Sind Sie vom Verein der Depressiven?
16.9.2010, 13:00 UhrDrei Tage und je acht Stunden hat Barbara Engelhard auf ihrer „Wartebank“ vor dem Hauptbahnhof verbracht, 24 verrückte, lustige, bizarre Stunden. Eine „passive Performance“ nennt die Fürther Künstlerin („Museumsshop Barbara“, „Sex in Fürth“, Blaue Nacht) ihre Aktion, zu der eine Holzbank, wärmende Utensilien und vor allem sie selbst gehören. Plötzlich steht da also eine Holzbank, wo sonst nie eine steht, platziert auf einem mit Warte-Gedanken beschrifteten, weißen Geviert. Das fordert heraus.
Man kann Engelhard ansprechen, anglotzen, einen Tee mit ihr trinken. Eine Frau fragte sie, ob sie womöglich einem Verein für Depressive angehöre. Tut sie nicht. Ob sie denn nicht auch auf Gott warte. Tut sie nicht wirklich. Ein Mann kam vorbei, der im Brustton der Überzeugung meinte, für ihn gebe es kein Warten, das ganze Leben sei doch Warten. Und dann war da noch jene Dame, die Engelhard bass erstaunt fragte, warum sie nicht geradeaus schaue, wie es sich für richtige Skulpturen gehöre.
„Die spinnt ja“ ist übrigens ebenfalls eine Reaktion, die der Künstlerin nach 24 Wartestunden bekannt vorkommt. „Die Leute denken halt, dass immer alles begründet sein muss“, so die 36-Jährige, die in Nürnberg bei Christine Colditz und Werner Knaupp studierte. Mit ihrer „Wartebank“ will sie auffordern, über Sinn und Wesen des Wartens nachzudenken.
Und was machen die Fürther? Eine Hälfte schüttelt den Kopf. Die andere hört nicht auf zu erzählen. „Ich habe rasch festgestellt, dass ich hier eine Art Info-Zentrale bin für Lebensgeschichten, Bedürfnisse, Politisches und Touristentipps.“ Eine Aktion wie ihre mache deutlich, „dass es sehr viele Leute gibt, denen ein Ansprechpartner fehlt.“ Engelhard war dieser Ansprechpartner, drei Tage lang und jeweils von 12 bis 20 Uhr. „Eine spannende körperliche und geistige Erfahrung“ sei das gewesen, bilanziert sie. Nun plant die Künstlerin kurzerhand, in der kommenden Woche einen weiteren Tag auf der „Wartebank“ zu verbringen; steht zwar nicht im offiziellen „Warten“Programm, macht aber nichts. Die FN geben rechtzeitig Bescheid.
Oxford ist nicht Fürth. Das muss auch Martin Leibinger einsehen. Dennoch sitzt er unverdrossen auf einem Klappstuhl im Pavillon der Adenaueranlage — und wartet. Darauf, dass sich jemand zu ihm setzt, von seinen Keksen probiert, sich einen Kaffee aus der Thermoskanne einschenkt und ihm möglicherweise sogar eine Geschichte erzählt, die Leibinger in einem Notizbuch festhalten würde.
Auf eine schwarze Tafel hat er mit Kreide „Stadtküche — Getränke und Geschichten im freien Austausch“ geschrieben. Und genau diesen Austausch mit den Fürthern strebt der 27-Jährige an, der in Weimar Kunst im öffentlichen Raum studiert hat. „Es ist ein Experiment“, sagt Leibinger, doch sein Experiment krankt offenbar daran, dass der Franke an sich nur zögerlich auf derart Ungewohntes eingeht. In Oxford — dort verbrachte er ein Auslandssemester — mit seinen Studenten und internationalem Publikum lief es ungleich besser.
Am Samstag, 18. September, und Sonntag, 26. September, wird er seine Stadtküche jeweils von 13 bis 15 Uhr im Wartehäuschen an der Freiheit einquartieren. Neben diesen beiden festen Terminen plant Leibinger, seinen Tisch noch öfter in der Innenstadt aufzubauen. Wann und wo, das weiß er noch nicht. Kaffee und Kekse wird es aber immer geben — und ein paar Sitzgelegenheiten an seiner Seite. ja
„Warten auf den Oberbürgermeister“ heißt es am Donnerstag, 16. September, um „5 vor 12“ auf Warteinsel 2 in der Fußgängerzone. „Warten auf den Ausgang der Geschichte“ steht ab 13 Uhr im Atlas Reisebüro (Schwabacher Straße 14) an, wo Diethart Bischoff aus einem Roman liest. Die „Warten“-Kunstausstellung im Hauptbahnhof ist offen von 12 bis 20 Uhr, um 15 Uhr gibt es eine Führung. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei. Bis 26. September.