Wegen Anti-Nazi Parolen aus Kreide vor Gericht

6.11.2008, 00:00 Uhr
Wegen Anti-Nazi Parolen aus Kreide vor Gericht

© Karlheinz Daut

Die Müdigkeit steht ihnen ins Gesicht geschrieben: Zwar sind Ferien, doch die rund 30 Jugendlichen treffen sich bereits kurz nach acht Uhr - laute Musik dröhnt aus ihren mitgebrachten Lautsprecherboxen auf dem Gehsteig vor dem Justizgebäude. Protest, mit dem die Demonstranten zeigen, dass sie sich solidarisch mit den vier Angeklagten (18, 19, 19, 22) fühlen. «Kriminell ist das System und nicht der Widerstand» steht auf ihren Flugblättern - den Prozess halten sie für einen Skandal. Eine Begleitmusik, die bleibt, auch wenn sich die Umstände ändern, wie sich am Ende zeigt.

Graffiti-Alarm

Auch die Justiz hat aufgerüstet: Vor dem Sitzungssaal lassen die Wachleute jeden der jungen Zuschauer erst durch eine Sicherheitsschleuse treten, bevor sie den Prozess um ihre vier Kumpels verfolgen können. Auch mehrere Beamte eines Unterstützungskommandos der Polizei sind im Einsatz, sie sollen unter anderem die Sandsteinfassade des Justizgebäudes vor eventuellen Kreideattacken schützen.

Die Vorgeschichte: Für den 3. November 2007 hatte eine antifaschistische Gruppe einen Protestzug gegen Neonazis quer durch Fürth angemeldet. In der Nacht vorher wurden die vier Angeklagten nachts um eins festgenommen. Der Vorwurf: Sie kritzelten Parolen an die Fassaden - Werbung für die Demo. Bei der Polizei hatte ein Anrufer Graffiti-Alarm ausgelöst. Später kam heraus: Nicht Spraydosen wurden benutzt, sondern Kreide.

Im April 2008 mussten sich die vier Angeklagten bereits vor dem Amtsgericht Fürth verantworten - damals hatten empörte Hausbesitzer behauptet, dass sie ihre Fassaden nicht sauber bekommen. Daraufhin wurde der 22-Jährige wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, die drei anderen bekamen wegen Beihilfe je zweimal Freizeit- Arrest. Ein Urteil, dass weder die vier Jugendlichen noch die Staatsanwaltschaft akzeptierte.

Richter ist genervt

Nun also die Berufungsverhandlung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth: Dicke Luft herrscht von Anfang an, die jungen Zuschauer stören ebenso lautstark wie pausenlos, der Richter ist genervt.

Ärgerliche Hausbesitzer sind in dieser zweiten Instanz im Zeugenstand nicht zu hören, vielmehr ein Hausbesitzer, den das Geschmier nicht stört und ein Verwalter, der nicht einmal weiß, wann die Kritzeleien auftauchten und ob sie noch immer zu sehen sind. Dafür erklärt ein Gutachter fast eine halbe Stunde, wie die Schmierereien mit Wasser, Seife und einer weichen Bürste zu entfernen sind.

Nur von den Angeklagten ist kein Wort zu hören: Ihr politisches Anliegen thematisieren sie nicht, den Witz für Ausführungen rund ums Thema Kreide überlassen sie ihren Anwälten.

Wie Hüpfkästchen kleiner Kinder

Graffiti-Geschmiere ärgert nämlich auch die Verteidiger - doch sie streiten darum, ob Kreide die Bausubstanz verletzen kann. Ist es Sachbeschädigung, wenn ein Regenguss die Schmierereien wegwischt - ebenso wie die Hüpfkästchen kleiner Kinder?

Staatsanwalt Michael Schaffer hält dagegen: Für die geschädigten Hausbesitzer bleibt es ein Aufwand, die Schmierereien zu entfernen. Am Ende reichen dem Richter die Beweise nicht. Er zweifelt, ob die vier Angeklagten wirklich die Schmierfinken waren. Seine Zweifel führen zu einem Freispruch. Verhärtet bleiben die Fronten dennoch: Im anderen Lager ist von Unsicherheit nichts zu spüren - man fühlt sich weiter kriminalisiert.