Draisaitl und die Ice Tigers: Edmonton statt Nürnberg

19.11.2019, 09:51 Uhr
Draisaitl und die Ice Tigers: Edmonton statt Nürnberg

© Foto: Amber Bracken/dpa

Leon Draisaitl wäre beinahe nach Nürnberg gewechselt. Und das kam so: Im Sommer werden in der besten Eishockeyliga der Welt die größten Talente verteilt, der schlechteste Klub darf als Erster auswählen. Die Florida Panthers entschieden sich für Aaron Ekblad, einen smarten Verteidiger, die Buffalo Sabres riefen Sam Reinhart auf. Dann waren die Edmonton Oilers an der Reihe. William Nylander, ein eleganter Schwede, war noch erhältlich, oder Nikolaj Ehlers, ein unglaublich schneller Däne. Die Oilers aber, dieser dank Wayne Gretzky legendäre Klub aus dem kalten Alberta, entschieden sich für einen großen Jungen aus Köln, dessen Namen ältere Eishockey-Fans in Kanada schon einmal gehört hatten.

Deutschland hatte Team Canada im Viertelfinale der Olympischen Spiele von Albertville in die Verlängerung und ins Penalty-Schießen gezwungen. Zehn Schützen waren im Palais de Glaces Méribel bereits angelaufen, es stand immer noch unentschieden. Dann traf Eric Lindros, der junge Star der Kanadier. Und auch Peter Draisaitl überwand Sean Burke, den Torhüter von Team Canada, der Puck aber blieb auf der Linie liegen.

Die ARD konnte zur Tagesschau umschalten, Deutschland war ausgeschieden – und egal, wo der hochbegabte Peter Draisaitl auftauchte, als Spieler in Köln oder als Trainer in Nürnberg, überall wurde er auf Méribel angesprochen. Mittlerweile muss er nicht mehr über Méribel reden, sondern nur noch über Leon, seinen Sohn, der 22 Jahre später zu den Edmonton Oilers wechseln sollte.

In Deutschland wurde das kaum wahrgenommen, Draft, NHL, Farmteam, in einer Fußballkultur sind das Fremdwörter. Und als Draisaitl nach eher unbefriedigenden 37 Spielen in der NHL zurück in die Juniorenliga geschickt werden sollte, erfüllten allein die Presse-Agenturen ihre Chronisten-Pflicht. Den Edmonton Oilers fehlte es im Herbst 2014 an allem, verlässlichen Verteidigern, tadellosen Torhütern, seriösen Stürmern. Leon Draisaitl konnte da nicht helfen, er war noch zu jung. In die Western Hockey League aber wollte er auch nicht zurück, schon gar nicht nach Kelowna, ein schönes Kaff am Lake Okanagan, aber eben doch ein Kaff.

Steven Reinprecht als Mentor

Draisaitl aber gewöhnte sich ein, ließ sich von Familie Twack verwöhnen und führte die Kelowna Rockets zur WHL-Meisterschaft. "Für meine Entwicklung war das perfekt", sagt er heute, als derzeit bester Eishockey-Spieler der Welt. In der neuen Saison aber schaffte er es nach dem Trainingscamp gar nicht erst in das Aufgebot der Oilers. Der Kölner sollte in der American Hockey League Erfahrungen sammeln, genauer in Bakersfield, einem Kaff, aber immerhin einem Kaff in Kalifornien. Sein Berater suchte trotzdem nach Alternativen und fand eine in Nürnberg. Die Ice Tigers hatten damals um Dany Heatley und David Steckel eine Art Alt-Herren-NHL-Mannschaft zusammengestellt, die von Steven Reinprecht angeführt wurde, einem Stanley Cup-Sieger. Draisaitl hätte von einer vielgepriesenen Führungspersönlichkeit lernen und in der DEL dominieren können. Und wer weiß schon, ob die Ice Tigers auch mit der 20 Jahre jungen Version des wahrscheinlich besten deutschen Eishockeyspielers im Halbfinale an Wolfsburg gescheiterte wären. Draisaitl lag bereits ein Vertrag aus Nürnberg zur Unterschrift vor, während er in Bakersfield seine Unlust auf dem Eis herumfuhr. Aber ehe er unterschreiben konnte, wurde er von den Oilers zurück in die NHL berufen. In seinem ersten Spiel schoss er zwei Tore. Der Rest ist Geschichte.

Und dann doch Nürnberg 

Vier Jahre später führt ein Deutscher die Scorer-Liste der NHL an. In 22 Spielen hat Leon Draisaitl 16 Tore erzielt und 27 weitere vorbereitet, damit drei Punkte mehr gesammelt als sein Kollege Connor McDavid und elf mehr als David Pastrnak aus Boston. Ähnliche Zahlen hat zuletzt ein Spieler aufgelegt, dessen Bronzestatue vor dem Rogers Place in Edmonton steht. Wenn Draisaitl auf Wayne Gretzky angesprochen wird, antwortet er zum Beispiel dem Deutschlandfunk, was man von bescheidenen Superstars erwartet: "Ich weiß, wo ich stehe, aber das Wichtigste ist, wo das Team steht." In Nürnberg hat er trotzdem gespielt, in einem Länderspiel für Deutschland. 

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