Club: Gunst der Stunde nicht genutzt

31.8.2009, 00:00 Uhr
Club: Gunst der Stunde nicht genutzt

© Wolfgang Zink

Kurzum, eine clevere Mannschaft hätte den behäbigen Schwaben am Samstagnachmittag in ihrer Arena eine Lektion erteilt. Zum Glück für den VfB ging’s gegen den 1. FC Nürnberg – Deutschlands derzeit wohl friedlichsten Bundesligisten. «Gott sei Dank«, stöhnte jener Stuttgart-Fan hinter den Presseplätzen auf, «sind die nach vorn so harmlos.«

Pinola vergibt den Sieg

Wahrscheinlich haben einige aus der fränkischen Delegation erst bei einer späteren Videoanalyse realisiert, wie groß die Siegchance tatsächlich war. Martin Bader wusste es bereits unmittelbar nach Feierabend. Unaufhörlich schüttelte er vor der Auswechselbank seinen Kopf, gestikulierte wild, zeigte auf den rechts von ihm stehenden Kasten. Dort hatte sich Sekunden vor dem Abpfiff Folgendes zugetragen: Dario Vidosic (22.), ebenso wie der famose Havard Nordtveit (19) und Marcel Risse (19) neu in der Startformation, wurde im Sechzehnmeterraum angespielt und legte uneigennützig für den heraneilenden Javier Pinola auf, der wahrscheinlich die Kugel sogar noch hätte stoppen können, so frei war er.

Stattdessen verschenkte der Argentinier mit seinem überhasteten Abschluss final zwei wichtige Punkte, der überraschend kesse Aufsteiger musste mit einem 0:0 zufrieden sein. Manchen fiel es ziemlich schwer. Im Nachhinein und in Anbetracht der Umstände «ist man doch ein Stück weit traurig«, fand Trainer Michael Oenning am nächsten Vormittag nach der traditionellen Radtour. Letztlich sei ein Zähler «schon okay«, pflichtete ihm Sportdirektor Bader bei, «idealerweise sollte man so ein Auswärtsspiel aber auch mal gewinnen.« Der Haken daran ist, dass ihre taktisch neu ausgerichteten (eine zweite Viererkette im Mittelfeld, nur noch eine Spitze) und wohl auch deswegen im Vergleich zur Vorwoche in jeder Hinsicht klar verbesserten Nürnberger auf einen ähnlich indisponierten Kontrahenten wie den VfB so schnell nicht mehr treffen werden. Die Gunst der Stunde konsequent zu nutzen zählte eher selten zu den Stärken des mittlerweile 109 Jahre alten 1. FCN – auch am Samstag nicht.

Oenning sieht einen «starken Charakter«

Abgesehen vom Ergebnis konnte Oenning trotzdem allerhand Erfreuliches mit in die zweiwöchige Pause nehmen. Etwa, dass seine Fußballer einen starken Charakter haben und sich unbedingt rehabilitieren wollten. Eine «ganz klare Antwort« auf die Heimniederlage gegen Hannover sei die Teamleistung gewesen, sagte Oenning, der wie erwartet einzig die mangelnde Zielstrebigkeit und Entschlossenheit vor des Gegners Gehäuse kritisieren musste, so manche Überzahlsituation wurde bereits in der Entstehung vergeben oder ganz schlecht aufgelöst. Stuttgarts exzentrischer Schlussmann Jens Lehmann musste in 90 Minuten genau zweimal sein Können zeigen – ansonsten flog der Ball überall hin, bloß nicht in Lehmanns zentralen Wirkungsbereich.

Dass auch etwas Pech (Risse traf nach schönem Alleingang den Pfosten, 64.) und ein in engen Szenen konsequent zuungunsten der Gäste pfeifender Schiedsrichter Babak Rafati nicht gerade hilfreich waren, ließ Oenning in seiner Analyse außen vor. «Mit ein bisschen Glück«, meinte der von seinen Jungs sichtlich begeisterte Trainer hinterher nur, «hätten wir hier auch gewinnen können.« Und mit einem torgefährlichen Stürmer, der heute, am letzten Tag der Transferperiode, noch verpflichtet werden soll (siehe Bericht auf Seite 17). Christian Eigler war am Samstag jedenfalls kein adäquater Ersatz für den nach gut einer Stunde und großem Pensum entkräftet ausgewechselten Angelos Charisteas.

Komplimente von Babbel

Dennoch hätte es reichen können, nein, reichen müssen für den Club, dessen Torwart Raphael Schäfer bei seiner Rückkehr nach Stuttgart einen überraschend ruhigen Nachmittag verleben durfte. Vor allem dank seiner zehn Vorderleute, die bis auf zwei Gelegenheiten für Pavel Pogrebnjak und einen Cacau-Kopfball kaum etwas zuließen. Man habe gegen eine «sehr, sehr gut eingestellte Nürnberger Mannschaft gespielt«, lobte denn auch Stuttgarts Trainer Markus Babbel, die «sehr, sehr stark aufgetreten ist«. Dass man letztlich einen Punkt behielt, weil der Club im Angriff sehr, sehr harmlos war, erwähnte Babbel nicht. Es hatte sowieso jeder gesehen.

Stuttgart: Lehmann – Träsch, Tasci, Niedermeier, Boka – Khedira, Hitzlsperger (61. Hleb) – Gebhart, Simak (46. Elson) – Pogrebnijak, Cacau (80. Schieber).

Nürnberg: Schäfer – Diekmeier, Wolf, Maroh, Pinola – Nordveit – Risse, Kluge (66. Judt), Mintal, Vidosic (90.+1 Broich) – Charisteas (63. Eigler).

Schiedsrichter: Rafati (Hannover). – Zuschauer: 42000 (ausverkauft). – Tore: Fehlanzeige. – Gelbe Karten: Gebhart (3) – Risse.