"Große Ansagen machen wir nicht"

31.8.2018, 16:06 Uhr

Herr Schneider, Herr Schreiber, gemeinsam sind Sie im kleinstmöglichen Team erfolgreich. Sind Sie ein untrennbares Duo?

Jonathan Schreiber: Inzwischen kennen wir uns schon lange. Das erste Mal zusammen gerudert sind wir 2014. Seitdem saßen wir jedes Jahr in einem Boot, waren auf unzähligen Trainingslagern zusammen. Klar, sind wir auch gut befreundet.

 

Wie haben Sie sich kennen gelernt? 2014, Herr Schreiber, waren Sie ja noch gar nicht in Erlangen.

Schreiber: Da war ich noch in Regensburg. Zu Beginn ging es auch nur um die Leistung. Ingo (Euler, der Erlanger Coach, d. Red.) hat bei meinem damaligen Trainer angefragt. Also haben wir uns zusammen ins Boot gesetzt und gemerkt, dass das ganz schön schnell sein kann. (lacht) Danach haben wir das erste Jahr intensiver trainiert, auch im Zweier, für die Deutschen Meisterschaften. Da haben wir dann auch gewonnen.

Julian Schneider: Im Jugend-Bereich sind wir zweimal Deutscher Meister geworden. Auch außerhalb des Bootes haben wir uns gut verstanden, wir sind sehr gute Freunde geworden. 2015 bin ich weggezogen aus Erlangen, Joni ist nach Erlangen gekommen. Trotzdem hat man sich oft gesehen. Im vergangenen Jahr sind wir wieder zusammen ins Boot gekommen. Ich habe mich damals schon gefreut, wieder mit Joni zu fahren. Einfach, weil es erfahrungsgemäß ein guter Zweier ist.

 

Merkt man schnell, dass es passt?

Schreiber: Eigentlich ist es Bauchgefühl. Häufig hapert’s am Anfang überall, man muss sich aufeinander einstellen. Doch man merkt, ob man mit dem anderen klar kommt. Man kann verschiedene Techniken fahren, es gibt extreme Abweichungen, auch in Deutschland. Deshalb muss man einen gemeinsamen Nenner finden, einer muss sich umstellen, sich auf Neues einlassen.

Schneider: Das sind alles Erfahrungswerte. Man sammelt die in den verschiedenen Booten, die man gefahren ist. Auf Anhieb funktioniert es natürlich nicht. Doch man weiß, ob es von der Grundidee zusammen passt. Man muss einander vertrauen.

 

Hat das Alter eine Rolle gespielt?

Schneider: Nein. Man respektiert den anderen Sportler. Wenn er schneller ist als ich, ist er schneller als ich. Joni war und ist schneller als ich. Da ist es eher eine Ehre für mich, wenn er mit mir fährt. (beide lachen)

 

Sind Sie vom Typ her verschieden?

Schneider: Schwierig. Joni ist ziemlich ruhig und gelassen. Das ist eine seiner Stärken. Er bleibt cool und kann so seine Leistung abrufen.

 

Sie nicht?

Schneider: Schon. Doch seine Ruhe hat auf mich einen positiven Einfluss. Im Einer bin ich normal aber auch nicht so fest.

 

Fest?

Schneider: Das sagt man im Rudersport immer. Wenn jemand fest ist, dann ist er schon vorher extrem aufgeregt und angespannt, macht sich viele Gedanken und kann seine Leistung nicht abrufen. Das sind die "Festis".

Schreiber: Wir ergänzen uns da ganz gut. Wir würden uns auch nicht verstehen, wenn wir identisch wären. Ein paar Gegensätze sind gut.

Schneider: Wenn etwas nicht passt, wenn jemand etwas fühlt im Boot, sagen wir das aber beide.

Schreiber: Bei uns beim Rudern ist Vieles auch selbstverständlich. Wir steigen ein und es funktioniert irgendwie, so war es schon immer. Nur der Feinschliff hat gefehlt. Wir müssen uns nicht gegenseitig motivieren. Wir wissen, der andere ist genauso motiviert und begeistert dabei, wie man selbst. Es läuft einfach.

Schneider: Von Herbst bis ins Frühjahr sind wir im Einer unterwegs. Jeder weiß, wie er im Einer schnell rudern kann. Wenn die Mannschaften vom Verband selektiert werden, geht es darum, es zusammenzubringen.

Schreiber: Im Zweier kann man sehr gut ins Diskutieren kommen.

 

Das heißt, Sie beide diskutieren zu Saisonbeginn viel?

Schreiber: Eigentlich bis zur WM.

Schneider: Die ganze Zeit.

 

Die ganze Zeit?

Schneider: Es ist ein Austausch. Wir streiten nicht. Was ich gut fand: In der Vorbereitung auf die Weltmeisterschaft haben wir viel darüber geredet, wie es sich anfühlt, wie wollen wir rudern, was können wir machen, damit es besser wird? Die Diskussion bleibt am Leben bis zum finalen Rennen.

