Gewalt im Fußball: Dramatische Zahlen als Schreckgespenst

22.11.2012, 08:19 Uhr
Auch durch Polizei-Einsätze wurden 2011 teilweise Fußball-Fans verletzt.

© Fabian Fuchs (dpa) Auch durch Polizei-Einsätze wurden 2011 teilweise Fußball-Fans verletzt.

Die Zahlen der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) scheinen eindeutig: 1.142 Menschen wurden 2011/2012 bei Fußballspielen der 1. und 2. Bundesliga verletzt. Die Zahl der Verletzten setzt  sich zusammen aus 514 sogenannten "Störern“, 235 Polizisten und 393 Unbeteiligten. Das geht aus dem Jahresbericht hervor, den die ZIS am Montag veröffentlichte.

2010/2011 lag die Zahl der Verletzten noch bei 846. Zudem sei die Anzahl der gewaltbereiten Fans von Vereinen der 1. und 2. Bundesliga von 9.685 auf 11.373 gestiegen – 2.893 von ihnen seien "gewaltsuchend“ (Kategorie C), 8480 neigten zumindest zur Gewalt (Kategorie B). Nach einer Tabelle der "Bild“-Zeitung entfallen in beiden Kategorien auf den 1. FC Nürnberg insgesamt 480 Fans, der Club liegt damit auf Rang 7. Die SpVgg Greuther Fürth habe insgesamt 60 solcher Anhänger (Platz 33).

Was auch immer an der "Bild"-Tabelle dran ist: Die Zahlen der ZIS waren Wasser auf die Mühlen der Politik, die immer wieder von den Vereinen eine härtere Gangart gegenüber Fußballfans fordert. "Die dramatisch steigenden Zahlen verdeutlichen, dass die Liga entschlossen handeln muss", hieß es beispielsweise von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU).

Doch derartige Zahlenspiele erfordern auch, dass man sich mit ihnen genau auseinandersetzt. 1.142 Verletzte bei Fußballspielen mögen 1.142 zu viel sein. Doch die insgesamt 612 Partien der 1. und 2. Bundesliga besuchten 2011/2012 insgesamt 18,7 Millionen Menschen. Durchschnittlich gibt es pro Spieltag 1,6 Verletzte.

Interessant ist auch ein Vergleich mit dem Münchner Oktoberfest. In nur 17 Tagen besuchten 2012 rund 6,4 Millionen Menschen die „Wiesn“. Die offizielle Polizeistatistik weist hier 439 Anzeigen wegen Körperverletzung und 119 Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung aus – insgesamt also 558 angezeigte Delikte in nur zweieinhalb Wochen.

Zudem macht die ZIS keine Aussage darüber, wie die Verletzungen zustandekommen. Beispielsweise wurden beim Bundesliga-Spiel zwischen Hannover 96 und dem FC Bayern München in der Saison 2011/2012 bei einem Polizeieinsatz 36 Menschen verletzt – entsprechende Zahlen waren auch überall in den Medien zu lesen. Die meisten von ihnen hätten die Blessuren jedoch durch den Pfefferspray-Einsatz der Polizei erlitten, klagten die Fans nach dem Spiel. Im Bericht der ZIS heißt es dazu lapidar: „Weitergehende Erkenntnisse über den Grad der Verletzungen und deren Ursachen liegen nicht vor.“

Mit Blick auf Beispiele wie diese verliert die Debatte um Gewalt in den Stadien einen Großteil ihrer Schärfe. Entsprechend waren die Verbände am Montag bemüht, die Bedeutung der Zahlen - im Gegensatz zu manchen Medien - nicht zu hoch zu hängen. „Bei der Suche nach Lösungen helfen weder Dramatisierungen noch Verharmlosungen. Wir brauchen eine Versachlichung der Diskussion“, hieß es etwa in einer Stellungnahme der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Die Liga entscheidet am 12. Dezember über ihr umstrittenes neues Konzept zur Erhöhung der Sicherheit in den Stadien.

Auch Fanvertreter und Fanprojekte wiesen in den vergangenen Wochen immer wieder darauf hin, dass derartige Zahlenspiele in ihren Augen noch lange keinen Anstieg der Gewalt bedeuten. „Der Hype ist lächerlich, die Gewaltszenarien sind so nicht belegbar“, sagte Heino Hassler, Chef des Fanprojekts Nürnberg, schon vor Wochen unserer Online-Redaktion.

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