Sportmediziner rät: Nicht einfach loslegen!

So gelingt der Wiedereinstieg in den Sport nach Jahren des Nichtstuns

18.8.2021, 19:54 Uhr
So gelingt der Wiedereinstieg in den Sport nach Jahren des Nichtstuns

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Herr Dr. Langenstein, gibt es die ideale Sportart für Wiedereinsteiger?

Wenn jemand mit dieser Frage zu mir käme – unabhängig vom Alter – appellierte ich zunächst an ihn, sich untersuchen zu lassen. Denn je älter wir werden desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir Erkrankungen haben, von denen wir vielleicht gar nichts ahnen, weil wir keine Symptome haben. Das könnte sich bei einem unkontrollierten Neu- oder Wiedereinstieg in den Sport "demaskieren", sprich: zum Problem werden. Und das wollen wir ja verhindern.


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An wen soll ich mich wenden: an den Sportmediziner oder meinen Hausarzt?

Das sage ich jetzt nicht nur, weil ich einer bin, aber optimal wäre der Sportmediziner. Ein Hausarzt kann natürlich auch einschätzen, ob Risiken bestehen. Wenn jemand sowieso regelmäßig beim Internisten oder Orthopäden ist, soll er das Thema ansprechen, dass er wieder eine Sportart betreiben will. Der Kollege, der sich nicht sicher ist, schickt den Ratsuchenden eh zum Orthopäden oder internistischen Sportmediziner, um die Dinge noch genauer zu betrachten.

Wo könnten denn die Probleme liegen?

Leider Gottes eigentlich überall. Wenn wir älter werden, können Risiken im Herz-Kreislauf-System stecken, unerkannte oder nicht ausreichend erkannte Probleme mit der Lunge, im Magen-Darm-Bereich oder mit dem Stoffwechsel bestehen, natürlich orthopädische Probleme, die sich bei einer höheren Belastung vermehrt zeigen können. Eine Nierenschwäche kann sich beim Sport theoretisch verschlechtern.

Das klingt ja gefährlich.

Ich will den Teufel nicht an die Wand malen. Denn auf der anderen Seite muss man sagen, dass Bewegung und Sport gegen nahezu jede Erkrankung ein Pluspunkt ist, man kann etwa schwere Verläufe verhindern und diversen Erkrankungen gut vorbeugen.

So gelingt der Wiedereinstieg in den Sport nach Jahren des Nichtstuns

© Foto: Klinikum Nürnberg

Was kann denn schlimmstenfalls passieren, wenn ich mich mit Beginn meiner Rente jeden Tag aufs Rennrad setze?

Rennradfahren ist eine tolle Sportart. Aber wenn ich noch nie gefahren bin, muss ich mich der motorischen Herausforderung stellen, es besteht eine gewisse Unfallgefahr. Wenn sich jemand derart belastet, der in seinem Leben noch nie Sport getrieben hat, kann im ungünstigsten Fall ein Herzinfarkt oder plötzlicher Herztod eintreten.

Wie kann das ausgelöst werden?

Medizinisch gesehen, bestehen bei diesem Fall Einengungen in den Herzkranzgefäßen. Wenn eine Einengung unter hoher Belastung kritisch wird, wird die Muskulatur, die über das Herzkranzgefäß versorgt wird, schlecht durchblutet und es kann zum Infarkt und zu Herzrhythmusstörungen kommen, im Extremfall zum Herztod führen.

Und diese Verengungen könnte man bei einem Gesundheits-Check entdecken?

Genau. Oder, was viele Menschen haben, aber nicht merken, ist hoher Blutdruck. Unter Belastung steigt er und es können Folgeprobleme auftreten. Es kann zu einem Schlaganfall kommen. Klar, es sind Extremfälle, deswegen ist es wichtig, nachsehen zu lassen.

Vorausgesetzt, der Medizin-Check ergab nichts Auffälliges, aber der Senior hat 30 Jahre lang kaum Sport getrieben: Welche Sportart empfehlen Sie ihm?

Es gibt günstigere und ungünstigere Sportarten für Menschen im Alter. Der klassische Fall ist, dass jemand wiedereinsteigen will, der in der Jugend Sport getrieben hat. Der wird sich leichter tun. Auf diese Vorerfahrung sollte man sich fokussieren bei der Suche nach der Sportart. Hat jemand noch nie Sport getrieben, ist es günstiger, wenn er eine klassische Ausdauersportart wählt. Die einfachste ist nach wie vor das Gehen, Wandern oder Laufen. Der riesige Vorteil: Es ist nahezu überall und zu jeder Tages- und Nachtzeit möglich, es ist kostengünstig und motorisch nicht allzu aufwendig. Und wenn man es nicht übertreibt, ist es orthopädisch gut verträglich.

