Heinrich-Krauß-Straße umbenennen?

Hetzschriften eines Heimatkundlers: Umstrittener Straßenname in Schwabach

18.11.2021, 06:00 Uhr
Die nicht ganz korrekte Schreibweise auf dem Schild ist das geringste Problem: Heinrich Krauß (1880 - 1959) hat unbestrittene Verdienste um die Schwabacher Heimatforschung. Doch in der NS-Zeit waren seine Schriften teils offen antisemitisch.

© Günther Wilhelm, NN Die nicht ganz korrekte Schreibweise auf dem Schild ist das geringste Problem: Heinrich Krauß (1880 - 1959) hat unbestrittene Verdienste um die Schwabacher Heimatforschung. Doch in der NS-Zeit waren seine Schriften teils offen antisemitisch.

Konkret geht es um die Heinrich-Krauß-Straße. Aber auch um die Hindenburg- und die Dr. Georg-Betz-Straße. Sollen sie bleiben, ein Zusatzschild erhalten oder umbenannt werden? Antworten darauf soll ein neuer Arbeitskreis mit Mitgliedern aller Stadtratsfraktionen finden. Das hat der Kulturausschuss am Montag beschlossen.

Straßennamen sind eine Ehrenbezeugung. Doch passt es zum demokratischen Selbstverständnis einer Stadt, jemanden in ehrendem Gedächtnis zu behalten, der zwar seine unbestrittenen Verdienste um die Heimatforschung hat, aber auch für Hetzschriften gegen Juden verantwortlich ist? Genau darum geht es im Fall des Lehrers, Historikers und Schriftstellers Heinrich Krauß. Kurz nach dessen Tod 1959 hat die Stadt eine Straße nach ihm benannt.

Die hatte im Stadtrat zuletzt 2014 für Diskussionen gesorgt, seitdem aber war es um dieses Thema eher still geworden. Bis zur jüngsten Sitzung des Kulturausschusses des Stadtrats.

"Hindenburg war der Steigbügelhalter Hitlers", sagt Karl Freller. "Wir hätten die Straße längst umbenennen müssen."

"Hindenburg war der Steigbügelhalter Hitlers", sagt Karl Freller. "Wir hätten die Straße längst umbenennen müssen." © Günther Wilhelm, NN

Unter dem letzten Tagesordnungspunkt "Anfragen und Anregungen" verwies Grünen-Fraktionschef Klaus Neunhoeffer auf ein Jubiläum: Vor 100 Jahre sind 1921 die Schwabacher "Heimatblätter" erstmals erschienen, deren Schriftleiter Heinrich Krauß war. Später folgten weitere heimatkundliche Schriften.

Bis 1933 ließen seine Texte noch keine Nähe zum Nationalsozialismus erkennen. Mit der Machtübernahme der NSDAP aber änderte sich das. Das Schwabacher Stadtlexikon schreibt von "schlimmen antisemitischen Entgleisungen". Beispielsweise bezeichnete er die Juden als "Giftschlangen".

"Über Heinrich Krauß wurde immer wieder mal debattiert, aber wir sind nicht richtig vorangekommen", erklärte Klaus Neunhoeffer und wollte wissen, wie der aktuelle Stand sei. Kulturamtsleiterin Sandra Hoffmann-Rivero berichtete von der Zulassungsarbeit einer Geschichtsstudentin der Uni Erlangen über Heinrich Krauß` Werk. Diese Arbeit ist im Stadtarchiv auf Wunsch jederzeit einsehbar.

Problem Heinrich-Krauß-Straße

Wolfgang Dippert, der Leiter des Stadtarchivs, hat eine Zusammenfassung dieser Zulassungsarbeit erstellt: "Sie kommt zu dem Schluss, dass Heinrich Krauß zumindest zeitweise von der NS-Ideologie überzeugt war. Er hatte Hetzschriften im Stil des Stürmers verfasst." Nach dem Zweiten Weltkrieg habe Krauß einige seiner Aufsätze "selber entnazifiziert und einige Entgleisungen wohl vernichtet", so Dippert.

