Offen, energisch, mutig: So wünscht sich Canadi den Club

13.7.2019, 05:42 Uhr
"Sehr akribisch, sehr zielführend, ehrgeizig, motiviert, ohne die Menschlichkeit zu verlieren" - Nürnbergs Trainer Damir Canadi hat eine genaue Vorstellung, wie die Saison für den Club laufen soll.

© Sportfoto Zink/DaMa "Sehr akribisch, sehr zielführend, ehrgeizig, motiviert, ohne die Menschlichkeit zu verlieren" - Nürnbergs Trainer Damir Canadi hat eine genaue Vorstellung, wie die Saison für den Club laufen soll.

Die Vormittagseinheit beginnt mit einer rund zehnminütigen Ansprache. Damir Canadi sitzt auf der Auswechselbank, seine Fußballer stehen außenrum und bilden einen Halbkreis. Ihre Gesichter verraten erhöhte Aufmerksamkeit, wie so oft, wenn ihr Vorgesetzter den auch programmatischen Wandel beim 1. FC Nürnberg verbal begleitet.

Was Canadi sehen möchte, ist ein offenes Geheimnis. Seine Spielphilosophie hat er vor einem Jahr ins Internet eingepflegt, auf sage und schreibe 59 Seiten schildert er zunächst seinen beruflichen Werdegang, von der Wiener Liga 2001 über Atromitos Athen bis zum Club, etwas weiter unten zudem in bemerkenswerter Ausführlichkeit auch seine Vorstellungen und Visionen.

Akribisch und ehrgeizig

Wer sich die Zeit nimmt, lernt unter anderem viel über Motivation oder strategische Pressingzonen. Und kann in etwa die Dimension seines aktuellen Projekts abschätzen. Einen neuen, mutigeren Stil möchte er der Nürnberger Mannschaft verpassen, weit in des Gegners Platzhälfte attackieren lassen. Ist der Ball wieder da, "muss der erste Blick in die Spitze oder Tiefe gehen", so steht es auf einer seiner Folien. Um die entstandene Konfusion im Defensivblock auszunutzen.

 

 

 

Das lässt er intensiv üben. Die kleinen Hütchen für seinen Unterricht hat Canadi selbst hingestellt, leicht versetzt, wie es sich für strategische Pressingzonen gehört. "Sehr akribisch, sehr zielführend, ehrgeizig, motiviert, ohne die Menschlichkeit zu verlieren", so erlebt ihn Robert Palikuca, selbst in gut 60 Meter Entfernung sind Canadis Anweisungen prima zu verstehen. Als es gilt, die Dreier-Kette samt veränderter Raumaufteilung einzustudieren.

"Natürlich müssen wir noch einiges dazulernen, aber ich denke, wir haben es ganz gut gemacht", sagt er später vor laufendem Camcorder, über den er sich etwa eine halbe Stunde zuvor fürchterlich aufgeregt hatte. Canadi möchte nicht, dass öffentliche Taktik-Einheiten gefilmt werden und fordert deshalb einen Kameramann sogar auf, die Aufnahme zu löschen. Es muss ja nicht jeder mitkriegen, was er vorhat.

Am Sonntag bei Rapid

Der Frontmann reiht sich aber auch gerne mal ganz hinten ein. Wie beim Canyoning in der Nähe von Salzburg. Das Wasser soll nur ein paar Grad gehabt haben, "aber nichtsdestotrotz sind wir da durchmarschiert", sagt Canadi hörbar stolz, alle zusammen, als Team. Also genau so, wie er seine Gruppe auch in der Zweitliga-Saison sehen möchte. Während einer kurzen Unterbrechung konkretisiert er lautstark, was er genau damit meint: "Ein Team ist, wenn ich Vertrauen hab’." In mich. In den vor, hinter oder neben mir. In den Trainer. Einigen fällt es noch schwer, die früheren Verhaltensmuster aufzubrechen. "Es ist nochmal was Neues, darauf müssen wir uns einstellen", sagt Hanno Behrens, der alte und neue Kapitän, "wir müssen uns da gegenseitig finden, die Mannschaft muss den Trainer verstehen."

Wie weit der Transformationsprozess fortgeschritten ist, wird sich auch am Sonntag zeigen, wenn der Club um 18.45 Uhr beim SK Rapid in Wien zu Gast ist. Insbesondere für Canadi ist es kein Testspiel wie jedes andere, in der Heimatstadt gegen den Ex-Verein. Egal wo und in welcher Klasse, Canadi hatte eigentlich immer Erfolg, nur in Hütteldorf nicht. Die Umstände seiner Demission im April 2017 nach nur sechs Monaten geben bis heute ein paar Rätsel auf, besonders eine Zeitung überschüttete ihn signifikant häufig mit Kritik. Den Job kostete ihn aber letztlich wohl die eine oder andere Niederlage zuviel; elf Punkte aus 14 Liga-Partien lautete seine Bilanz bei Rapid.

Ein gewaltiger Umbruch

Jetzt kehrt er mit dem 1. FC Nürnberg für einen Abend zurück, "ich freue mich, viele Freunde zu sehen", sagt Canadi bloß, die 90 Minuten sollen ihm weitere Erkenntnisse liefern, wer seine Spielphilosophie bereits verinnerlicht hat und wer vielleicht noch etwas braucht. Also heißt es auch weiterhin, "offen zu sein für Neues", wie es Canadi formuliert, offen zu sein für Canadi-Fußball.

Dass er nebenbei noch einen gewaltigen Umbruch moderieren muss, macht es nicht einfacher. "Fast für alle Mannschaftsteile" hat Sportvorstand Palikuca gestern noch einmal Verstärkungen angekündigt. "Er denkt letztlich die ganze Zeit darüber nach, wie wir diese Veränderungsprozesse auch umgesetzt kriegen", sagt Thomas Grethlein, der Aufsichtsratsvorsitzende des Clubs, über seinen Trainer, "man braucht halt ein bisschen Zeit."

Zeit haben sie aber eigentlich nicht. "Fußball ist ständig eine Umstellung, ich sehe das nicht so schwierig", entgegnet Damir Canadi nach der Vormittagseinheit, die ihn nach mittlerweile über drei Wochen Vorbereitung durchaus zufriedenstellt. Jeder ist willig und mit großem Eifer dabei. Allen voran der Trainer.

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