Großer Überblick

Starspieler, Blöcke und starke Kollektive: Das sind die Top-Favoriten auf den EM-Titel 2024

Johannes Lenz

Nordbayern-Redaktion

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13.6.2024, 19:24 Uhr
Wer darf am Ende des Turniers jubeln?

© IMAGO / Collage Nordbayern.de Wer darf am Ende des Turniers jubeln?

24 Mannschaften haben sich für die Endrunde der Fußball-Europameisterschaft qualifiziert, doch nur ein Land kann am Ende triumphieren. Die brennende Frage, die sich Fußballfans aus aller Welt stellen, lautet: Welche Nation stemmt die begehrte Trophäe, den "Coupe Henri Delaunay", am Ende in die Höhe? Wie vor jedem sportlichen Großereignis gibt es schon vor dem ersten Spiel eindeutige Favoriten auf den Titel. Wir haben uns die fünf vielversprechendsten Länderauswahlen genauer angesehen und versucht, ihre Siegchancen einzuordnen.

England

Die Engländer begleiten bei großen Turnieren meist die Rolle der tragischen Helden. Obwohl die "Three Lions" fast bei jeder Europameisterschaft zumindest zum erweiterten Favoritenkreis zählten, konnten sie die Trophäe noch nie gewinnen. Bei der letzten EM war England ganz nahe dran am großen Wurf, doch im Finale scheiterte die Mannschaft gegen Italien dramatisch im Elfmeterschießen.

Das spricht für den Titelgewinn: Die englische Nationalelf ist individuell herausragend besetzt, laut "Transfermarkt" verfügen die "Three Lions" über den höchsten Kaderwert. Außerdem verfügt der englische EM-Kader über eine interessante Altersstruktur: England stellt die drittjüngste Mannschaft des Turniers - verfügt aber neben den vielen Jungstars auch über erfahrene "Haudegen" wie Kyle Walker (34), Kieran Trippier (33) oder Harry Kane (30). Mit dieser Mischung aus Unbekümmertheit und Erfahrung kann es für England weit gehen.

Das spricht gegen den Titelgewinn: Ausgerechnet vor der EM stecken die Engländer in einer Ergebnis-Krise: von den letzten fünf Länderspielen gewann die Mannschaft von Trainer Southgate nur eine Partie, das letzte Testspiel vor der EM verlor England mit 0:1 gegen das nicht qualifizierte Island. Möglicherweise ist die Mannschaft aufgrund der jüngsten Negativerlebnisse nicht in der besten mentalen Verfassung. Hinzu kommt die gigantische Erwartungshaltung im eigenen Land - die Fans wissen um den Favoritenstatus ihrer Elf und lechzen nach dem ersten EM-Titel.

Fazit: Auf der Mannschaft liegt ein hoher Erfolgsdruck, besonders die vielen jungen Spieler könnten damit Probleme bekommen. Dennoch stellt England - zumindest auf dem Papier - eine der stärksten Auswahlen des Turniers und ist deshalb ein absoluter Top-Favorit auf den Titel.

Frankreich

Genau wie England gehört Frankreich bei jedem internationalen Turnier zum Kreis der Titelanwärter. Doch im Gegensatz zu den Briten können die Franzosen bereits zwei EM-Titel vorweisen. Der letzte Triumph lieg allerdings schon einige Zeit zurück: Im Jahr 2000 wurde die "Équipe Tricolore" zuletzt Europameister.

Das spricht für den Titelgewinn: In der Nationalmannschaft trainieren die Spieler nur wenige Tage im Jahr zusammen. Einen großen Vorteil haben deshalb die Nationen, die über sogenannte "Blöcke" im Kader verfügen. Diese bestehen aus Spielern, die auch auf Vereinsebene zusammenspielen und deshalb wissen, wie sich ihre Teamkollegen auf dem Platz verhalten. Frankreich verfügt gleich über mehrere dieser Blöcke: Fünf Akteure sind für den Landesmeister Paris Saint-Germain aktiv, jeweils drei spielen bei Real Madrid und dem AC Milan. Diese Eingespieltheit könnte sich für Frankreich als entscheidender Trumpf im Turnier erweisen.