Über das Leben von Heinrich Krauß sage die Zulassungsarbeit aber wenig. Zusammenfassend gab Dippert zu bedenken: "Der Entzug eines Straßennamens ist ein sehr entehrender Akt. Krauß kann ja auch Verdienste gehabt haben. Seine Äußerungen aber stehen da. Und die lassen sich nicht relativieren."

"Mit seinen Schriften hat sich Heinrich Krauß selbst entehrt", betonte Dr. Sabine Weigand (Grüne), die Historikerin und wie Wolfgang Dippert und Eugen Schöler Autorin des Schwabacher Stadtlexikons ist. Auch mit Blick auf das Jubiläumsjahr "1700 Jahre jüdische Geschichte in Deutschland" sei es an der Zeit, eine Entscheidung zu treffen. "Wir können uns nicht mit einem kleinen Zusatzschild aus der Verantwortung stehlen. Wir müssen ein klares Zeichen setzten, auch wenn es sehr spät kommt."

Auch Karl Freller (CSU) schaltete sich in die Diskussion ein. Als Vizepräsident des Bayerischen Landtags und als Direktor der Stiftung Bayerische Gedenkstätten ist Erinnerungskultur ein für ihn besonders wichtiges Thema. "Ich bin der Letzte, der gegen eine Straßenumbenennung stimmen würde, um das gleich zu sagen", erklärte er.

Problem Hindenburgstraße

Ein Zusatzschild verweist auf Dr. Georg Betz als "Rechtskundiger Bürgermeister 1920 - 1934". Nicht hingewiesen wird dagegen auf seine anfängliche Zusammenarbeit mit den Nazis, eher sich von ihnen distanziert hat.  

Ein Zusatzschild verweist auf Dr. Georg Betz als "Rechtskundiger Bürgermeister 1920 - 1934". Nicht hingewiesen wird dagegen auf seine anfängliche Zusammenarbeit mit den Nazis, eher sich von ihnen distanziert hat.   © Günther Wilhelm, NN

Doch müsse man sehen, dass es "mehrere Beratungsfälle" gebe. "Ich finde, dass wir die Hindenburgstraße längst hätten umbenennen müssen. Schließlich war Hindenburg der Steigbügelhalter Hitlers", so Freller. Reichspräsident Paul von Hindenburg hatte Hitler 1933 zum Reichskanzler ernannt und an die Macht verholfen. Er wolle im Stadtrat "keinen Streit entfachen", sondern gemeinsam über den richtigen Umgang mit den Straßennamen nachdenken.

"Ich kann mich Karl Freller nur anschließen. Es ist unstreitig, dass da was getan gehört", betonte auch SPD-Fraktionschef Werner Sittauer. "Zumal wir in Schwabach ja auch ein Jüdisches Museum haben."

Problem Dr. Georg-Betz-Straße

Wolfgang Dippert erinnerte sogar an einen weiteren Problemfall: die Dr. Georg-Betz-Straße. Betz war von 1920 bis 1934 "rechtskundiger Bürgermeister" Schwabachs, also zur Zeit der Machtergreifung. Dippert hat über dessen Leben und Wirken einen bisher unveröffentlichten Aufsatz geschrieben. Dabei kommt er zu einem differenzierten Urteil: "Am Anfang hat sich Betz auf die Seite der Nazis gestellt, sich dann aber distanziert." 1934 wurde er deshalb von Wilhelm Engelhardt von der NSDAP aus dem Amt gedrängt und von ihm abgelöst. Dipperts Appell: "Wir müssen bei den Straßenumbenennungen eine Linie finden."

Ganz einfach dürfte das nicht werden. Denn die Erfahrung aus anderen Städten zeigt, dass seitens der betroffenen Anwohner häufig Protest laut wird, und zwar aus einem ganz praktischen Grund: Eine neue Adresse erfordert Aufwand und kostet auch Geld. Karl Freller betonte deshalb, dass der Arbeitskreis eine akzeptable, klare und gemeinsame Lösung finden müsse: "Und dann müssen wir auch alle dahinterstehen."

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