Matthias Schindler und sein beeindruckender Weg

Paralympics: Genuss in jedem Moment

19.8.2021, 19:34 Uhr
Ausdauer: Matthias Schindler musste auch im übertragenen Sinn einen langen Weg bis Tokio bewältigen.

© privat, NNZ Ausdauer: Matthias Schindler musste auch im übertragenen Sinn einen langen Weg bis Tokio bewältigen.

Im Jahr 2013 schien so etwas völlig undenkbar. Radrennsport, Weltmeisterschaften oder sogar Paralympische Spiele. Matthias Schindler hatte damals erst begonnen, sich langsam an das Radfahren heranzutasten. Alleine das ist schon erstaunlich. Schindler ist inkomplett querschnittsgelähmt, seit einer Rückenoperation, bei der ein Tumor entfernt worden war. Aufgefallen war dieser nur, weil Schindler 2010 bei einer Tauglichkeitsuntersuchung weilte, die ihm eigentlich ermöglichen sollte, Pilot zu werden. Sein Leben änderte sich rigoros, statt ins Cockpit führten die Diagnose und ihre Folgen in den Rollstuhl. So sah es zumindest aus.

Fahrstühle meidet er

Auch Schindler plagten sie, die trüben Gedanken, die Momente in denen das Leben in einem grauen Schleier verschwindet. Doch Schindler trägt etwas. Sein Lebensmotto. Und das setzte sich durch.

"Die Freude am Leben treibt mich an und lässt mich niemals aufgeben", lautet der Satz, der Schindlers Mantra ist und das ihn stark macht. Das ihm etwas ermöglicht hat, wovon er 2013 nicht zu träumen gewagt hätte. Längst ist aus ihm ein Leistungssportler geworden, der Rollstuhl ist kein Thema. Jede Treppe nimmt der Paracycler gerne zu Fuß, weil er froh ist, dass er sie selbst bewältigen kann. Rolltreppen und Fahrstühle meidet er.

Anstieg: Auch Hänge sind für den Nürnberger Paracycler kein Problem

Anstieg: Auch Hänge sind für den Nürnberger Paracycler kein Problem © privat, NNZ

Mit dieser Einstellung kämpfte Schindler sich erst aufs Rad, dann auf dem Rad zu Wettbewerben. Mittlerweile kann er sich Vizeweltmeister 2018/2019 und 2021 und Gesamtweltcupsieger 2018 nennen - unter anderem. Seine Erfolge sind ein Ergebnis seines positiven Naturells, seines Ehrgeizes und seiner Disziplin. "Nach achteinhalb Jahren harter Arbeit, vielen Learnings, Niederlagen, vielen Rück-, Nacken- und Gesichtsschlägen, nach vielen Momenten, in denen ich lieber liegen geblieben wäre aber dennoch aufgestanden bin, nach viel Schweiß und ja, auch Tränen, darf ich für mein Land bei den Paralympics starten", so der 39-Jährige. "So ganz kann ich das noch nicht begreifen."

Jeden Moment genossen

Also genoss Schindler jeden Moment der Vorbereitung 2021. Die Trainingslager auf Mallorca, in St. Moritz und dem italienischen Livigno. Einen Videodreh am Petersberg bei Bonn, wo ein Clip für den Deutschen Behindertensportverband über dessen Starter bei den Paralympics in Tokio produziert wurde. Von der Rockband Rammstein kam die Musik dazu. Der Songtitel "Ich will" passt ausgezeichnet zu Schindler. Sein Wille hat ihn dorthin gebracht, wo er schon lange hinwollte. Zu den Paralympics. In der Schadensklasse C3, wie die korrekte, aber unschöne Bezeichnung lautet, tritt der Zeitfahrspezialist aus Nürnberg in Japan an.

Panorama: Matthias Schindler gönnt sich im Training einen Blick auf die Landschaft.

Panorama: Matthias Schindler gönnt sich im Training einen Blick auf die Landschaft. © privat

Am 23. August startet in Frankfurt sein Flug nach Tokio. Dort wohnen er und die paralympische Straßenmannschaft nicht im olympischen Dorf sondern außerhalb der japanischen Hauptstadt. Das Quartier liegt näher an der Rennstrecke. Gefahren wird auf dem Fuji Speedway am Fuß von Japans berühmtestem Berg. Eigentlich ist der Kurs für den Motorsport reserviert, doch in diesem speziellen Fall dürfen Schindler und seine Konkurrenten den Asphalt für ein fachfremdes Rennen nutzen. Schließlich sind das die Paralympischen Spiele.

Zweimal am Start

Im Zeitfahren ist dem Nürnberger alles zutrauen kann, es findet am 31. August statt. Das Straßenrennen folgt am 2. September. Schon für den 4. September ist der Rückflug terminiert. Seit seinen ersten Fahrversuchen 2013 liegt ein langer Weg hinter Schindler, er hat viel mehr Ziele erreicht, als es ihm viele zutrauten. Nun gehört auch Tokio dazu.

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