Das spricht gegen den Titelgewinn: Aus dem Kollektiv hochklassiger Spieler, über das Frankreich verfügt, ragt Kylian Mbappé noch einmal heraus. Doch der 25-Jährige hat eine schwere Saison hinter sich, bei Paris Saint-Germain war er nicht immer gesetzt. Grund dafür ist sein bereits vor der vergangenen Saison mehrfach geäußerter Wechselwunsch zu Real Madrid, der ihm großen Ärger mit den Vereinsbossen einhandelte. Auch wenn Mbappé Torschützenkönig der Ligue 1 wurde, blieb er in den wichtigen Spielen in der Champions League oder bei der Nationalelf zuletzt oft blass. Da das Spiel der "Bleus" stark von Mbappé und dessen Tempoläufen abhängt, könnte sich seine Verfassung für die französische Elf zum Nachteil auswirken.

Fazit: Frankreich verfügt über eine eingespielte und individuell top besetzte Mannschaft. Gelingt es den Unterschiedsspielern wie Mbappé während des Turniers, ihr ganzes Können abzurufen, ist die "Équipe Tricolore" eine der größten Anwärterinnen auf den EM-Titel.

Portugal

Die Iberer haben 2016 erstmals die Europameisterschaft gewonnen - und keiner wusste so genau, wie: In der Gruppenphase holten die Portugiesen nur drei Unentschieden, qualifizierten sich dennoch als Dritter für das Achtelfinale und bissen sich mit knappen Ergebnissen bis ins Finale durch, wo sie Gastgeber Frankreich sensationell mit 1:0 in der Verlängerung bezwangen. Auch bei dieser EM ist mit Portugal zu rechnen.

Das spricht für den Titelgewinn: Als einziger Nation ist Portugal die perfekte Qualifikation zur Europameisterschaft gelungen - mit zehn Siegen aus zehn Partien. Dabei stellten die Portugiesen den besten Angriff (36 Treffer) und die beste Abwehr (2 Gegentore) der gesamten EM-Quali. Von den fünf Testspielen nach der Qualifikation verloren die Iberer nur eines (1:2 gegen Kroatien), entsprechend breit ist die Brust, mit der sie zum Turnier nach Deutschland reisen.

Das spricht gegen den Titelgewinn: Obwohl Cristiano Ronaldo längst im Herbst seiner Karriere angelangt ist, spielt er in der portugiesischen Nationalmannschaft immer noch eine zentrale Rolle. Dabei ist der 39-Jährige inzwischen bei Al-Nassr in der saudischen Liga aktiv, deren Niveau längst nicht mit dem europäischen Spitzenfußball konkurrieren kann. Fraglich ist demnach, ob der - aller Voraussicht nach gesetzte - Mittelstürmer gegen die Topnationen Europas immer noch ausreichend Torgefahr versprüht, um seine Mannschaft zum Titel zu schießen. Viele Alternativen hat Portugal im Sturmzentrum nicht - zudem sind João Félix (FC Barcelona) und Gonçalo Ramos (Paris SG) keine Stammspieler bei ihren Klubs.

Fazit: Auch wenn unklar ist, ob Portugal im Sturmzentrum gegen die großen Nationen stark genug besetzt ist, könnten Ronaldo & Co. weit kommen. Viele Spieler stehen bei großen europäischen Vereinen unter Vertrag und sind dort absolute Leistungsträger, außerdem dürfte die Mannschaft nach der starken Qualifikationsrunde mit viel Selbstvertrauen auftreten.

Deutschland

Gemeinsam mit Spanien ist Deutschland Rekordsieger der Europameisterschaft, bereits dreimal gewann die DFB-Elf den Pokal. Nach teils extrem schwachen Vorstellungen im vergangenen Jahr kehrte die Nationalelf in den letzten Testspielen wieder in die Erfolgsspur zurück.

Das spricht für den Titelgewinn: Nach anfänglichen Experimenten mit einer Dreier-Abwehrkette, die teils gehörig schiefgingen, kehrte Julian Nagelsmann für die Testspiele im März wieder zur altbewährten Viererkette zurück. Mit Erfolg: Gegen Frankreich (1:0) und die Niederlande (2:1) gelangen der DFB-Elf nicht nur zwei Siege gegen zwei europäische Spitzennationen, der Fußball wurde auch wieder deutlich attraktiver. Mit der Sicherheit eines etablierten Systems, der Rückkehr von Mittelfeldstratege Toni Kroos und dem nicht zu unterschätzenden Heimvorteil kann die deutsche Nationalmannschaft um den Titel mitspielen.

