2:5 gegen Kanada

Eishockey-WM: Finale verloren, Silber und Sympathien gewonnen

Sebastian Böhm

Sportredaktion

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28.5.2023, 21:13 Uhr
Kanada jubelt, Torhüter Mathias Niederberger versucht, sich zu sammeln.

© Pavel Golovkin, dpa Kanada jubelt, Torhüter Mathias Niederberger versucht, sich zu sammeln.

2018 schrieb sie das Silbermärchen, dass bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang keine NHL-Profis teilgenommen hatten, wird nicht immer erwähnt. 1976 bekam sie in Innsbruck die Bronzemedaille, noch heute versuchen Mathematik-Studenten auszurechnen, wie das hat möglich sein können. 1953 gab es WM-Silber in der Schweiz, von vier teilnehmenden Mannschaften beendeten nur drei das Turnier. 1930 holte sie bei der ersten echten Weltmeisterschaft im Berliner Sportpalast Silber – nach einem Turnier, das in Frankreich begonnen hatte, wegen Tauwetter aber nach Deutschland verlegt werden musste.

Warum beginnt dieser Text mit der langen Zusammenfassung der kurzen Erfolgsgeschichte des deutschen Eishockeys? Weil die Nationalmannschaft 93 Jahre nach dem Finale von Berlin wieder in einem WM-Finale stand. Wieder ging es gegen Kanada. Diesmal gab es kein 1:6. Verloren hat Deutschland trotzdem.

"Die fegen wir weg"

Es hat nicht gereicht. Bis zum letzten Bully mobilisierte Deutschland noch einmal die letzten Reserven, weil Kanada im Schlussdrittel aber stabiler spielte und effizienter angriff, ging dieses erste WM-Finale seit 1930 mit 2:5 (1:1, 1:1, 0:2) verloren. Deutschland aber hat im finnischen Tampere nicht verloren, sondern eine historische Silbermedaille und die Sympathien vieler neuer Eishockey-Fans gewonnen.

Möglich hatten das am Samstagabend Marcel Noebels und Freddie Tiffels gemacht: Der Berliner Spielmacher glich das oftmals einseitige Halbfinalspiel gegen die USA 83 Sekunden vor Ende der regulären Spielzeit aus, als sich die Spieler gedanklich mit dem Penalty-Schießen vertraut machten, flog der künftige Berliner übers Eis, tanzte zwei Gegenspieler aus und überwand Goalie Casey DeSmith mit einem perfekten Schuss ins Kreuzeck (68. Minute). "Diese Medaille ist historisch. Wer jetzt kein Eishockey-Fan ist", stellte Noebels danach trocken fest, "der muss sich schämen. Das sage ich ganz laut."

Was für ein Treffer: Frederik Tiffels schießt Deutschland ins Finale.

Was für ein Treffer: Frederik Tiffels schießt Deutschland ins Finale. © Pavel Golovkin, dpa

Es war den deutschen Spielern, von denen mit JJ Peterka, Moritz Seider und Nico Sturm nur drei in der National Hockey League aktiv sind, bewusst, welch große Chance sie da genutzt hatten. Und welch große Chance sich ihnen am Sonntag noch bieten sollte. "Die fegen wir weg", hatte Verteidiger Jonas Müller prophezeit. "Die" ließen sich dann doch nicht ganz so leicht wegfegen. Zur Wahrheit gehört, dass aus der aktuellen kanadischen Auswahl alleine Abwehrspieler Mackenzie Weegar die Chance hätte, in einem bestbesetzten Team dabei zu sein. Und zur Wahrheit gehört auch, dass sich Kanada im Halbfinale gegen den tapferen Letten (am Sonntag Bronzemedaillengewinner nach einem 4:3 nach Verlängerung im Spiel um Platz drei gegen die USA) eher glücklich durchgesetzt hatte. Kanada hat aber nicht umsonst über die Jahrzehnte 27 WM-Titel gesammelt. Zur Erinnerung: Deutschland hatte zwei Silbermedaillen geholt - 1930 und 1953.

Ein Ex-Nürnberger trifft

Deutschland ging aber in Führung. Der herausragende Peterka nahm einen famosen Pass von Seider auf der blauen Linie auf und überwand Samuel Montembeault im kanadischen Tor (8. Minute). Mit dem ersten flüssigen Angriff glich Sammy Blais aber schon wenig später aus (11.). Die Mannschaft von Harold Kreis war dem ewigen Favoriten trotzdem gleichwertig. Kanada aber ließ auch dank seiner großen und schweren Abwehrspieler immer weniger zu. Es brauchte die Einzelleistung eines Stürmers, der erst in Nürnberg zeigte, welch vielseitiger Scorer er sein kann: Daniel Fischbuch (zuletzt Düsseldorf, künftig Mannheim) nahm einen Pass direkt ab und brachte sein Team wieder in Führung (34.).

Auf der Gegenseite aber nutzte Lawson Crouse bereits das erste kanadische Power-Play zum erneuten Ausgleich (38.). Für das Schlussdrittel wirkte Deutschland bereit - physisch und psychisch. Kanada hatte in diesem Turnier in den dritten 20 Minuten aber schon 15 Tore geschossen und nur drei kassiert. Und so war es erneut Blais, der den Puck mit der Rückhand unter das Dach des deutschen Tores schickte (45.). Bei einer der wenigen Chancen wischte Noebels über den Puck, den folgenden Konter schloss Tyler Toffoli trocken ab (52.).

Mit einem Treffer ins leere deutsche Tor stellte Scott Laughton den Endstand her (59.). So wertvoll wie dieses Silber aber war bislang keine WM-Medaille für den Deutschen Eishockey-Bund.

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