Verkauft wird im Laden und vor Ort

Schwitzen statt sitzen: Das produzieren Häftlinge in der JVA Lichtenau

22.10.2021, 05:55 Uhr
In der JVA Lichtenau schreinern die Häftlinge Holzbänke, die im eigenen Laden und online verkauft werden. 

© Nina Dworschak, ARC In der JVA Lichtenau schreinern die Häftlinge Holzbänke, die im eigenen Laden und online verkauft werden. 

Schlechte Schenker schenken Duschgel. Eine Holzbank aus dem Online-Shop Haftsache ist das Gegenteil von Massenware. Sie ist nach traditioneller Handwerkskunst gefertigt und kommt frisch aus dem Gefängnis.

In der Justizvollzuganstalt (JVA) Lichtenau im Kreis Ansbach sägt ein Häftling in der Schreinerei Sprossen für die Bank aus einem Lärchenbrett. Vier Bänke schreinern die Häftlinge in der Werkstatt pro Woche, erzählt Schreinermeister und Justizvollzugsbeamter Dieter Bendl. Er leitet die Anstaltsschreinerei und bringt Häftlingen das Holzhandwerk näher, derzeit hat er sechs Mitarbeiter.

Schreinermeister und Justizvollzugsbeamter Dieter Bendl leitet die Schreinerei im Lichtenauer Gefängnis. 

Schreinermeister und Justizvollzugsbeamter Dieter Bendl leitet die Schreinerei im Lichtenauer Gefängnis.  © Nina Dworschak, ARC

Arbeitspflicht in Bayerischen Gefängnissen

Wer in einem bayerischen Gefängnis sitzt, muss arbeiten. Das sieht Artikel 43 des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes vor. Eine angemessene Tätigkeit diene vor allem der Resozialisierung von Häftlingen, erklärt Susann Barisch, Leiterin der JVA Lichtenau: "Die Arbeit macht die Haftzeit nicht so sinnlos." Wer will, kann sich in Lichtenau auch weiterbilden. Häftlinge können Qualifizierungsbausteine erwerben, diese sollen ihnen später auf dem freien Arbeitsmarkt helfen. Schließen sie eine Weiterbildung im anstaltseigenen Betrieb ab, bekommen sie ein Zertifikat von der Volkshochschule - dass die Fortbildung in der JVA absolviert wurde, sieht keiner.

Statt einem Schaukelpferd haben Häftlinge in Lichtenau einen Schaukeltraktor gebaut.

Statt einem Schaukelpferd haben Häftlinge in Lichtenau einen Schaukeltraktor gebaut. © Nina Dworschak, ARC

Schwitzen statt sitzen: Neben hobeln und sägen können Häftlinge in Lichtenau auch säen und ernten. Die Anstalt hat einen eigenen Gärtnereibetrieb, Häftlinge pflanzen Blumen und bauen Gemüse an, außerdem betreiben sie Holz- und Landwirtschaft. Die Erzeugnisse verkaufen sie im eigenen Hofladen. Der ist auf dem Gelände der JVA.

Wer dort arbeitet, muss sich vorher bewähren. Einen hohen Zaun mit Stacheldraht, wie am Eingang, sucht man in der Gärtnerei vergeblich. Hier trennt sie nur ein offener Gartenzaun von der Freiheit. Die meisten Kunden seien es gewohnt von Häftlingen bedient zu werden, erklärt Gärtnereileiter Siegfried Wellhöfer. "Einmal hat eine Kundin dem Gefangenen sogar ihre Schlüssel in die Hand gedrückt, damit er ihre Einkäufe ins Auto trägt."

Ausbruch im Wald

Missbraucht werden diese Lockerungen selten, erzählt die Anstaltsleiterin. "Beim Holzmachen im Wald ist vor Jahren ein Häftling verschwunden, er ist schnell wieder aufgetaucht." Flucht lohnt nicht, weil der Häftling das Privileg des offenen Vollzuges verlieren würde.

