wittelsbacherstraße, Bogenstraße, Zöllnertorstraße und Münzgasse. Dabei musste Johann Schrödel sein Leben lassen. Er hatte mit dem Viehtransportauto seines Chefs, Pferdemetzger Konrad Funk, die brennende Stadt verlassen wollen, wurde aber in der Wittelsbacherstraße von den Piloten bemerkt.

Ein Flugzeug scheint nur eingesetzt gewesen zu sein, um Flugblätter und Soldatenzeitungen abzuwerfen. Gefunden wurde dieses Material rings um Schwabach. Die Blätter und Zeitungen enthielten Meldungen vom Kriegsgeschehen. Auch Nachrichten aus dem deutschen Inland konnte man lesen, von Hinrichtungen, Judentransporten in Konzentrationslager, Diebstahl am jüdischen Eigentum, Streit der Führer der Hitlerpartei, Verschlechterung der Ernährungslage, Verluste der Zivilbevölkerung. Diese Schriften mussten vom Finder ungelesen bei der Polizei abgegeben werden, das Verbreiten des Inhalts war unter Strafe gestellt.

Um 1.35 Uhr traf eine weitere Gruppe feindlicher Bomber ein. Auch sie kreisten um Schwabach, um Sprengbomben auf alles zu werfen, was sich bewegte oder sich mit Licht im Freien zeigte, wie Margarete Winter mit ihren drei Töchtern zwischen Nördlinger Straße und Siechbach. Sie wurde schwer verwundet und erlag zwei Tage später ihren Verletzungen. Die Mädchen kamen mit dem Schrecken davon. Am Siechweiher, hinter dem Sportplatz, wurden gegen 2.30 Uhr die sterblichen Überreste von zwei Frauen und einem Kind entdeckt. Die drei hatten während des Angriffes ihr Haus Wittelsbacherstraße 9 verlassen und waren aufs freie Feld geflüchtet. Dort wurden sie von einer Bombe zerfetzt.

Stromleitung getroffen

Bei der zweiten Runde dieser nun auf etwa 100 Meter herabgehenden Angreifer wurden wieder brennende Straßen mit Maschinengewehren beschossen. Ein nachkommendes Flugzeug warf nochmals um 1.45 Uhr zwei Bomben ab, wobei Johann Leonhard Patutschnick in der Stephansgasse 1 sein Leben verlor. Bei diesem letzten Angriff wurde auch ein Betonmast der Bayerlandleitung getroffen, was eine Unterbrechung der Stromzufuhr vom Walchenseewerk nach Nürnberg zur Folge hatte.

Mittlerweile waren auch genügend Verstärkungskräfte für die Feuerwehr eingetroffen. Noch während des Angriffs hatten sich französische Kriegsgefangene, die im Anwesen Bachgasse 8 untergebracht waren, freiwillig zum Hilfseinsatz gemeldet. In der Benkendorferstraße wurden sie als Löschhilfe eingesetzt.

Der Sanitätsdienst versorgte während des Angriffs und am nächsten Morgen 72 Personen, die meisten hatten Brandwunden, Splitterverletzungen, Knochenbrüche und Quetschungen sowie Schnittverletzungen. Die NS-Volkswohlfahrt verpflegte und betreute rund 500 Obdachlose, für sie wurde in aller Eile ein Auffanglager im Bärensaal eingerichtet, wo sie auf Strohsäcken und Decken schlafen konnten. Viele suchten Unterkunft bei Verwandten oder Freunden.

Für die neun Todesopfer fand am 16. Oktober eine Trauerfeier vor dem Eingang des Waldfriedhofes statt, beerdigt wurden die Toten einzeln.

Die Bilanz der Gebäudeschäden durch Spreng- oder Brandbomben: 54 total, 73 schwer, 294 leicht beschädigte Gebäude, die Spitalkirche schwer, die Stadtkirche leicht beschädigt, eine Brücke lädiert, erhebliche Schäden an Gas-, Wasser, Elektro- und Telefonleitungen. Gesamtschaden nach damaliger Schätzung: fünf Millionen Reichsmark. Dagegen keine Schäden an so genannten „Kriegs- und lebenswichtigen Betrieben“. Der einzige kritische Satz im Abschlussbericht des Bürgermeisters lautete: „Nur darüber regte sich die Bevölkerung auf, dass keinerlei Abwehr vorhanden war und die feindlichen Flieger ihr Zerstörungswerk ungehindert ausführen konnten.“

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