"Unverbindlich, windelweich, wirkungslos": Kritik an Bayerns Klimagesetz

11.11.2020, 17:30 Uhr
Bayern will die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent senken. Die Grünen hingegen erwarten, dass man dieses Ziel bald auf 65 bis 70 Prozent nach oben korrigieren muss.

© Olivier Le Moal/shutterstock.com Bayern will die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent senken. Die Grünen hingegen erwarten, dass man dieses Ziel bald auf 65 bis 70 Prozent nach oben korrigieren muss.

Herr Stümpfig, am Donnerstag verabschiedet der bayerische Landtag ein Klimaschutzgesetz. Sie hätten es gerne in vielen Punkten geändert. Ohne Erfolg. Weshalb sind Sie so unzufrieden mit dem Gesetz?
Martin Stümpfig: Ich bin maximal enttäuscht. Der Umweltminister legt hier ein windelweiches Klimagesetz vor, ohne dass Besserung zu erwarten wäre. Wir haben jetzt ein Jahr lang über die Inhalte diskutiert und Experten angehört. Trotzdem wird der sehr schlechte Ursprungsentwurf nun bis auf eine minimale Änderung 1:1 übernommen. Und das, obwohl in der Anhörung im Umweltausschuss sogar die von der Staatsregierung benannten Experten das Gesetz auseinandergenommen haben und für unzureichend befunden haben. Das Gesetz ist komplett unverbindlich und in der Form wirkungslos.


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Wie könnte man es denn verbindlicher machen?
Stümpfig: Indem man zum Beispiel das Monitoring klar regelt und die CO2-Einsparziele herunterbricht auf einzelne Sektoren. Dann ist jedes Ministerium für seinen Bereich zuständig und muss auch konkrete Maßnahmen einleiten, um seine Ziele zu erreichen. Dann wird man zum Beispiel schnell sehen, dass wir mit dem Straßenbau nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Und man müsste viel mehr auf die Kommunen einwirken.

"Staatsregierung scheut sich davor, Geld auszugeben"

Den Kommunen werden im Klimaschutzgesetz keine konkreten Vorgaben gemacht. Ihnen wird lediglich „empfohlen“, selbst aktiv zu werden.
Stümpfig: Die Staatsregierung scheut sich ganz einfach davor, Geld für den Klimaschutz auszugeben. Wenn sie den Kommunen etwas vorschreibt, greift das Konnexitätsprinzip und das Land muss zahlen.

Martin Stümpfig, geboren 1970 in Feuchtwangen, ist seit 2013 Grünen-Landtagsabgeordneter und Sprecher für Energie und Klimaschutz seiner Fraktion. Stümpfig hat in Freising Forstwirtschaft studiert und dann den Aufbaustudiengang „Kommunaler Umweltschutz“ angehängt. Er bildete Dorfberater in Mali aus, arbeitete als Umweltingenieur bei der Stadt Ansbach, war später auch Klimaschutzbeauftragter der Stadt und erstellte ein kommunales Klimaschutzkonzept. 

Martin Stümpfig, geboren 1970 in Feuchtwangen, ist seit 2013 Grünen-Landtagsabgeordneter und Sprecher für Energie und Klimaschutz seiner Fraktion. Stümpfig hat in Freising Forstwirtschaft studiert und dann den Aufbaustudiengang „Kommunaler Umweltschutz“ angehängt. Er bildete Dorfberater in Mali aus, arbeitete als Umweltingenieur bei der Stadt Ansbach, war später auch Klimaschutzbeauftragter der Stadt und erstellte ein kommunales Klimaschutzkonzept.  © Wolf Kehrstephan

Immerhin möchte die Staatsregierung die CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 im Vergleich zu 1990 um 55 Prozent senken. Der Bund hat dasselbe Ziel, die EU wird wohl auch 55 Prozent ins Klimagesetz schreiben. Pro Einwohner sollen die Emissionen auf unter fünf Tonnen pro Jahr sinken. Die Grünen fordern dagegen 2,5 Tonnen pro Kopf. Warum wollen Sie die Emissionen so viel schneller und stärker senken?
Stümpfig: Es geht schlicht nicht anders. Bisher hat die EU 40 Prozent angestrebt. Durch einen europaweit beschlossenen Verteilmechanismus, nach dem hochentwickelte Länder wie Deutschland mehr leisten können, hat das eben 55 Prozent Minderung bedeutet. Wenn die EU jetzt mit dem für die nächsten Monate geplanten Klimagesetz auf 55 Prozent hochgeht, bedeutet das 65 bis 70 Prozent für Deutschland. Auch das Bundes-Klimagesetz wird also dementsprechend korrigiert werden müssen.