Jetzt dachte ich, Sie raten zum gelenkschonenden Schwimmen.

Das ist das Zweitbeste. Aber jemand, der noch nie Sport getrieben hat, kann vielleicht nicht gut schwimmen. Ebenso gut ist Radfahren, nicht unbedingt auf einem teuren Rennrad, wenn man es nicht schon früher gemacht hat. Und Skilanglauf belastet verschiedene Körperpartien und das Herz-Kreislauf-System gleichmäßig, wenn man es strukturiert anpackt.

Was ist mit Mannschaftssportarten?

Natürlich klasse, keine Frage. Aber man muss fragen: Gibt es Vorerfahrungen? Überspitzt ausgedrückt: Einen 60-Jährigen, der noch nie Fußball gespielt hat, sollte man nicht dazu bringen.

Den will eh keiner mitspielen lassen.

Vermutlich. Aber konditionell und von der Spielmotorik her wird das schwer. Wenn jemand bis 35 gekickt hat, im höheren Alter noch fit ist und keine großen Gelenkprobleme hat, kann er durchaus einsteigen.

Der Klassiker ist, man besucht als Jugendlicher mehrmals pro Woche das Training und hört wegen Beruf und Familie auf. Wie lange kann ich auf meine Grundlagenausdauer aufbauen, die ich mir damals angeeignet habe?

Auf eine Zahl will ich mich nicht festlegen. Natürlich tut man sich nach 25 Jahren Pause härter als nach zehn Jahren. Außerdem kommt es sehr darauf an, ob ich in der Zwischenzeit irgendetwas gemacht habe. Deswegen ist ja die Untersuchung vor dem Wiedereinstieg so wichtig. Die Grundlagenausdauer – das sieht man leider bei verletzten jüngeren Sportlern – geht relativ schnell nach unten. Der große Vorteil ist, man kann sie reaktivieren wie eine Sprache, die man in der Schule gelernt hat, und muss Jahre später nicht bei Null anfangen. Der Körper hat bei Ausdauer und motorischen Fähigkeiten schon ein gewisses Gedächtnis.

Wer also immer ein bisschen Sport getrieben hat in der Zwischenzeit, ist klar im Vorteil.

Das muss aber nicht Sport im engeren Sinn gewesen sein. Ich habe gerade aus dieser Altersgruppe Leute vor mir sitzen, die sich nie als Sportler bezeichnen würden, die aber ihren Weg in die Arbeit konsequent mit dem Fahrrad zurücklegen. Die haben zum Teil super Leistungsdaten.

Das ist eine tolle Botschaft.

Ja, einige hatten eine sehr gute Grundlagenausdauer und Laktat-Kurven, bei denen manche "echten Sportler" neidisch werden würden.

Sportlich ist also nicht immer nur derjenige, der eine Sportart betreibt?

Das ist eine weitere Botschaft: Ich habe jetzt viel über Risiken gesprochen. Doch Sport und Bewegung sind ein Lebenselixier. Da geht es auch um Sozialkontakte und medizinische Prognoseverbesserung. Es gibt extrem viele Studien, die belegen, dass Bewegung das Risiko für extrem viele Erkrankungen reduziert. Das sollte motivieren. Und: Gerade in der Altersklasse kommen viele zu mir, die sehr kopfgesteuert sind, und eine Zeitlang eine Sportart betreiben. Doch es muss ihnen am Ende des Tages auch Spaß machen. Das ist bei der Auswahl der Sportart mindestens genauso wichtig. Es muss also nicht die optimale Sportart sein, es darf auch die zweitbeste sein. Denn dann bleibt man auch dabei.


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Ist der Waschbrettbauch mit 60 Jahren überhaupt noch möglich?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt: Bei allen Empfehlungen sollte man auch etwas für die muskuläre Stabilität tun, man kann Muskeln in jedem Alter trainieren. Das wiederum ist für die noch älteren Senioren ganz wichtig. Denn je besser wir muskulär aufgestellt sind desto weniger Beschwerden bekommen wir und wir können Stürzen vorbeugen, bei denen wir uns zum Beispiel den Oberschenkelhals brechen könnten.

Selbst Discounter bieten Fitnessgeräte für zu Hause an.

Nichts gegen den Expander und die Hanteln aus dem Supermarkt, aber wichtig ist, dass wir das unter fachkundlicher Anleitung tun. Gerade bei falschem Krafttraining kann man ganz schöne Probleme produzieren.

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