Schachern um die Karfreitagsruhe

30.3.2012, 08:03 Uhr
Schachern um die Karfreitagsruhe

Die Mittelfränkischen Meisterschaften in Weißenburg werden die wahrscheinlich schwächsten aller Zeiten werden. Kein einziger Topspieler aus den großen Vereinen hat zugesagt, kein einziger FIDE-Meister oder Internationaler Meister ist am Start, kein einziger Bundesligaspieler. Der einst stolze Schachkongress ist ein Schatten seiner selbst, wenn er zum zweiten Mal nach 1953 nach Weißenburg kommt.

Zufall ist das nicht. Die Stadt und die beiden großen christlichen Kirchen haben den Funken geschlagen, der sich zum Flächenbrand ausgewachsen hat. Seit 1951 finden die Meisterschaften in aller Regel in der Karwoche von Dienstag bis Ostersamstag statt – bisher ohne Probleme.

Bis man das Turnier nach Weißenburg brachte. Dort stießen die Anhänger des königlichen Spiels auf eine unglückliche Gemengelage. Weißenburgs Oberbürgermeister Jürgen Schröppel war noch damit beschäftigt, erleichtert zu sein, dass er einen handfesten Streit mit der Kirche beigelegt hatte. Es ging um einen verkaufsoffenen Marktsonntag an Ostern, der nach Protesten der Kirchen verlegt wurde. Einen erneuten Kulturkampf wollte Schröppel nicht riskieren. Also fällte er ein salomonisches Urteil. Den Wildbadsaal könne der TSV 1860 gerne für die Meisterschaften haben, aber nur wenn die Kirchen zustimmen.

Die aber schüttelten den Kopf. Passion und Ostern stünden im Zentrum des christlichen Glaubens, erklären Weißenburgs katholischer Dekan Konrad Bayerle und der evangelische Pfarrer Gerd Schamberger in einem gemeinsamen Brief an Strobl. Eine Schachmeisterschaft sei an einem derart wichtigen Tag „deplatziert“, präzisierte Bayerle gegenüber unserer Zeitung.

In dem Schreiben verweisen die beiden Geistlichen zudem auf die Rechtslage. Die scheint für sie zu sprechen. An den sogenannten Stillen Tagen, zu denen der Karfreitag gehört, sind Unterhaltungsveranstaltungen nur erlaubt, wenn der den Tagen entsprechende ernste Charakter gewahrt bleibe. Sportveranstaltungen sind an Stillen Tagen prinzipiell zulässig. Mit einer Ausnahme: Karfreitag. Das klingt eindeutiger als es ist, meint zumindest Thomas Strobl. Der Jurist versteht den Sportveranstaltungsparagrafen als erklärenden Zusatz und nicht als inhaltliche Erweiterung. Der ernste Charakter sei das ausschlaggebende Kriterium, nicht die Einstufung als Sportveranstaltung.

Deutliche Worte im Grußwort

„Unglücklich“ sei das Verhalten der Kirchen, findet Strobl. Im Gespräch mit unserer Zeitung hält er sich zurück, in seinem Grußwort für die Festschrift des Schachkongresses nicht. Dass das Turnier in Weißenburg in abgespeckter Form stattfindet, erklärt er damit, dass „sich die beiden großen Kirchen in Weißenburg verbündet ha­ben, um zu verhindern, dass am Karfreitag ( . . . ) Schach gespielt wird“. Was er davon hält, kann man drei Absätze später lesen: „Es ist leider weder bei unseren Politikern noch bei den Kirchen angekommen, dass wir in ei­ner pluralistischen Gesellschaft leben, die christlichen Kirchen ihre Bindungswirkung verloren haben und wir unsere Freizeit nicht mehr nur nach ihren Vorgaben ausrichten wollen.“

Das Grußwort hat es schon auf den Schreibtisch von Dekan Bayerle geschafft. Im Gespräch mit dem Weißenburger Tagblatt stellt der Geistliche fest, dass die Kirche niemandem verboten habe, Schach zu spielen. Man habe sich lediglich „positioniert“. Diese Positionierung lässt sich in ei­nem Schreiben an Strobl nachlesen: „In Erwartung einer die Umstände berücksichtigenden Verlegung grüßen Sie freundlich . . .“, die Namen von Bayerle und Schamberger folgen. In dem ökumenischen Schreiben wird explizit auf die Auseinandersetzung um den Ostermarkt verwiesen. Die Stadt Weißenburg habe nach konfessionsübergreifenden Protesten aller Kirchen vor Ort „mit Einsicht und gu­tem Willen“ den Termin verschoben, schreiben die beiden Geistlichen.

