Ein Weltmeister aus Erlangen

1.8.2019, 18:00 Uhr
Ein Weltmeister aus Erlangen

© Klaus-Dieter Schreiter

Nein, nicht in Sarasota, Florida, dafür zu Hause im Wohnzimmer. "Wäre ich in den USA gewesen", sagt der Trainer, "dann wäre ich sicher ganz anders nervös gewesen." Zu Hause, vor dem Computermonitor, war es dann kein "Auf- und Abtigern", so Euler, "sondern mehr ein Angespanntsein", als Jonathan Schreiber sich in den Leichtgewichts-Doppelzweier setzte, um sein bereits viertes WM-Finale zu rudern.

"Wenn man da sitzt und das Boot noch festgehalten wird, man auf den Start wartet, geht einem so viel durch den Kopf", sagt Euler, selbst Teilnehmer an drei Olympischen Spielen und zahlreichen Weltmeisterschaften. Vor Ort betreute das Zweier-Team um Schreiber und seinen Hamburger Teamkameraden Eric Magnus Paul Trainer Simon Frank. Ein Lehrer, der hauptamtlich Rudertrainer in Limburg ist. Euler selbst coacht beim Ruderverein Erlangen ehrenamtlich, "wir standen aber in engem Kontakt". Und von Euler kam auch der Tipp, sich nicht wie im vergangenen Jahr in Polen frühzeitig auf einen Sprint einzulassen und am Ende auf Rang drei zurückzufallen. "Diesmal", sagt Euler, "war mein Rat: Fahrt euer eigenes Rennen."

Und so saßen nun beide, Jonathan Schreiber in Sarasota am Start, und Ingo Euler, sein Trainer, in Nürnberg vor dem Computer – die letzte große Chance vor Augen. Kommende Saison muss Schreiber in die offene Klasse wechseln, nach den Rängen 7, 6 und Bronze 2018 sollte es diesmal noch besser werden. Julian Schneider war dem Boot bereits nach Rang drei entwachsen – zwei Tage zu alt war er, um in Sarasota noch einmal für die U 23 zu fahren.

"Druck war schon da", verriet Schreiber gestern, er saß im Zug von Frankfurt nach Erlangen. "Wir hatten gesehen in den Vorläufen, dass wir richtig schnell unterwegs waren. Da wollten wir natürlich wieder eine Medaille – oder vielleicht sogar mehr."

"Als es losging", sagt Ingo Euler, "war nur wichtig, nicht allzu aggressiv anzufahren." Und Jonathan Schreiber beherzigte die Tipps aus der Heimat: Schlag für Schlag fuhr das Deutsche Boot sein Tempo, ungeachtet dessen, was um es herum passierte. "Wenn du so voller Adrenalin bist, kannst du dir vornehmen, was du willst. Du weißt: Es geht jetzt um alles – und da macht man manchmal Fehler, die man dann teuer bezahlt."

Diesmal nicht, diesmal hatten die Italiener irgendwann die Probleme mitzuhalten. "Was mich beeindruckt hat, war das hohe Grundtempo der beiden", so Euler. Diesmal waren es die Italiener, die nach ausgeglichenen 1000 Metern plötzlich sprinten mussten, um den Anschluss nicht zu verlieren. Vergebens: Schreiber und Simon wehrten die Sprintversuche allesamt ab – mit stoischem, kontinuierlich starkem Schlag. Man sah das Boot sich dann Zentimeter für Zentimeter nach vorne schieben, erst war es eine drittel, dann eine halbe Bootslänge Vorsprung. Auf den letzten 500 Metern führten sie deutlich, konterten alle Angriffe und hatten obendrein selbst noch genug Luft für einen satten Endspurt. "Die letzten hundert Meter", sagt Schreiber, "ging gar nichts mehr. Da war ich kaputt, am Ende." Doch es reichte.

"Es ist so wahnsinnig schwer, sich ein Rennen am Limit richtig einzuteilen. Die Körner nicht schon zu früh zu verbraten", sagt Ingo Euler. Das, was Jonathan Schreiber und Eric Magnus Simon in Sarasota am Sonntagvormittag Ortszeit, 17.30 Uhr in Erlangen, ablieferten, "war ein nahezu perfektes Rennen", so Coach Euler.

Der Traum droht zu platzen

"Im Ziel dann ging mir nichts als Erleichterung, es endlich geschafft zu haben, und Glück durch den Kopf", sagt Schreiber. "Für viel mehr war da noch kein Platz. Ich war einfach zu ausgepowert."

Ob letztlich Simon der bessere Teamkamerad war, die Gegner den entscheidenden Hauch schlechter waren, die Windstille und Schwüle mehr Leistung zuließ oder auch das spiegelglatte Wasser – "es ist müßig darüber nachzudenken. Im Rudern gibt es, weil es ein Sport unter freiem Himmel ist, unendlich viele Faktoren", so Euler. Entscheidend aber war vor allem, nicht wie 2018 in die Falle getappt zu sein, zu früh ein zu hohes Tempo gegangen zu sein. Nun, als Juniorenweltmeister, hat Jonathan Schreiber bereits entschieden, nicht am Höhepunkt abzutreten.

Doch der Traum, der große Höhepunkt, die Olympischen Spiele in Tokio, wird er nicht erreichen: In der offenen Klasse kommt ausgerechnet im Leichtgewicht-Doppelzweier der Weltcupsieger und Goldfavorit aus Deutschland. "Da ist die Konkurrenz vermutlich zu stark, sollten die Großen sich nicht verletzen oder plötzlich gewaltig schwächeln", sagt Euler. Das Problem: Bis Paris 2024 wird die Bootsklasse sehr wahrscheinlich aus dem Olympischen Programm verschwinden. "Natürlich ist das unglaublich schade", sagt Jonathan Schreiber. "Es wäre ein realistisches Ziel. Aber so ist es nun mal, da hilft kein Hadern." Der Traum droht also zu platzen.

"So weit denken wir jetzt erst einmal noch nicht", sagt Ingo Euler, der sagt, zu seiner aktiven Zeit hätte ihn Jonathan Schreiber mit großer Sicherheit geschlagen. "Jetzt", sagt Euler, "freuen wir uns erst einmal am Weltmeistertitel."

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