Und diese Ziele sind nur zu erreichen, wenn wir 2,5 Tonnen pro Kopf bis 2030 anpeilen?
Stümpfig: Ja. Studien besagen, dass Bayern nur noch ein CO2-Budget von 800 Millionen Tonnen hat, wenn die Paris-Ziele erreicht werden sollen. Pro Jahr stoßen wir in Bayern etwa 80 Millionen Tonnen CO2 aus. Wenn wir so weitermachen, ist unser Budget schon in zehn Jahren verbraucht. Die Staatsregierung will Klimaneutralität aber erst bis 2050 erreichen. Nur mit 2,5 Tonnen pro Kopf bis 2030 sind die Paris-Ziele zu erreichen.

"In so einer Welt will keiner leben"

Welche Folgen hat es, wenn wir die Paris-Ziele nicht erreichen?
Stümpfig: Schon die jetzige Erwärmung um ein Grad hat ja massive negative Auswirkungen weltweit. Wir müssen alles versuchen, um unbedingt unter zwei Grad zu bleiben. Wenn man die Emissionen, die die Staatsregierung anpeilt, aufsummiert, sind wir beim Doppelten, was Paris zulässt. Das würde eine Erderwärmung von drei Grad bedeuten. In so einer Welt will keiner von uns leben.


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Momentan geht es eher in die falsche Richtung. Nachdem die CO2-Pro-Kopf-Emissionen in Bayern lange stetig zurückgingen, steigen sie seit 2014 wieder leicht, zuletzt von 6,1 auf 6,2 Tonnen. Wie sind da die Ziele zu erreichen?
Stümpfig: Baden-Württemberg zum Beispiel macht Klimamobilitätspläne für Kommunen verpflichtend. Man könnte Ladestationen und Fahrradabstellplätze bei neuen Stellflächen vorschreiben und ein Wärmegesetz erlassen. Über die bayerische Bauordnung könnte die 10H-Abstandsregelung für Windkraftanlagen abgeschafft und eine Solarpflicht eingeführt werden. Im Landesplanungsgesetz könnten konkrete Zielsetzungen für den Zubau von erneuerbaren Energien festgeschrieben werden. Für Kommunen könnte man zudem den Klimaschutz zur Pflichtaufgabe machen.

Sie hätten als Ziel noch gerne die Vollversorgung Bayerns mit erneuerbaren Energien stehen. Wie soll das überhaupt möglich werden?
Stümpfig: In den nächsten zehn Jahren müssten wir die Stromerzeugung durch Windkraft- und Photovoltaik-Anlagen verdreifachen. Das klingt viel, ist aber machbar. Pro Landkreis müssten etwa zwei bis drei neue Windkraftanlagen pro Jahr neu entstehen. Das sind eigentlich überschaubare Zahlen.

Aber mit der 10H-Abstandsregel für Windkraftanlagen aber wohl auch völlig utopisch.
Stümpfig: 10H muss weg, anders geht es nicht. Derzeit wird versucht, mit den jetzigen Regeln noch ein paar neue Anlagen zusammenzukratzen. Aber das reicht bei weitem nicht. Wir brauchen 150 bis 200 neue Anlagen pro Jahr. Wir könnten zum Beispiel im Landesplanungsgesetz festlegen, das jeweils zwei Prozent der Landesfläche für Windkraft und Photovoltaik vorzuhalten sind.

Volksbegehren könnte kommen

Ist ein schlechtes Klimaschutzgesetz zumindest besser als gar keines?
Stümpfig: Na ja, es reicht nicht, zu hoffen, dass sich schon alles von selbst und freiwillig zum Besseren wenden wird. Aber ein Gesetz ist zumindest ein Ansatzpunkt, auch für außerparlamentarische Initiativen. Ich kann mir gut vorstellen, dass es ein Volksbegehren für ein echtes, wirksames Klimagesetz geben wird. Das jetzige Klimaschutzgesetz ist ein Schlag ins Gesicht für die jüngeren Generationen.

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