Anlage marode: TV Fürth 1860 muss Millionen verbauen

18.11.2020, 15:15 Uhr
Anlage marode: TV Fürth 1860 muss Millionen verbauen

© Foto: Hans-Joachim Winckler

Herr Conrad, jüngst haben wir über Ihre Turnabteilung berichtet, die 100 Mitglieder weniger im Vergleich zum Vorjahr zählt. Laufen auch den anderen Sparten die Sportler davon?

Noch fahren wir stabil, wir haben insgesamt noch keinen realen Verlust zu verbuchen. Die natürlichen Austritte, die es immer gibt, werden aber vielleicht nicht durch Eintritte ausgeglichen. Viele Leute werden den Eintritt aufschieben. Aber Massenaustritte sind noch nicht zu verbuchen.

Aderlass bei den Turnern des TV Fürth 1860

Die SpVgg hat Soli-Dauerkarten verkauft. Kann auch ein Breitensportverein an die Loyalität appellieren?

Ja, ich habe in der Tat bereits zur Solidarität aufgerufen. Zum anderen wollen wir mit Ideen und Innovationen locken. Sofort im ersten Lockdown haben wir Youtube-Trainingsvideos angeboten, unheimlich viele Abteilungen und Übungsleiter haben mitgemacht, das wurde toll angenommen und hat Bindung erzeugt. Und seit einer Woche bieten wir "Personal Training": ein Trainer und ein Sportler machen gemeinsam Laufübungen, Fitness und Gymnastik, auch das wird total gut angenommen.

Das klingt, als seien Sie vorbereitet gewesen auf die Einschränkungen.

Als es nach dem ersten Lockdown wieder losging am 8. Mai, haben wir sofort ein kreatives Hygienekonzept aufgelegt, auf den Freiflächen unseres Geländes Felder eingegrenzt und den Abteilungen zugeordnet. Da haben die Mitglieder schon gemerkt: Da ist Dynamik, da ist Bereitschaft. Unser Motto war und ist: Sport ermöglichen und nicht verhindern.

Ist das jetzt ein Seitenhieb in Richtung Politik?

Jein. Wir im Vorstand haben die Maßnahmen mitgetragen, wir sehen die Relevanz, wir hören auf die Wissenschaft. In der ersten Phase ging es darum zu lernen. Was maßlos ärgerlich war, war der Richtungswechsel bezüglich der Fitnessstudios Ende vergangener Woche. Der Individualsport in der Halle wurde über Nacht untersagt – da ist ja kein unmittelbarer Zusammenhang.

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Was bleibt Ihnen übrig außer "Augen zu und durch"?

Wenn man anbietet, was den Leuten wichtig ist, dann wird auch weiterhin die Nachfrage da sein. Das sehen wir an der neuen Kinder-Ballschule Fürth, die innerhalb einer Woche ausgebucht war, und unserer Kindersportschule.

Unabhängig von der Pandemie arbeitet man beim TV 1860 im Hintergrund auf Hochtouren – worum geht es?

Zu Beginn meiner Amtszeit habe ich mir die Frage gestellt: quo vadis? Wie kann man sicherstellen, dass es den Verein in den nächsten 20 Jahren noch gibt? Mit der aktuellen baulichen Substanz wird es schwer. Wir müssen hier Veränderungen anstreben, die "Vision 2025" war geboren. Wir haben uns mit Sportwissenschaftlern in unserer Geschäftsstelle überlegt: Was soll das Sportangebot sein? Zusammen mit meinen Vorstandskollegen Michael Eglau und Schatzmeister Ronald Handwerker sind wir intensiv die nächsten Schritte angegangen.

Müssen oder wollen Sie in Steine investieren?

Wir haben diverse Gutachten vorliegen, die die Substanz unserer 40 Jahre alten Vereinsgebäude schlicht und ergreifend als erheblich sanierungsbedürftig einstufen. Eine Zukunft ohne bauliche Veränderungen ist nicht möglich. Es droht eine Negativspirale: Hohe Instandhaltungskosten und die energieineffiziente Bausubstanz lassen die Kosten steigen, gleichzeitig sinkt die
Attraktivität und Mitglieder gehen – das könnte in ein Desaster führen. Wir haben das Projekt nicht auf die Agenda gesetzt, um uns etwas Schönes zu gönnen. Es ist unabdingbar für den TV 1860.

Was genau ist baufällig?

