Abschiedsreportage im Fanradio
Günther Koch über Wetten, Flugzeuge und die Liebe zum FCN: „Da habe ich gemerkt: Ich bin Clubfan“
03.05.2025, 11:00 Uhr
Als er sich verliebte, waren das Gros der gegenwärtigen Club-Spieler noch nicht geboren. Als er sich verliebte, war Miroslav Klose noch Jugendspieler bei der SG Blaubach und Rainer Zobel Trainer des 1. FC Nürnberg. Als er sich verliebte, stieg der ruhmreiche Altmeister in die 2. Bundesliga ab – gemeinsam mit Wattenscheid 09 und dem VfB Leipzig. Als er sich verliebte, saß er in einem beunruhigend klappernden Flugzeug. Oder nein. Nicht als er sich verliebte, sondern als er merkte, dass er sich verliebt hatte.
„Er“ hört auf den Namen Günther Koch, ist eine lebende Reporter-Legende und gilt als „Stimme Frankens“. Verliebt hat sich der ursprüngliche Bayern-Fan, der für seine Anstellung als Lehrer nach Nürnberg zog und dort seine Schüler zunächst von seinem Münchner Klub überzeugen wollte, in den fränkischen Herz- und Schmerzverein – und vor allem in dessen Fans. Weil sie ihn geliebt haben und lieben.
„Der absolute und mittlere Wahnsinn“
„Fans haben mir ein Gedicht an den Reporterplatz gelegt, einen Kuchen oder Blumen. Und wenn ich nach den Spielen mit dem Radl an den Kleingartenkolonien vorbeigefahren bin, haben sich die Leute bedankt für die ‚Ansage‘, also für meine Reportage“, blickt Günther Koch auf die Anlässe zurück, weshalb er sich mit dem 1. FC Nürnberg „infiziert“ hatte. Kurz: „Durch die Fans, weil ich gemerkt habe, wie sie an ihrem Club hängen.“
Dass er selbst am Club hing, merkte der langjährige und deutschlandweit bekannte Fußballreporter in einer der dunkelsten Stunde in der Vereinsgeschichte: Es war der 7. Mai 1994, als der abstiegsbedrohte 1. FC Nürnberg mit 1:4 in Dortmund unterging, während im Parallelspiel der Konkurrent, der SC Freiburg, drei Punkte aus Duisburg entführte und damit den Nürnberger Abstieg besiegelte. „Nach der Niederlage in Dortmund sind wir mit einem kleinen Flieger zurückgeflogen nach Nürnberg, das Flugzeug klapperte und ruckelte“, erinnerte sich Günther Koch. Was für andere wie ein Horrorszenario wirkt und Todesängste hervorruft, nahm der ernüchterte Clubfan unmittelbar nach dem Abstieg mit Gleichgültigkeit hin: „Ich dachte mir, wenn das Flugzeug jetzt abstürzt, wäre mir das völlig Wurst. Und da habe ich gemerkt: Ich bin Clubfan.“ In einer Bruchlandung stieg der 1. FC Nürnberg ab, während der Kleinflieger trotz Turbulenzen Passagier Koch sicher nach Nürnberg transportierte. Dort angekommen, schrieb sich der Nun-Clubfan am nächsten Werktag als Mitglied ein.
Inzwischen erlebt Koch seit über 30 Jahren die Höhen und Tiefen des Nürnberger Herz- und Schmerzvereins mit. Was ihm der Verein in den letzten drei Jahrzehnten seines Lebens gegeben hat? „Den absoluten oder mittleren Wahnsinn – und den liebe ich. Ich hasse nichts mehr als Langeweile, und deswegen ist der Club für mich der ideale Verein“, antwortete Koch im Gespräch. Aber: Nicht nur prägte der Verein den Menschen Günther Koch, sondern auch der Mensch Günther Koch den Verein – als Mitglied des Aufsichtsrates, aber vor allem als die Stimme, der sämtliche Fans aller Generationen lauschten, die Stimme, die die großen Erfolge und die bitteren Krisen, und ganz allgemein die ganze Bandbreite an Emotionen direkt ins heimische Wohnzimmer transportiert hat.
