Aktionstag gegen die Sucht

Glücksspiel am Pranger

2.10.2021, 17:00 Uhr
Sozialpädagogin Christine Boeck und eine eigens gestaltete Ausgabe des ehemaligen CSU-Parteiblatts „Bayern-Kurier“.

© Robert Schmitt, NN Sozialpädagogin Christine Boeck und eine eigens gestaltete Ausgabe des ehemaligen CSU-Parteiblatts „Bayern-Kurier“.

Pro Jahr betreut Sozialpädagogin Christine Boeck gut 20 Menschen aus Schwabach und dem Landkreis Roth, die dem Teufelskreis zwischen hoher Verschuldung und der Abhängigkeit von den Automaten mit rotierenden Zahlen und blinkenden Lichtern entkommen wollen. "Am Aktionstag streben wir an, die Öffentlichkeit aufzuklären", sagt Boeck. Dazu hat sie auf dem Schwabacher Martin-Luther-Platz mit der Lektüre einer überdimensionalen Zeitung auf sich aufmerksam gemacht, die den Titel des ehemaligen CSU-Parteiblatts trug: Boeck las den "Bayern-Kurier".

Doch vielleicht war der Name gar kein Fehlgriff oder Zufall. Schließlich üben die Macher halbseitig harte Kritik an der Bayerischen Staatsregierung. Die hat nämlich mit allen anderen Bundesländern ihre Unterschrift unter eine höchst umstrittene Vereinbarung gesetzt. Am 1. Juli erlangte ein Glücksspiel-Staatsvertrag Gültigkeit, der Online-Glücksspiele bundesweit legalisiert hat.

An ihm übt mit Daniela Ludwig sogar die Drogenbeauftragte der Bundesregierung Kritik. Die CSU-Politikerin bemängelt vor allem, dass das Aufsichtsamt, das die Länder vereinbart haben und das Auswüchse verhindern soll, bei Inkrafttreten lange noch nicht in Sicht war. Weitere Beobachter werfen den Ländern vor, den Vertrag ausschließlich aus finanziellen Gründen geschlossen zu haben.

"Man erwartet fünf Milliarden Steuereinnahmen" hatte kürzlich bei einer Online-Veranstaltung in Roth der ehemalige Sportreporter Werner Hansch vorgerechnet. Er war selbst glücksspielsüchtig.

Einnahmen von Süchtigen

Christine Boeck sieht die Öffnung von Glücksspiel und Sportwetten per Internet noch aus anderen Gründen kritisch. "60 Prozent ihrer Einnahmen erzielt die Glücksspielindustrie von Süchtigen", sagt Boeck, "und dieser Anteil wird wachsen". Schließlich erweitere das Internet die Möglichkeiten enorm. "Es wird mehr Süchtige geben", sagt Boeck. "Es ist traurig, dass die Politik das hinnimmt." Denn einerseits sei das Spiel nun per Smartphone immer verfügbar. Andererseits könne man auch in häuslicher Anonymität stundenlang unbeobachtet zocken.

Die Folgen: Soziale Beziehungen und Ehen gehen in die Brüche, immer höhere Privatschulden türmen sich auf. "Dann bekommen Betroffene oft keine Wohnung oder Kredite mehr", weiß Bock. Noch deutlicher wird der "Betroffenenbeirat Bayern". Im Bericht des Bayern-Kuriers bezeichnet er das Inkrafttreten der neue Regelung als "schwarzen Tag für den Spielerschutz". Der Beirat stellt klar: "Durch die Legalisierung hochriskanter Glücksspielformen im Internet wird wissentlich die Ausbreitung der Glücksspielsucht und damit die Zerstörung von Existenzen sowie ein volkswirtschaftlicher Schaden ungeahnten Ausmaßes in Kauf genommen", erklärt eine Sprecherin. "Die Lobby der Glücksspielanbieter konnte sich wieder einmal durchsetzen", heißt es von Seiten des Beirats, der sich als Interessenvertretung von Spielsüchtigen und deren mitbetroffenen Familien versteht.

Christine Boeck ist seit zwei Jahren bei der Diakonie beschäftigt und hat im Vergleich der Zahlen seit Einrichtung der Abteilung stets leichte Steigerungen der Beratungsnachfrage festgestellt. Die Fachstelle für Glücksspielsucht existiert bei der Diakonie Roth-Schwabach seit 2008. Sie versteht sich als erste Anlaufstelle für Betroffene sowie Angehörige. Bei Bedarf vermittelt sie Reha-Therapien, die im ambulanten Bereich auch vor Ort möglich sind. Den CSU-Bayernkurier gibt es nicht mehr. Die letzte Ausgabe ist am 16. November 2019 erschienen, was ja ein gutes Omen für sein Spielsucht-Gegenstück sein könnte.