Erinnerung an das Unvorstellbare

10.11.2011, 08:10 Uhr
Erinnerung an das Unvorstellbare

© Karg

Es war die Nacht, als die Nazis die Diskriminierung der Juden in offene Verfolgung steigerten. Gestern erinnerte eine Gedenkstunde am Schwabacher Rathaus an die Pogromnacht, die die Nationalsozialisten mit dem Begriff „Reichskristallnacht“ beschönigten.

 Je größer die Zahlen, desto unvorstellbarer der Schrecken. Doch jedes Opfer hat einen Namen und ein ganz eigenes Schicksal. Am 1. Oktober 1938 lebten noch 14 Juden in Schwabach. Wie viele es am 9. November waren, ist heute nicht mehr exakt zu sagen. Doch sicher ist, dass auch das Leben der wenigen in Schwabach verbliebenen Juden eine tragische Wende nahm.

Hugo Kraus war Goldbücherfabrikant in der Goldschlägerstadt. An diesem Abend wurde sein Haus in der Regelsbacher Straße 5 von den Nazis umstellt. Ein Hagel aus Steinen zerstörte die Fenster, die Scherben flogen durch die Wohnung.

Schwabachs 2003 verstorbener langjähriger SPD-Bürgermeister Kurt Kestler hatte seine Erinnerungen an den damaligen Abend niedergeschrieben. Seine Mutter Margarete hatte am nächsten Tag bei Familie Kraus beim Aufräumen geholfen und von einem Bild der Verwüstung berichtet. Hugo Kraus war mit einer Nicht-Jüdin verheiratet. Vielleicht hat ihn das vor noch Schlimmerem bewahrt.

Zwei Verhaftungen

Bei den jüdischen Familien Levite und Graf gingen die Nazis einen Schritt weiter. Adolf Levite und Manuel Graf wurden aus ihren Wohnung gezogen und ins Amtsgerichtsgefängnis gesteckt. Sie wurden „in Schutzhaft genommen“, wie es im NS-Jargon zynisch hieß. Nach einigen Tagen kamen beide wieder frei. Doch der 9. November 1938 war auch für die letzten jüdischen Familien das dramatische Signal zum Aufbruch.

Die Zahl der Juden in Schwabach war schon seit Jahren rückläufig. Nun kam der unmenschliche Druck der NS-Zeit. 1935 hatte der letzte Rabbiner, Dr. Salomon Mannes, Schwabach in Richtung Frankfurt/Main verlassen. Am 9. November 1938 flüchtete er vor den Nazis nach London, wo er den Krieg überlebte und 1960 im Alter von 90 Jahren starb.

Im Oktober 1937 fand die letzte Versammlung in der Synagoge statt. Hermann Feuchtwanger, der letzte Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, legte im Februar 1938 sein Amt nieder. Es war das faktische Ende der Gemeinde.

Am 10. August kaufte die Schwabacher Brauerei Weller das Gebäude. Die nun ehemalige Synagoge befand sich aus Sicht der Nazis somit in „arischem“ Besitz. Das ist vermutlich der Grund, weshalb das Haus am 9. November verschont blieb.

Bereits am 24. November 1938 teilte das Einwohnermeldeamt NSDAP-Bürgermeister Wilhelm Engelhardt mit, dass Schwabach nun „judenfrei“ ist. Das Schreiben ist im Stadtarchiv erhalten.

Dessen Leiter Wolfgang Dippert hat vor einigen Jahren in aufwändigen Forschungsarbeiten das Schicksal der Schwabacher Juden so weit möglich nachgezeichnet.

Tod in Auschwitz

„Hugo Kraus ist nach Budapest geflüchtet und dort 1939 gestorben“, sagt Wolfgang Dippert.

Familie Levite dagegen fiel dem Holocaust zum Opfer. Adolf Levite und seine Frau wurden nach Auschwitz deportiert und gelten als verschollen, wurden also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ermordet. Sicher ist, dass deren 22-jähriger Sohn Heinz-Josef im Vernichtungslager Majdanek umgebracht wurde.

Familie Graf zog nach Frankfurt, wo Manuel Grafs Frau Sarah 1940 und seine Schwester Anna 1942 starben. Manuel Graf selbst kam ins Konzentrationslager Theresienstadt — und überlebte.

Rückkehr nach Schwabach

Damit war er einer von nur vier Schwabacher Juden, die ein Konzentrationslager nachweislich überstanden haben. Nach Dipperts Recherchen sind von den 96 jüdischen Bürgern, die im Zeitraum von 1933 bis 1938 in Schwabacher gewohnt hatten, etwa die Hälfte durch die NS-Verfolgung umgekommen.

Von den Überlebenden kehrte nur einer nach Schwabach zurück: Manuel Graf, der in Schwabach als Besitzer eines Tabakwarenladens in der Ludwigstraße bekannt war. Das Haus stand neben dem Gasthaus Rose und wurde für den Bau des Coop abgerissen. Im Alter von 68 Jahren starb Manuel Graf 1948. Seine letzte Ruhe fand er — wie alle in Schwabach verstobenen Juden — im jüdischen Friedhof in Georgensgmünd.

Der einzige Jude im Schwabach der Nachkriegszeit war Manuel Graf aber nicht. Für wenige Jahre lebten hier so genannte „Displaced Persons“, vom Krieg entwurzelte Menschen wie etwa KZ-Überlebende. Laut Schwabacher Stadtlexikon waren es bis zu 221 Juden, die in Schwabach sogar ein „Jüdisches Kreiskomitee“, eine Bibliothek und einen Fußballverein gründeten. Ihr beliebter Treffpunkt war das damalige Restaurant Siechweiher, das deshalb „Haus Tel Aviv“ genannt wurde. 1949 verließen die letzten „DCs“ die Stadt.

Heute erinnert an Schwabachs jüdische Tradition vor allem die vom „Synagogenverein“ 1998 in Erbpacht genommene und sanierte Alte Synagoge. Am Rathaus wurde vor einigen Jahren eine Erinnerungstafel angebracht, vor der auch gestern die Gedenkstunde stattfand.

Erinnerung an das Unvorstellbare

© Karg

Nazis unerwünscht

Sowohl die Stadt Schwabach als auch die Schwabacher „Initiative für Demokratie gegen Rechtsradikalismus“ sind Mitglied in der „Allianz gegen Rechtsradikalismus“. Oberbürgermeister Matthias Thürauf, die Stadträte Klaus Neunhoeffer und Thomas Mantarlis sowie Christel Hausladen-Sambale machten deutlich, dass nationalsozialistisches Gedankengut in Schwabach unerwünscht ist. Zwei Schüler der Karl-Dehm-Schule, Aurel Rama und Johannes Hertle, trugen nachdenkliche Texte zum Thema Fremdenfeindlichkeit vor.

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