 

Gibt es für den Austausch Zeitfenster oder geht das den ganzen Tag?

Schreiber: Es fängt an, sobald man ins Boot steigt und rudert. Da hat man das Gespür dafür. Der Trainer sieht das dann noch einmal von Außen, das ist auch praktisch. Wir sehen ja nicht wirklich, was wir machen. Nach dem Training gibt es Videoanalysen. Es ist ein durchgehender Prozess.

 

Sind Sie viel in Kontakt? Sie trainieren ja in zwei verschiedenen Städten.

Schneider: Dieses Jahr waren wir oft unterwegs, ich war mit dem Erlanger Ruderverein im Trainingslager, Joni war bei meinem Verein dabei. Als sich herauskristallisiert hat, dass der Zweier wieder eine Option ist, haben wir jedes Wochenende, wenn nicht sogar mehr, zusammen trainiert. Ich war ziemlich viel hier. Im Trainingslager ist man immer beieinander, permanent, Tag und Nacht.

Schreiber: Wenn man zu viel übers Rudern redet, kommt man allerdings auch nicht voran.

Schneider: Das Angenehme ist, dass wir auch viele andere Themen haben, über die wir sprechen.

 

Was zum Beispiel? Verfolgen Sie die gleichen Fernsehserien?

Schneider: Ja, auch. Im Trainingslager schaut man die zusammen. Wir unternehmen aber auch etwas, gehen auf Partys. Es gibt Leute, die gemeinsam im Zweier fahren, sich sonst aber aus dem Weg gehen, an freien Nachmittagen im Trainingslager macht jeder für sich etwas. Wir haben in drei Wochen Trainingslager keinen freien Nachmittag alleine verbracht. Ich habe nicht das Bedürfnis nach einer Auszeit. Wir sind zusammen ans Meer gefahren oder in die Stadt gegangen. Ich denke einfach, dass wir uns nicht so schnell auf die Nerven gehen.

Schreiber: Ja. (lacht)

 

Herr Schneider, Sie sind fürs Rudern in eine andere Stadt gezogen. War das der richtige Schritt?

Schneider: Ja, war es. Ich glaube, man muss sich immer weiterentwickeln. Ich bin seit meiner Kindheit hier in Erlangen gerudert, wurde früh von Ingo übernommen, hatte mit ihm gute Erfolge. Es hat mich menschlich weiter gebracht, etwas Anderes zu sehen und alleine zu wohnen. Im Rudern habe ich auch eine andere Perspektive kennen gelernt. Ich war in Mainz zwei Jahre lang, im Herbst bin ich nach Frankfurt gewechselt.

 

Warum?

Schneider: Es gab ein paar Differenzen mit dem Trainer in Mainz.

 

Sie kamen mit ihm nicht klar.

Schneider: Ja. Es hat nicht funktioniert. Ich wollte mich nicht so behandeln lassen, wie er mich behandeln wollte. Ich hatte die Option: Entweder ich tanze nach seiner Pfeife oder ich fliege aus der Trainingsgruppe raus. Dann war für mich die Entscheidung klar, dass ich mir etwas Neues suche. Da wurde ich von Ingo sehr unterstützt. In Frankfurt habe ich etwas Gutes gefunden.

 

Wie wichtig ist Ingo Euler für Sie?

Schreiber: Er ist der Hauptangelpunkt. Julian hat er die Grundausbildung gegeben und ihn ziemlich weit geführt. Als er bei Ingo trainiert hat, ist es nur knapp an einer WM-Teilnahme gescheitert. Mich hat Ingo trainiert bis zu den Weltmeisterschaften.

Schneider: Ingo ist einer der großen, treibenden Kräfte, die den Leistungssport hier voranbringen. Er war dreimal bei Olympia im leichten Doppelzweier, hat unglaubliche Erfahrungswerte. Er weiß, wie man schnell rudert. Er weiß, was er gemacht hat, um schnell zu werden. Davon können wir lernen. Es ist immer wieder faszinierend, wenn man mit Ingo auf internationalen Turnieren ist: Man läuft mit ihm über den Regatta-Platz und er trifft auf einer Strecke von 500 Metern 20 Leute, die ihn kennen.

 

Ist er ein Vorbild für Sie?

Schneider: Sein Wort hat großes Gewicht. Vor seiner Leistung hat man großen Respekt.

Schreiber: Vorbild? Damit tue ich mich immer schwer. Ich habe mir nie jemanden rausgesucht, weil ich so sein wollte wie er. Es ist eher wie Julian sagt. Man vertraut Ingo bei seinen Entscheidungen.

 

Zuletzt waren Sie in Shanghai.