Der gesamte Baukörper. Dazu ist die Leichtathletikbahn auf dem Außengelände ein Flickenteppich und das Kunstrasenfeld ist marode. Wir sind in die Flächenplanung gegangen und haben einen Finanzausschuss gegründet, denn es ist ein Projekt, das in hohem Maße mit Fördergeldern umgesetzt werden muss: die BLSV-Sportstättenförderung und eine Unterstützung der Stadt Fürth mit fünf Millionen Euro verteilt auf fünf Jahre. Wir rechnen mit Gesamtkosten von 25 bis 30 Millionen Euro. Wir verfolgen das Ziel, von 100 eingesetzten Euro 20 selbst beisteuern.

Reden wir von Sanierung oder Neubau?

Wir werden um einen Neubau nicht herumkommen. Eine Kernsanierung würde nach Aussage des Architekten teurer. Und jetzt kommt der entscheidende Punkt: Die Idee, auf dem gleichen Ort etwas zu bauen, ist logistisch unmöglich, denn sonst würden wir zwei Jahre keinen Sportbetrieb anbieten können. Nach Prüfung von sieben Varianten, in denen auch geprüft wurde, dass kein Baum unnötig gefällt werden muss, soll das neue Sportzentrum zwischen Tennis- und Fußballplatz an der Coubertinstraße entstehen, dort ist derzeit Wiese. Wir starten bald die Bauvoranfrage. Das Gelände ist bereits im Besitz des TV, nicht auf dem städtischen Grund, den der Verein nutzt. Was auf den alten Grund kommt, wissen wir noch gar nicht.

Werden alle bisherigen Hallennutzer auch im neuen Modell ihren Platz haben?

Ja, bis auf die Tennishalle, da müssen wir noch eine Lösung finden. Das wird ein Komplex mit einer Dreifachturnhalle, kleineren Multifunktionshallen und Kampfsportzentrum, denn das ist eine stark wachsende Abteilung, Bahnen für die Kegler, einer Halle für die Turner und dem Verwaltungstrakt.

Wann ist die Eröffnung geplant?

Es heißt "Vision 2025". Wenn das alles so bleibt, dann wäre es durchaus denkbar, 2023 mit dem Bau anzufangen und 2025 fertig zu sein. Eine Vision ist nur dann gut, wenn man an die Zukunft, die sie beschreibt, auch glauben kann. Unsere Vision ist, dass der Verein im Jahr 2060 ein gesundes und glückliches 200-Jahr-Fest feiern kann.

Und wo sind die innovativen Ideen in den Abteilungen, von denen Sie eingangs sprachen?

Wir verfolgen die Idee vom integrierten Sportpark. Wir wollen uns in Fürth so darstellen, dass wir Themen im Angebot haben, die so noch nicht gedacht worden sind. Zum Beispiel schwebt uns ein Sport-Hort vor, die Integration von Kinderbetreuung nach der Schule in Verbindung mit dem Sportverein. So wollen wir auch das Gelände planen. Es gibt ja viele Modesportarten wie Bouldern, Parkour, wir wollen Athletiktraining anbieten. Als moderner Verein wollen wir zusätzlich ein Angebot schaffen, das den klassischen Vereinssport ergänzt – mit einem Kurssystem.

Sie meinen das Zehner-Karten-Modell, indem man nur für die Leistung bezahlt, die man in Anspruch nimmt? Früher war das die Horrorvorstellung jedes Vereinsvorstands.

Genau. Aber es ist der Zeitgeist, dass sich viele Leute nicht mehr binden wollen. Unser Partnerverein ESV München mit einer ähnlichen Größenordung ist da, wo die Reise wohl hingehen wird: 70 Prozent Einnahmen aus dem Kurssystem, 30 Prozent aus Mitgliedschaften. Wie gesagt, wir sehen ein Kurssystem ergänzend zu dem traditionellen Vereinssport. Und so mancher Kursteilnehmer tritt auch in den Verein ein.

Haben Sie nicht Angst davor, dass darunter das Vereinsleben leidet?

Nein, denn die, die Vereinsleben wollen, werden auch in Zukunft eine Heimat bei uns haben.

Vita

Stefan Conrad, 52, ist geboren und aufgewachsen in Fürth und seit 44 Jahren Mitglied beim TV Fürth 1860. Über die Sportarten Turnen, Leichtathletik, Handball und Tennis, in dessen Abteilung er verschiedene Ämter bekleidete, wurde er 2017 Gesamtvereinsvorsitzender. Der gelernte Bankkaufmann ist selbständiger Finanzplaner, was ihm in seinem Ehrenamt zugute kommt.

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