Der Club, gnadenlos kaputt: Muss Wiesinger gehen?

7.10.2013, 06:59 Uhr
Der Club, gnadenlos kaputt: Muss Wiesinger gehen?

© Sportfoto Zink

Wo es hingehen würde mit dem 1. FC Nürnberg, ließ sich nicht recht erahnen bis Sonntag am frühen Abend. Der Club spielte oft eher schlecht in der noch kurzen Saison, manchmal aber auch ein bisschen besser, gelegentlich sogar ansatzweise gut. Der Gesamteindruck blieb vor allem: rätselhaft. Was man am Sonntag sah, half immerhin ein bisschen weiter in der Einschätzung – auch wenn sich darüber natürlich niemand freuen mochte, der es mit Nürnberg hält.

Der Club spielte erst eher schlecht, dann noch sehr viel schlechter – und am Ende so, dass man sich besser nicht mehr vorstellen wollte, wo das hingehen könnte. „Gnadenlos kaputt gemacht“ worden, sagte Trainer Michael Wiesinger, als es draußen dunkel wurde, sei seine Mannschaft von einem Hamburger Sportverein, der das Frankenstadion als 5:0 (1:0)-Sieger verließ – ohne auch nur annähernd wie ein 5:0-Sieger ausgesehen zu haben; nicht einmal besonders gut, erklärte der neue HSV-Trainer Bert van Marwijk, habe man gespielt.

Der Niederländer formulierte es nicht wörtlich so, aber selbst die zurückhaltenden Sätze, die die mehr erleichterten als glücklichen Sieger äußerten, mussten dem Verlierer weh tun. Zwar „wieder auf den Beinen, aber noch lange nicht da“ sei seine Mannschaft, sagte also van Marwijk, während Pierre-Michel Lasogga mit großen Augen staunte. „Als Jugendlicher“, sagte der Hamburger Stürmer, habe er „sowas“ sicher schon mal erlebt, aber: „Auswärts so hoch zu gewinnen – das passiert in der Bundesliga ja sicher selten.“

Lasogga, 21 Jahre alt, ist noch ein Lehrling, aber Sonntagnachmittag genügten ihm acht Minuten, um drei Tore hintereinander zu erzielen – 0:2, 0:3, 0:4; Nürnbergs Getreueste in der Kurve intonierten im Chor „Wiese raus“ und skandierten den Namen des Co-Trainers, eher aus purer Verzweiflung. Marek Mintal, Assistent der Cheftrainer Michael Wiesinger und Armin Reutershahn, steht ja für die schönsten Zeiten der jüngeren Vergangenheit, der gestrige Auftritt erinnerte an die schwärzesten.

„Absoluter Wahnsinn“

Sowas. Ein 0:5 gegen einen direkten Rivalen im Abstiegskampf, eine Heimniederlage, wie sie selbst im traditionell krisengeschüttelten Franken aus dem Rahmen fällt. Zuletzt vor knapp vier Jahren, bei einem vergleichbar erschütternden 0:4 gegen denselben Gegner, hatte es ähnlich ausgesehen – es markierte das Ende der Ära des Trainers Michael Oenning, eine Woche später war Oenning entlassen.

Sowas. „Unfassbar – in der zweiten Halbzeit war es absoluter Wahnsinn, wie wir aufgetreten sind“, sagte Per Nilsson, der Lasogga in grotesker Manier das 0:4 aufgelegt hatte, als seine Elf in ihre Einzelteile zerfallen war. Wer nicht, die Kapuze des Pullovers über den Kopf gezogen, schnell genug das Weite gefunden hatte, sollte den Wahnsinn erklären – bloß wie? „Da fehlen einem die Worte“, sagte Stürmer Josip Drmic, „bei uns stimmt es hinten und vorne nicht“; „nicht akzeptabel“ sei so ein Auftritt, sagte Drmic auch – an einem Tag, der der Saison eine Wende geben sollte. „Einen Aufbruch erzeugen“, formulierte es Wiesinger tapfer, habe man wollen – „und jetzt ist das in eine völlig andere Richtung gegangen“.

Wiese raus? „Das geht einem nahe“, sagte Wiesinger, „aber ich stehe in der Verantwortung – und es gehört zu meinem Job, das auszuhalten.“ „Brutal“ nannte er die Eindrücke in nahezu jedem zweiten Satz, „auch emotional brutal“, „da hast du als Trainer keine Argumente mehr.“ Trotzdem welche vorzutragen, musste misslingen, das ahnte Wiesinger, versuchte es aber trotzdem mit dem Verweis auf eine erste Halbzeit, die er „ganz ordentlich“ nannte; auf den bevorstehenden Untergang sah Wiesinger jedenfalls nichts hindeuten.

 „Wir haben viele Spiele gedreht“, daran, erzählte Wiesinger, habe er zur Halbzeitpause erinnert. Daraus hatte man bis Sonntag Hoffnung geschöpft, es hatte ja zu kleinen Teilerfolgen gereicht, wenn auch bloß, zum Beispiel, gegen die Liga-Neulinge Hertha BSC und Braunschweig. Kollege van Marwijk hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine andere Ahnung; „zwei- oder dreinull gewinnen“, berichtete er, könne man mit mehr taktischer Disziplin, das habe er seiner Elf in der Kabine gesagt – wohl nicht ahnend, wie leicht es Nürnberg den von frustrierenden Vorwochen verunsicherten Hamburgern machen würde.

HSV-Kapitän Rafael van der Vaart, bis vor wenigen Tagen ein Sinnbild der Krise, durfte vor dem zweiten Tor so unbehelligt durch ein preisgegebenes Mittelfeld spazieren wie Lasogga auf halbrechts abschließen durfte – ein eklatantes Puzzleteil aus einer „Summe von Kleinigkeiten, die Spiele entscheiden können“, nannte es Wiesinger. Das war nicht falsch, aber die Kleinigkeiten stapelten sich zu einer derart gewaltigen Masse, dass man sich die Detail-Forschung am Ende ersparen konnte. Diesmal kam Nürnberg nicht zurück, im Gegenteil, und damit war die wichtigste positive Erkenntnis dieser Spielzeit Makulatur. Michael Wiesinger ahnte das; „im Fußball“, sagte er, „kannst du auch schnell wieder die Kurve kriegen“ – es war nicht so gemeint, klang aber ähnlich fatalistisch wie schon manche letzte Trainer-Worte.

Martin Bader sagte nicht viel an diesem Abend, nicht zur Zukunft, zum Trainer auch nicht; „schon aus Respekt vor Michael“, wie er den Nürnberger Nachrichten  in der Nacht sagte. „Michael Wiesinger hat bei uns einen Vertrag“, erklärte der Nürnberger Sportvorstand bloß, man wolle „Verträge mit Leben füllen“, müsse aber „in den Gremien und mit dem Trainer alle Fehler analysieren“ – und „eine Lösung finden“ (Bader). Also feststellen, dass der Tag der Saison eine Wende geben muss? Das, sagte Bader, lasse sich nicht seriös beantworten – nicht so kurz nach einem solchen Erlebnis. Das nannte auch Bader: brutal.

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