In Lichtenau gibt es weit weniger Sicherheitsvorkehrungen wie im geschlossenen Vollzug: Die Zellen werden nachts nicht abgeschlossen, die Häftlinge nutzen gemeinsame Sanitärbereiche und können sich zu bestimmten Zeiten frei im Haus bewegen. Wer von den Gefängnissen in Nürnberg oder Ansbach nach Lichtenau darf, entscheidet Anstaltsleiterin Susann Barisch.

Regelmäßig sucht sie nach geeigneten Kandidaten. Hierher kommen nur Männer mit kurzen Haftstrafen, denen keine Fluchtgefahr unterstellt wird. Männer, die wegen Drogendelikten, Sexualstraftaten oder schwerer Gewalt verurteilt wurden, sind ebenfalls disqualifiziert für einen Platz in Lichtenau.

Direkt nach Ankunft bekommen Häftlinge in Lichtenau einen Job. Los geht´s im Arbeitsraum. 20 Häftlinge packen gerade Staubsaugerbeutel in Tüten und stecken Spielzeugautos für Hersteller, teils aus der Region, zusammen. "Die Werkstatt erhält viele Privataufträge", erklärt Schreinermeister Bendl. Ein Häftling schreinert gerade auf Wunsch einen Katzenpalast. Dafür hat er aus einem Holzbrett einen Bogen als Eingang und Katzenpfoten zur Dekoration gesägt. Mit Schmirgelpapier bearbeitet er nun die Kanten, damit sich das Tier nicht verletzt. Die Kreativität ist groß: In der Werkstatt stehen Schaukelpferde und die Häftlinge haben auch Autos und Traktoren zum Wippen gebaut. "Unser Bestseller ist die Holzbank, wir bieten sie im Online-Shop Haftsache an", erklärt Bendl.

Küchenutensilien aus dem Gefängnis

Seit 2017 verkaufen die bayerischen Justizvollzugsanstalten "heiße Ware" auf der gemeinsamen Plattform "Haftsache". Für die Küche gibt es schmiedeeiserne Pfannen, gefertigt in Bernau. Aus Amberg kommen Geschirrtücher und Öle, Würzburg bietet ein Kochbuch mit Rezepten aus dem Knast. Wie die Holzbank aus Lichtenau, ist jede "Haftsache" handgefertigt von Gefangenen. Zu haben sind auch Büromöbel, Spiele und Taschen.

Im vergangenen Jahr wurden Produkte in Höhe von 317.000 Euro bei "Haftsache" verkauft. Am häufigsten bestellten Kunden die Filzhausschuhe aus der JVA Kaishaim, die Männerhandtaschen aus Niederschönenfeld und die Geschirrtücher aus Amberg. Auch die Lichtenauer Holzbank ist beliebt, wie das Bayerische Justizministerium mitteilt.

Sie kostet im Online-Shop 395 Euro. Ein Großteil des Umsatzes fließt an den Freistaat Bayern, ein kleiner Betrag wird dem Häftling als Lohn ausgezahlt. Pro Stunde sind das circa zwei Euro, abhängig vom jeweiligen Posten. Das ist deutlich weniger als der Mindestlohn. Geld verdienen ist aber nicht das Ziel eines Gefängnisaufenthaltes - nach Artikel 2 des Bayerischen Strafvollzugsgesetztes steht der Resozialisierungsgedanke im Vordergrund.

Derzeit bietet die JVA Lichtenau nur die Holzbank im Online-Shop "Haftsache" an. "Mehr können wir nicht stemmen, die Arbeit läuft nicht wie in einem normalen Betrieb", erklärt JVA-Chefin Barisch. Die Anzahl der Häftlinge ändere sich ständig, es müsse viel erklärt werden und es gebe mehr Pausen. Die verbringen die meisten Häftlinge in Lichtenau beim Rauchen einem kleinen Innenhof zwischen Arbeitsraum und Werkstatt – auf einer selbst geschreinerten Holzbank.

Neben dem Online-Shop "Haftsache" haben zahlreiche Gefängnisse in Bayern einen eigenen Shop, in dem die gefertigen Produkte erworben werden können. Mehr Informationen zu den Angeboten der Arbeitsbetriebe liefert die Service- und Koordinierungsstelle für das Arbeitswesen im Vollzug unter der Telefonnummer 0800 9072070.

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