Wie viel Einsicht damals im Spiel war, wird sich nicht mehr klären lassen. Fakt ist, dass Schröppel persönlich im Falle des Schachturniers die Sache gelassen sieht. „Ich bin der Meinung, dass dieses Schachturnier keine Menschenseele interessiert – also in religiöser Hinsicht. Da brüllen ja keine Menschenhorden ,FCN, FCN“, stellt er auf Anfrage unserer Zeitung klar. Aber warum gibt er dann dem Druck der Kirchen nach? Schröppel: „Ich wollte nicht noch mal so einen Riesenzinnober wie bei dem Markt – nicht wegen einem Schachturniers.“

So richtig aufgegangen ist diese Strategie nicht. Aus Schachkreisen hagelt es Hohn und Spott. „Meine Gratulation also an die beiden Kirchen und die Stadt Weißenburg, die sich als Einzige bis jetzt ,aufgerafft‘ haben, dem ,sündigen‘ Treiben der Schachspieler am Karfreitag ein Ende zu machen, weiter so“, unkt ein Schachfreund aus Nürnberg in einer E-Mail an Strobl. Offensichtlich seien die Kirchen in Weißenburg christlicher als anderswo. An dem Turnier in Weißenburg teilnehmen wird er nicht: „In einer Stadt, in der die Kirchen bestimmen, wann ich in einer städtischen Einrichtung Schach spielen darf, nein danke, in so einer Stadt will ich nicht spielen.“

Der Aufschrei der Schachgemeinde hat weniger mit dem Karfreitags-Spielverbot zu tun als mit den Kon­sequenzen, die sich daraus ergeben. Weil eine Vorverlegung aufgrund des Spielkalenders schwer möglich ist und eine eintägige Pause des Spielbetriebs das Turnier bis auf den Ostersonntag ausgedehnt hätte, entschieden sich die Organisatoren notgedrungen zu einer grundlegenden Terminänderung.

Gespielt wird nun von Montag bis Donnerstag – einen Tag weniger. Das hat zur Folge, dass es nur sieben Runden geben wird – zwei weniger als bisher. Deswegen muss ein anderes Turniersystem gespielt werden – eines, das umstritten ist. Das führt dazu, dass dem Zufall mehr Raum eingeräumt wird, klagen die Spieler. Und man muss wissen: Schachspieler können Zufall nicht leiden – ein wesentlicher Bestandteil ihres Hobbys ist es, den Zufall durch konsequentes Nachdenken so weit wie möglich auszuschließen.

Strobl auf der Abschussliste

Auf der Internetseite des wichtigs­ten Schachvereins im Bezirk, Noris Tarrasch Nürnberg, ereifern sich namhafte Größen der Szene über das Turnier in Weißenburg. Scharf geschossen wird auch gegen die Funktionärsriege, die das zulassen konnte. Bitter für Thomas Strobl, denn der Leiter der Weißenburger Schachabteilung ist auch der Vorsitzende des Bezirks­verbandes. Zuletzt machten sich seine Gegner schon mal schlau, wie die Regularien für ein Amtsenthebungsverfahren aussehen. Der Vorwurf: Verstoß gegen die geltende Turnierordnung.

Strobl dürfte sich das alles etwas anders vorgestellt haben, als er den Schachkongress in seine Heimat brachte. Jetzt hat er die schwächste Mittelfränkische aller Zeiten zu Gast und seine Person steht in der Schachgemeinde im Kreuzfeuer der Kritik. Ob er am Karfreitag in die Kirche geht, scheint nicht ausgemacht.

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