Entspannter als in Nürnberg: Glückt Klopp der große Coup?
01.06.2019, 06:00 Uhr
Man kann sich das im Frühling 2019 kaum vorstellen. Und es mag Menschen geben, die den folgenden Satz drei Tage vor dem Tag, an dem er sich endgültig neben Sepp Herberger, Jupp Heynckes und Ottmar Hitzfeld einordnen könnte, mindestens für Blasphemie halten: Aber an so manchen Tagen konnte Jürgen Klopp ein ziemlicher Idiot sein.
Borussia Dortmund war am zweiten Spieltag der Saison 2012/2013 als Meister und Pokalsieger nach Nürnberg gekommen und Klopp als Lichtgestalt des deutschen Fußballs. Man hatte Tempofußball, Gegenpressing, Tore erwartet, man sah eine Mannschaft, die sich schwertat mit einem cleveren Club, ein 1:1 und einen beleidigten Trainer, der mehr diskutierte als motivierte. "Es war so wie immer", erklärte Klopp danach, "der Dieter möchte für jede Aktion, wo ein Nürnberger liegt, mindestens Freistoß, wenn nicht Elfmeter und dann noch ’ne Karte und da habe ich gesagt, dass das heute leicht überzogen ist." Er sprach dann noch von elf Nürnberger Manndeckern, unterstellte dem Gegner, leicht zu fallen, grinste aber, zwinkerte, zeigte sein damals noch nicht generalüberholtes Lächeln - hey, alles nicht so ernst gemeint. Mit dem Dieter Hecking könne er jederzeit ein Bier trinken gehen. Der Dieter verriet derweil genüsslich, was er seinen Nürnbergern mit auf den Weg gegeben hatte: "In dem Moment, wo Klopp nur noch an der Seitenlinie steht, da habt ihr sie." Das war bereits nach einer Viertelstunde der Fall.
Der Heavy-Metal-Trainer
Emotional zu sein bedeutet eben nicht allein, sich die Pöhler-Mütze vom Kopf zu reißen, zu brüllen, zu umarmen, zu springen. Und Klopp war schon immer emotional, in beiden Ausprägungen. So emotional, dass er immer mal wieder meinte, sich danach dafür entschuldigen zu müssen. Derlei Ausbrüche aber sind seltener geworden, den Idioten gibt es kaum noch, dafür den Strahlemann, der in jeder Situation zu jedem Thema das Richtige zu sagen scheint: Das Erwachen des Rechtspopulismus in Europa? "Wer, mit einem funktionierenden Gehirn, sorgt sich da nicht?" Seine Haartransplantation? "Ja, es ist wahr. Das Resultat ist ziemlich cool, oder nicht?" Der Brexit? "Ich hoffe immer noch, dass jemand am Ende seinen gesunden Menschenverstand einsetzt." Der Unterschied zwischen Arsene Wengers und seinem Stil? "Er hat gerne den Ball. Es ist wie ein Orchester, wenn auch leise. Ich stehe mehr auf Heavy Metal. Ich mag es laut."
Klopp ist der König der Zitatbox, er ist laut, kann aber auch leise, gerade deshalb ist der einstige Prototyp des deutschen Zweitliga-Profis ("Ich hatte Viertliga-Talent und einen Erstliga-Kopf - das musste in der zweiten Liga enden") zu einem Trainer gereift, den jeder Fußballfan gerne an der Seitenlinie seines Vereins ausrasten sähe. Und das, obwohl er den ganz großen Titel noch nicht gewonnen hat.
Brillanz und die große Bühne
Klopp hat mit Dortmund 2013 das Champions-League-Finale gegen Bayern München verloren, in seiner ersten Saison in Liverpool 2016 die Endspiele im Ligapokal (gegen Manchester City) und in der Europa League (gegen Sevilla) und vor einem Jahr wieder in der Champions League gegen Real Madrid. Aber ist es nicht erstaunlicher, dass er am Samstag (20 Uhr/ Sky und DAZN) im Wanda Metropolitano zum dritten Mal die größte aller Bühnen betritt, dass er schon wieder die Chance hat, als dritter deutscher Trainer nach Heynckes und Hitzfeld die Champions League zu gewinnen? "Wie kann man den Weg ignorieren", sagte Klopp zuletzt in einem Interview mit dem Independent. "Unsere Saison ist das beste Beispiel. Wenn man die 97 Punkte sieht, die wir geholt haben, muss man sagen, dass es nicht genug war. Aber tatsächlich war unsere Saison brillant."
In der Premier League ist der FC Liverpool Zweiter geworden, ein Punkt hinter Manchester City. Klopp sagt, dass er deshalb nicht traurig gewesen sei, sondern stolz, dass es wichtigere Dinge gibt als Fußball. Und auch wenn sein Verhalten auf dem Platz diese Aussage noch immer nicht bestätigt, darf man Klopp glauben. Er war 32 Jahre alt, als sein Vater gestorben ist, ein Jahr später wurde er Trainer des FSV Mainz 05. "Das Leben ist ein Geschenk. Wir müssen vorsichtig damit umgehen. Spaß haben. Und manchmal darauf aufpassen", rät Klopp und sagt: "Mein Leben ist so viel besser als ich das erwartet habe, warum sollte ich mich also um die letzten fünf Prozent kümmern? Das wäre dumm. Aber: Pep Guardiola gewinnt immer, ich gar nichts. Come on!" Sollte Liverpool in Madrid auch gegen Tottenham Hotspur verlieren, wird Klopp nach Hause gehen, zu seiner "wunderbaren Familie. Ich bin ein durchweg glücklicher Mensch."
"Aber ich bin wirklich kein Idiot"
Vielleicht ist das der Unterschied zwischen dem Klopp aus dem Frankenstadion und dem Klopp, der nach dem sensationellen Halbfinale gegen Barcelona Arm in Arm mit seinen Spielern in Liverpool vor dem Kop stand und "You’ll never walk alone" sang. "Ich bin nicht die klügste Person der Welt", stellte er kürzlich fest, "aber ich bin wirklich kein Idiot."
Keine Kommentare
Um selbst einen Kommentar abgeben zu können, müssen Sie sich einloggen oder sich vorher registrieren.
0/1000 Zeichen