Das spricht gegen den Titelgewinn: Die deutsche Mannschaft ist mit durchschnittlich 28,5 Jahren die älteste des Turniers. Man könnte meinen, Julian Nagelsmann setzt vermehrt auf Erfahrung - doch das stimmt nur bedingt. Viele Akteure, die der Bundestrainer für die EM nominiert hat, feierten erst in den vergangenen Monaten ihr Debüt bei der Nationalelf und verfügen über entsprechend wenig internationale Erfahrung. Zudem besteht die Gefahr, dass der Mannschaftskern zu instabil ist, um bei der EM gegen die anderen Schwergewichte zu bestehen - möglicherweise war die Vorbereitung auf das Turnier zu lange von Experimenten und Personalrochaden geprägt.

Fazit: Die deutsche Mannschaft ist nominell zumindest in der Breite längst nicht so stark besetzt wie bei den letzten Turnieren, obendrein fehlt es vielen Spielern an internationaler Erfahrung. Viel wird davon abhängen, ob es der DFB-Elf gelingt, die bislang überschaubare Euphorie im Land durch gute Leistungen in den ersten Spielen anzufachen. Gelingt das, könnte sich der Heimvorteil vollends entfalten und die Mannschaft weiter tragen, als der Kader es auf dem Papier vermuten lässt - zumindest zum erweiterten Favoritenkreis ist Deutschland deshalb zu zählen.

Spanien

Zwischen 2008 und 2012 war Spanien das fußballerische Maß aller Dinge, doch die Dauer-Dominanz des Tiki-Taka ist längst gebrochen. Seit dem Rücktritt prägender Spieler wie Xavi, Iniesta oder Fernando Torres ist ein Umbruch im Gange. Der scheint langsam zu greifen - auch dank der herausragenden Jugendarbeit im Land.

Das spricht für den Titelgewinn: Im Gegensatz zu Turnieren der jüngeren Vergangenheit verfügt Spanien nur noch über wenige ganz große Stars, die alles überstrahlen. Dafür ist das Leistungsniveau in der Mannschaft auf hohem Niveau ausgeglichen, was eine hohe Breite im Kader zur Folge hat. Sollte sich ein Spieler verletzen oder sich außer Form befinden, können die Spanier reagieren, ohne merklich an Qualität einzubüßen - ein Umstand, der in einem langen Turnier von entscheidendem Vorteil sein kann.

Das spricht gegen den Titelgewinn: Beim letzten EM-Triumph 2012 war David Silva der einzige Spieler in Spaniens Final-Startelf, der nicht beim FC Barcelona oder Real Madrid unter Vertrag stand. Die Mannschaft war damals nicht nur extrem eingespielt, die Akteure waren auch allesamt auf höchstem Vereinsniveau aktiv. Bei der diesjährigen EM ist es wahrscheinlich, dass Spieler aus mindestens acht verschiedenen Vereinen in der Startelf stehen werden. Die Mannschaft ist daher nicht annähernd so fein aufeinander abgestimmt wie noch vor zwölf Jahren - und verfügt im Vergleich zu den meisten anderen Topnationen kaum über eingespielte Achsen im Kader.

Fazit: Der defensive Mittelfeldspieler Rodri ist der einzige absolute Weltklassespieler in Spaniens EM-Aufgebot, für individuelle Highlights dürften vor allem Nachwuchsstars wie Pedri (21) oder Lamine Yamal (16) sorgen. Im Vergleich zu vergangenen Turnieren spielt der Großteil des Kaders nicht mehr bei internationalen Spitzenklubs, dafür ist das Leistungsniveau ausgeglichen. Das dürfte den Spaniern vor allem in engen Spielen einen langen Atem verleihen, da sie auf jeder Position adäquat wechseln können. Auch wenn England, Frankreich und Portugal der "Furia Roja" individuell überlegen sind, sollte man sie zumindest im erweiterten Favoritenkreis auf dem Zettel haben.

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