Schneider: Richtig, bei den World University Championships, ein mega cooles Event. Die Atmosphäre war entspannter, es ging auch um das Zwischenmenschliche.

 

Wie war es dort?

Schreiber: Heiß und schwül. Es war ziemlich unangenehm, dort Sport zu machen. Wie in der Sauna.

Schneider: Da es nicht unser Saisonhöhepunkt war, hatten wir aber keinen Druck.

 

Sonst spüren Sie sicher großen Druck, für Deutschland eine Medaille holen zu müssen.

Schreiber: Wir haben uns selbst nie groß Druck gemacht, dass eine Medaille her muss oder ein Erfolg. Der Ehrgeiz aber war immer da.

 

Erwartet der Verband nicht Erfolge von Ihnen?

Schreiber: Wir sind im vergangenen Jahr bei der WM Sechster geworden. Jetzt haben wir uns gesagt: Das Finale ist ein gutes Ziel. Ab da ist alles offen. Auch wenn man nominiert ist für die Deutsche Nationalmannschaft, heißt das noch nicht, dass man für eine Medaille prädestiniert ist.

Schneider: Die Medaillenbilanz ist natürlich etwas, an dem man den Verband misst. Prinzipiell geht es trotzdem erst einmal darum, seine persönlich beste Leistung abzurufen. Wenn man knapp Vierter wird und ist das beste Rennen seines Lebens gefahren, kann man zufrieden sein. Vor allem im Leichtgewichts-Rudern im Doppelzweier ist es wirklich so, dass zwölf Teams ins Finale fahren können (sechs Boote schaffen es, d. Red). Und dann waren es mega knappe Rennen.

 

Wie geht es für Sie weiter?

Schneider: Mit Prognosen tue ich mich schwer. Wir leben im Moment, da sind wir uns sehr ähnlich. Solange ich Zeit habe mit der Uni, ich bin jetzt im vierten Semester, und solange es mir Spaß macht, rudere ich weiter.

Schreiber: Wenn wir auf dem gleichen Niveau weiter rudern wie in diesem Jahr, könnten wir uns entscheiden, ob wir den Doppelvierer in der offenen Klasse fahren wollen, oder ich könnte weiter in der U23 fahren. Das ist bis zum Frühjahr offen.

Schneider: Es gibt viele Variablen, die man nicht berechnen kann. Beeinflussen kann man die eigene Leistung.

 

Wurmt es Sie, dass Jonathan Schreiber schneller ist?

Schneider: Nein. Joni war in diesem Jahr Erster, ich war Zweiter. Er war jetzt nicht super weit vorne. Doch das gönne ich ihm. Und am Ende waren wir eine Mannschaft. Da freut es mich natürlich, wenn er schnell ist. (lacht)

 

Wo soll es für Sie hingehen im Rudern? Das große Ziel Olympia?

Schneider: Olympia ist der größte Wettkampf, den man bei uns erreichen kann. Unter den Ruderern gibt es gerade aber eine große Diskussion, ob nach 2020 die Leichtgewichtsklasse bei Olympia abgeschafft wird. Deswegen sieht es eher so aus, dass für uns die letzte Möglichkeit 2020 wäre. Das ist in zwei Jahren. Ich komme gerade aus der Nachwuchsklasse raus, Joni ist dort noch ein Jahr. Ich denke lieber: Ich gebe mein Bestes, und sehe, wo es mich hinführt.

Schreiber: Man muss bedenken, es gibt zwei Plätze für Olympia in unserer Klasse. Dieses Jahr waren in der Individualleistung vier Leute vor mir. Es wäre überheblich zu sagen, man will bei Olympia mitfahren, oder allein zu sagen, das wäre ein Ziel. Ich meine, ich werde weiter Leistungssport betreiben, da will ich immer der Beste sein. Doch sich so ein hohes Ziel zu setzen, das ist utopisch.

Schneider: Es wäre arrogant zu behaupten: "Olympia in zwei Jahren, da bin ich dabei." So große Ansagen zu machen, ist nicht unsere Art.

 

Warum investieren Sie dann so viel Zeit in diesen Sport?

Schreiber: Weil wir Spaß daran haben.

Schneider: Das Rudern besteht aus mehr als einem Wettkampf X, auf den ich zwei Jahre lang hin trainiere. Es besteht aus tollen Erfahrungen, Freunden, Wettkämpfen, in denen man viel erlebt. Man rudert nicht nur, um in eine Medaille zu holen.

Schreiber: Man kommt herum, lernt so viele Leute kennen. Jetzt im Trainingslager waren wir mit 60 . . .

Schneider: 67.

Schreiber: . . . 67 Leuten zusammen, die zwar alle rudern, aber auch alle etwas Anderes studieren. Das war toll.

Schneider: Es soll nicht so klingen, dass wir uns nicht freuen, wenn wir gewinnen. Doch es ist mehr als das.

Keine Kommentare