Dass Günther Koch, der seinem „Traumberuf“ als Lehrer nachging, im Reporter-Dasein einen zweiten „Traumberuf“ finden und in dieser Tätigkeit zahlreiche Preise gewinnen und deutschlandweite Bekanntheit erlangen sollte, das hat er seiner Tochter zu verdanken. Die damals fünfjährige Martina sah das Spiel zwischen dem 1. FC Nürnberg und Manchester United, als der Stadionsprecher verkündete, dass Sportreporter Oskar Klose gestorben ist. „Meine Tochter hat gesagt: Papa, dann machst Du das“, blickt Koch zurück. Der Deutsch-, Englisch- und Religionslehrer hatte damals in Kinderferienheimen oder in Zwischenstunden Fußballreportagen gesprochen, wenn die Buben gespielt haben – und seine Tochter damit beeindruckt. Auf Drängen des Mädchens hin schrieb er einen Brief an den Bayerischen Rundfunk. Dass er wegen einer Wette, eines Versprechens an seine Tochter, Kontakt aufnahm, verschwieg er – stattdessen setzte er auf einen frechen Ton. Der Tenor seines Briefs: „Ich kann es sowieso besser, lasst mich einmal ans Mikrofon, dann kann ich zeigen, wie das geht.“ Sie ließen ihn ans Mikrofon, erstmals im Oktober 1976 beim Duell zwischen der SpVgg Fürth und Bayern Hof. „Ich bin auf dem Gartenstuhl an der Seitenlinie gesessen, habe gesagt, was los ist, war frech wie Oskar“, beschrieb Koch sein Reporterdebüt, das bei den Verantwortlichen durchaus auf positive Resonanz stieß: „Denen hat mein Stil und auch mein Torschrei gefallen. Und mir hat es auch gefallen.“ So begann eine überaus erfolgreiche, jahrzehntelange Karriere als Fußballreporter.
Auf ebendiese blickt der 83-Jährige „mit großer Dankbarkeit“ zurück: „Wer kann in seinem Leben zurückweisen, wenn man in fast 50 Jahren europaweit, von Trondheim über Istanbul nach Madrid, sämtliche Stadien gesehen hat? Und wenn man zudem mit dem Club in Rom und Bukarest war?“ Seinen Zweitberuf habe Koch immer „frisch und unbekümmert“ ausgeübt und dabei das an den Tag gelegt, war er als Erfolgsbausteine für eine gelungene Reportage ansieht: „Spontanität, sprachliche Sicherheit, und dass man den Fußball liebt und auch selber spielt, auch damit man weiß, warum der Stürmer den Ball neben das Tor schießt, obwohl er drei Meter davor stand“, erklärte der Pensionär, der noch immer regelmäßig etwa für die „Seniorensportgemeinschaft Morlock“ kickt und im Anschluss kleine Berichte in die WhatsApp-Gruppe schickt. Fußball und die Berichterstattung darüber als Leidenschaft, der 1. FC Nürnberg als Herzensklub.
Abschiedsreportage beim Jubiläumsspiel
Wenngleich die Geschichte von Günther Koch als Fußballreporter auch im Alter von 83 Jahren noch immer kein Ende gefunden hat, schließt am Sonntag ein Kapitel: Beim Jubiläumsspiel wird die Reporterlegende ihre Abschiedsreportage für das Fanradio seines Club geben. Dass dieses Spiel der krönende Abschluss werden soll und dass er es werden könnte, wurde dem gebürtigen Traunsteiner erst vor Kurzem klar: „Ich kann ja meinen Personalausweis lesen und kenne mein Alter. Als vor ein paar Wochen der ganze Zinnober mit den 125 Jahren losging, habe ich gemerkt: Hoppla, das wäre ja der ideale Zeitpunkt.“ Mit dem Duell gegen die SV Elversberg verabschiedet sich Günther Koch also vom Fanradio, seine Stimme wird aber weiterhin zu hören sein – im Podcast „Wir rufen Günther Koch“ von nordbayern.de, wo er die Spiele des 1. FC Nürnberg analysiert.
Für seinen letzten Auftritt im Fanradio erhofft sich Koch gegen eine bessere Mannschaft, als welche er die aktuell viertplatzierte SV Elversberg ansieht, „einen knappen, glücklichen Sieg“ und fügt an: „Ich Depp träume immer noch von der kleinen Restchance eines Aufstiegs.“ Und damit ist Günther Koch wohl genau der Inbegriff eines Fans von einem 1. FC Nürnberg, der chronisch zwischen stolzer Historie und bitterer Enttäuschung, zwischen manischen Höhen und dramatischen Tiefen wandelt. Der das gesamte Spektrum an Emotionen binnen weniger Minuten abdecken kann und bei dem Wahnsinn ein Dauerzustand ist. Der seit nun 125 Jahren Tag für Tag Menschen in seinen Bann zieht und ein Leben lang nicht mehr loslässt. So wie damals Günther Koch, als er sich in diesen, seinen Club, verliebte.
1 Kommentar
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen